Berlin: Warum DIE LINKE auf Grundlage dieses Sondierungspapiers nicht in Koalitionsverhandlungen eintreten sollte

Ein Kommentar von Johannes von Simons zur Koalitionsbildung in Berlin

Dieser Artikel erschien am 18. Oktober 2021 zuerst auf der Website unserer deutschen Schwesterorganisation "Sozialistische Alternative (SAV)" - www.sozialismus.info

 

In Berlin stehen alle Zeichen auf Weiterführung von Rot-Grün-Rot, obwohl DIE LINKE während des Wahlkampfes eine deutlich von SPD und Grünen abweichende Haltung zu den dominierenden Klassenkämpfen “Deutsche Wohnen & Co enteignen” und Berliner Krankenhausbewegung hatte. Dem völlig unzureichenden Ergebnis der Sondierungsgespräche zum Volksentscheid “Deutsche Wohnen & Co enteignen” hätte die Berliner LINKE-Spitze nicht zustimmen dürfen: „Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des Volksentscheides und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein. Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens. Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft.“ Damit wird die Umsetzung um mindestens ein Jahr verschoben und was danach kommt, ist völlig offen. Doch die Aktivist*innen der Initiative haben schon alles vorgelegt – Gutachten, Prüfungen und natürlich den Gesetzesentwurf. Was soll jetzt noch ein Jahr geprüft werden?! Angesichts der Tatsache, dass über 56%, mehr als eine Million Berliner*innen, dafür gestimmt haben, ist die schnellstmögliche Umsetzung geboten. Nötig ist außerdem, das nicht zu Marktpreisen enteignet wird.

Doch die Linie soll offenbar Kooperation statt Konfrontation mit der Immobilienlobby sein, denn im Ergebnispapier steht auch, das ein “Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen” gegründet werden soll, welches “die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die Genossenschaften und die privaten Wohnungsunternehmen einbezieht, um Wohnungsbauvorhaben konsequent voranzutreiben. Wir setzen dabei auf das Prinzip Kooperation statt Konfrontation.“ Damit werden die unterschiedlichen Interessen verwischt: private Immobilienkonzerne interessiert in erster Linie der Profit. Gute, bezahlbare Wohnungen müssen gegen sie organisiert werden, nicht mit ihnen. Wie diese Kooperation mit privaten Grundstückseigentümern unter Rot-Rot-Grün aussieht, wurde – nach Syndikat und Friedel und weiterer Freiräume der linken Szene – am vergangenen Wochenende bei der Räumung des Köpi-Wagenplatzes deutlich.

Wir müssen es klipp und klar sagen: Wenn der Volksentscheid unter der nächsten Regierung nicht durchgesetzt werden sollte – und DIE LINKE würde in einer Koalition zurecht dafür mitverantwortlich gemacht werden -, wird die Partei mindestens so viel an Glaubwürdigkeit verlieren wie durch die Privatisierung von über 100.000 städtischen Wohnungen unter Rot-Rot in der Vergangenheit. Franziska Giffey hat noch vor dem Wahlkampf gesagt, sie wird den Volksentscheid nicht umsetzen – warum sollte sich das jetzt geändert haben? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Sie müsste nach dem Erdrutschsieg des Ja umso klarer sagen, dass sie ihre Meinung geändert habe. Doch stattdessen lesen wir im Papier dehnbare, interpretationsoffene Formulierungen und es werden “Expertenkommissionen” angekündigt.

Sehr ähnlich ist es beim Thema Gesundheit: über einen Monat lang haben die Beschäftigten bei der Charité und dem Vivantes-Mutterkonzern gestreikt; die Vivantes-Tochterbeschäftigten sind immer noch gezwungen weiter zu streiken. Doch statt einer klaren Bezugnahme auf einen TV Entlastung und den TVöD für alle an der Spree heißt es lapidar: „Wir setzen uns dafür ein, die Arbeitsbedingungen und Bezahlung zu verbessern und weitere Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel zu ergreifen.“ In dieser Allgemeinheit würden das vermutlich sogar CDU und FDP unterschreiben…

Auch zur angeblich vereinbarten Verkehrswende muss gesagt werden: das ist keine Verkehrswende, sondern höchstens eine minimale Kurskorrektur. Weder eine Senkung der Ticketpreise noch die Rücknahme der S-Bahnprivatisierung noch der Stopp der A100 wurden vereinbart (für letztere gibt es sogar die Zusage, den 16. Bauabschnitt zu bauen!). Nötig wäre, wie in den Bundes- und Landeswahlprogrammen der LINKEN gefordert, ein Nulltarif im ÖPNV, der massive Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs als Ersatz für den Autoverkehr und die Überführung der S-Bahn in kommunale Hand.

Um die Kosten der Corona-Krise nicht auf die Arbeiter*innenklasse abzuwälzen, wäre im Bereich Haushalt und Finanzen eine Absage an die Schuldenbremse (also die Befürwortung ihrer Aussetzung über 2022 hinaus) notwendig. Stattdessen wurde nur vereinbart, dass Berlin sich “nicht aus der Krise heraussparen“ soll. Aber schon der vergangene rot-rot-grüne Senat hat den Kurs der “Haushaltskonsolidierung” fortgesetzt, statt den jahrzehntelangen Sozialabbau und das Kaputtsparen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu beenden. Es herrscht ein milliardenschwerer Investitionsstau beim öffentlichen Wohnungsbau, im Bildungs- und Erziehungsbereich, bei der Gesundheitsversorgung… 

Wir wissen, dass viele Aktivist*innen der Mieten- und der Krankenhausbewegung wollen, dass DIE LINKE mitregiert. Aber die Umsetzung des Volksentscheids und der Forderungen der Krankenhausbewegung kann DIE LINKE auch aus der Opposition heraus massiv mit unterstützen. Besser eine kraftvolle LINKE in der Opposition, an der Seite der Mieter*innen und der Kolleg*innen in Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, Pflegeheimen usw., als eine Partei, die das linke Feigenblatt einer Giffey-Regierung bildet, von der jeder weiß, dass sie den Volksentscheid nicht umsetzen wird. Erinnern wir uns: auch im letzten Koalitionsvertrag stand das Ziel, unter einer rot-rot-grünen Regierung den TVöD bei Charite, Vivantes und in anderen Töchtern von landeseigenen Unternehmen einzuführen. Passiert ist bei Vivantes nichts, und bei der CFM gab es erst 2020, nach neun Jahren Streik, einen langen Stufenplan zur Anpassung an den TVöD. 

Daher: DIE LINKE sollte auf der Grundlage dieses Sondierungspapiers nicht in Koalitionsverhandlungen eintreten. Eine echte linke Regierung würde grundlegend anders aussehen.