Demokratie? Was und für wen?

Das bisschen Demokratie, das wir bekommen, ist auch noch in der Krise.
Fabian Lehr

Also noch einmal: Die Stichwahl zur Bundespräsidentschaftswahl wird auf Klage der FPÖ wiederholt. Nicht nur unter Linken wird diskutiert, ob es legitim sei, dass die FPÖ versucht, die Wahlentscheidung so noch zu ändern. Gewiss befindet sich die FPÖ mit ihrer Wahlanfechtung juristisch im Recht. Interessanter als die Frage "Ja, dürfen die Blauen das denn?" ist die Frage "Wie steht's mit der Demokratie überhaupt?". Erst recht, wenn es sich um die Bundespräsidentschaftswahlen handelt, ein äußerst bedenkliches Amt mit in Krisenzeiten unabsehbaren Kompetenzen, das in den Parlamentarismus einen Ersatzkaiser hineinträgt.

Tatsächlich kracht die Demokratie an allen Ecken und Enden, denn der wirtschaftlichen folgte die politische Krise. Die Entfremdung der WählerInnen von Parteien, Regierung und Staat ist tiefgreifend und angesichts der Politik, die diese betreiben, auch verständlich. Bürgerlich-parlamentarische Demokratien präsentieren sich selbst als scheinbar neutrale Plattformen der gesamten Gesellschaft, auf denen alle gleichberechtigt ihre Konflikte austragen. Aber diese theoretische Gleichheit kaschiert nur die weiterbestehende ökonomische und soziale Ungleichheit. Die parlamentarische Demokratie ist in Wirklichkeit politischer Rahmen und Ausdruck der Herrschaft einer bestimmten Klasse, nämlich der Bourgeoisie. Und angesichts von Bankenrettungspaketen (bei gleichzeitiger Kürzungen im Gesundheitswesen) und ähnlichem wird diese Parteilichkeit auch immer offensichtlicher. Darum sinkt die Wahlbeteiligung, während gleichzeitig neue Parteien wie Pilze aus dem Boden schießen.

Theoretisch hat jedeR das Recht, einer Partei beizutreten oder eine zu gründen. Aber bei den finanziellen Mitteln und dem Zugang zu Medien zeigt sich die ungleiche Verteilung: Die Parteien der Reichen sind auch reicher. Gewiss gibt es auch große ArbeiterInnenparteien, aber die stehen bald vor der Entscheidung: Entweder den Rahmen bürgerlicher Klassenherrschaft akzeptieren und innerhalb dieses Rahmens nur graduelle Verbesserungen umzusetzen. Oder aber konsequent für ihre Klasse eintreten, d.h. sozialistische Politik, die die parlamentarische Demokratie sprengen und in Richtung einer echten Demokratie wo Menschen in ihren Betrieben, Stadtteilen etc selbst entscheiden können (Stichwort: Rätedemokratie) gehen muss. Sozialistische Klassenpolitik stößt in einer bürgerlichen Demokratie sehr schnell an deren verfassungsrechtliche wie soziale Schranken. Andererseits sind die Aushöhlung von ArbeiterInnenrechten durch TTIP, Hollande's Dauer-Ausnahmezustand oder Thatcher's Krieg gegen die Gewerkschaften legale Maßnahmen im Rahmen der bürgerlich-demokratischen Politik. Auch die auf Druck von Berlin und Brüssel eingesetzten griechischen neoliberalen "Expertenregierungen" waren Beispiele dafür, das die Interessen der Massen in Krisenzeiten nichts wert sind.

Der für die Meisten wichtigste Lebensbereich schließlich wird von den formellen Grundsätzen politischer bürgerlicher Demokratie gar nicht berührt: Das Arbeitsleben, wo es statt theoretisch gleichberechtigter BürgerInnen die nackte Realität von AusbeuterInnen und Ausgebeuteten gibt.

Ablehnung der etablierten Parteien und ihrer Institutionen ist Ausdruck dieser Entfremdung, wie es in verquerer Form auch die Stimmen für (scheinbar) oppositionelle, wie die FPÖ oder Trump, sind. Doch was ist nun zu tun mit dieser Entfremdung? Die beschränkte und illusionäre bürgerliche Demokratie einfach kritiklos zu verteidigen wäre ebenso falsch, wie deren beschränkte Möglichkeiten zu ignorieren. Es wäre eine Illusion, zu glauben, man könne die bürgerlich-parlamentarische Demokratie in ein Instrument proletarischer Klasseninteressen umwandeln. Aber es ist realistisch, für die politische Tagesarbeit das zu nutzen, was innerhalb ihres Rahmens zu holen ist. In erster Linie: Die Teilnahme an Wahlen ist, ohne alle Illusionen in "konstruktive parlamentarische Arbeit", ein vorzügliches Mittel für sozialistische Parteien, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für ihre Positionen zu schaffen. Noch nützlicher sind dafür gewonnene Sitze, wenn diese als Plattformen sozialistischer Agitation vor einem großen Publikum genutzt werden. Auch ist die Teilnahme an Wahlen für SozialistInnen ein wertvoller Anzeiger der aktuellen politischen Verhältnisse und dafür, wie groß der Rückhalt unter den ArbeiterInnen für revolutionäre Positionen ist.

Revolutionäre MarxistInnen erkennen die parlamentarische Demokratie als Instrument der bürgerlichen Klassenherrschaft. Jede politische Freiheit und jeden reformistischen ökonomischen Fortschritt, die innerhalb dieses Rahmens erzielt worden sind, werden wir gegen die in Krisenzeiten zahlreicher und heftiger werdenden Angriffe der Herrschenden verteidigen, ohne dabei deren notwendig begrenzten Charakter zu verkennen. Dabei muss aber klar sein: Wir verteidigen zwar das, was in der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie an begrenzten Fortschritten erkämpft wurde, und beteiligen uns dafür auch an Auseinandersetzungen im Rahmen von Wahlen und Parlamentarismus. Aber unser Ziel ist kein "gereinigter" Parlamentarismus, sondern eine tatsächliche Demokratie im Interesse der ArbeiterInnen - und das kann nur eine revolutionär zu erkämpfende sozialistische Rätedemokratie sein.
 

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