Das Neujahrskonzert

Rote Seitenblicke
John Evers

Das Neujahrskonzert: Tausende Euro für eine Konzertkarte, Millionen Einnahmen über den CD-Verkauf, eine Milliarde Menschen an den Bildschirmen. Doch welchen österreichischen Traditionen wird am 1.1. eigentlich gefrönt? Dass Feldmarschall Radetzky, dem Johann Strauß Vater ausgerechnet im Revolutionsjahr 1848 einen Marsch gewidmet hatte, ein Reaktionär und Militärdiktator in Oberitalien war, sollte inzwischen eigentlich bekannt sein. Weniger bekannt: Das erste Neujahrskonzert wurde 1939 gegeben und war eine Propagandaveranstaltung der Nazis. Dirigiert wurde es vom Goebbels-Spezi Clemens Krauss, der diese Tradition praktischerweise auch nach 1948-1954 fortführen durfte; ein österreichisches Schicksal!? Nicht uninteressant ist übrigens auch die Rezeption von Johann Strauß Sohn (ja der mit dem Donauwalzer) durch die Nazis. Goebbels hatte zu diesem bereits 1938 notiert: „Ein Oberschlauberger hat herausgefunden, dass Joh. Strauß ein Achteljude ist. Ich verbiete, das an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn erstens ist es noch nicht erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deutschen Kulturbesitz so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende bleiben aus unserer Geschichte nur noch Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig. Das ist ein bisschen wenig.“ Weniger „gut“ als dem Toten, ging es freilich den lebenden Erben der Musikerdynastie: Sie wurden Zielscheibe eine Kampagne des antisemitischen Blattes „Der Stürmer“, der Strauß-Nachlass in der Folge arisiert…

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