Börsencrash 1929 und Beginn der Weltwirtschaftskrise

Angela Bankert, CWI-Deutschland

Der schwarze Freitag am 25. Oktober 1929 an der New Yorker Börse leitete die schwerste Krise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ein. Konkurse, Bankenpleiten, Massenarbeitslosigkeit und Verarmung weiter Schichten der Bevölkerung, schwere soziale und politische Krisen waren die Folge. Wie kam es zu dem Crash? Könnte so etwas heute nochmal passieren?
Die Zeitspanne vor dem großen Krach nannte man die Goldene 20er Jahre, wenngleich sie nicht überall und für alle so golden waren. Einen starken Aufschwung gab es insbesondere in den USA, die aus dem I. Weltkrieg als größte Wirtschafts- und Militärmacht hervorging und nicht von Kriegsfolgen belastet war. Konnten sich noch 1919 nur Reiche ein Automobil leisten, so gab es schon 1926 in vielen Durchschnittsfamilien ein Auto. In den 20er Jahren wurden langlebige Konsumgüter für breitere Schichten erschwinglich. Kauf auf Pump, ob Haushaltsgeräte, Autos aber auch Immobilien und Aktien, wurde erstmals zu einer Massenerscheinung. Dies heizte wiederum die Investitionen an, in der Hoffnung auf ständig expandierende Märkte. US-Kapital wurde außerdem in alle Welt exportiert, investiert und verliehen. Ende der 20er zeichneten sich in den USA deutlich Überkapazitäten ab damals noch in Form von Überproduktion auf Halde besonders in der Automobilindustrie, bei Haushaltsgeräten, in der Bau und Landwirtschaft. Absatz und Gewinne der Unternehmen gingen zurück, doch die Börse boomte zunächst unverdrossen weiter. Es entwickelte sich eine Spekulationsblase, die Aktienkurse lösten sich immer weiter von den ihnen zugrunde liegenden realwirtschaftlichen Daten ähnlich wie in Japan Ende der 80er Jahre und vor der Südostasienkrise vor zwei Jahren.

Deutschland

In Deutschland gab es nach der Niederlage der revolutionären Bewegung am Ende des I. Weltkriegs, nach Inflation und Lockerung der Bedingungen zur Reparaturzahlungen an die Siegermächte, eine prekäre Stabilisierung des Kapitalismus. Im Konjunkturaufschwung der 20er Jahre setzte eine gewisse Modernisierung der Industrie ein. Investitionen wie auch der aufstrebende Wohnungsbau wurden vor allem durch US-Kapital finanziert. Um diesen Zufluss zu erhalten, wurde Hochzinspolitik zum Anlocken des Kapitals betrieben. Reparationszahlungen und beginnende Wiederaufrüstung belasteten den Haushalt, dessen Ausgleich von Konservativen wie internationalen Geldgebern gefordert wurde. Bereits im Frühjahr 1929 schwächte sich die Konjunktur merklich ab. Im Dezember 1929 legte der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI, Vorgänger des BDI) eine Denkschrift vor, in der von der SPD-geführten Großen Koalition u.a. gefordert wurde: Steuererleichterungen für die Industrie, Privatisierung öffentlicher Betriebe, Entlastung des Haushalts von sozialen Ausgaben, Anhebung der indirekten Besteuerung (= Massenverbrauchsteuern). Die heutige neoliberale Politik heißt deshalb „neo“, weil sie eine Wiederauflage der klassischen wirtschaftsliberalen Politik vor der Weltwirtschaftskrise ist. Staatliche Eingriffe waren verpönt, man glaubte an die Selbstheilungskräfte des Marktes. Geldwertstabilität, feste Wechselkurse und Goldstandard wichtig für die Geldbesitzer und das internationale Leihkapital hatten oberste Priorität in den zentralen Industrieländern. Ausgeglichene Haushalte und Sparpolitik, zu Lasten der Masse der Bevölkerung, verschärften den einsetzenden wirtschaftlichen Abschwung zusätzlich.

USA: New Deal

Die Regierungen und Politiker standen der Wucht der Krise und der Anarchie des Marktes völlig hilflos gegenüber. Geprägt durch die wirtschaftsliberale Doktrin verschärften manche Maßnahmen die Krise sogar noch, wie das Festhalten an der Goldwährung oder Sparhaushalte wie unter den Notverordnungen des deutschen Reichskanzlers Brüning. Doch die Tiefe der Krise ließ keine andere Wahl als massive staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, ohne die das ganze System völlig zusammengebrochen wäre, da auch große Konzerne und Banken erfasst waren. Es wurde zunehmend unmöglich, den zerstörerischen Marktkräften weiter freien Lauf zu lassen. In den USA als Land mit den meisten Reserven gab es den umfassendsten Versuch der Krisenbewältigung mit der Politik des sogenannten New Deal (neuer Gesellschaftsvertrag) unter Präsident Roosevelt. Roosevelts Maßnahmen bestanden zunächst vor allem darin, bewusst inflationäre Tendenzen herbeizuführen, um die Schuldenlast zu senken und die Produktion bei steigenden Preisen wieder profitabler zu machen. Die Agrarpreise wurden staatlich festgesetzt, untermauert durch Prämien für brachgelegte Anbauflächen und Subventionierung der Landwirtschaft. Die Kartellbildung wurde gefördert. Das Kreditsystem wurde vor dem Zusammenbruch bewahrt, indem eine staatliche Garantie der Einlagen gegeben wurde. Weitergehende staatliche Eingriffe, besonders eine Senkung der Wochenarbeitszeit und Festlegung von Mindestlöhnen, waren im Land des „freien Kapitalismus“ Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse. Inzwischen waren die Unruhen in der Bevölkerung und besonders die Radikalisierung in der Arbeiterschaft unübersehbar geworden. Es gab Sitzblockaden und Streiks in der Autoindustrie. In San Francisco fand im Juni 1934 ein viertägiger erfolgreicher Generalstreik statt. Die Gewerkschaften polarisierten sich in gemäßigte und radikale Kräfte, und die radikaleren Gewerkschaftsströmungen erhielt Zulauf. Der Gouverneur von Louisiana, Long, griff die Stimmung auf und besteuerte die Reichen stärker, um damit staatliche Ausgabenprogramme, besonders für die Farmer, zu finanzieren. Er propagierte die Umverteilung zu Lasten der Reichen, gründete einen „Verein zur Teilung des Reichtums“ und wurde damit so populär, dass er als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaft gegen Roosevelt gehandelt wurde. (Er wurde übrigens im September 1936 ermordet...) Erst unter diesem Eindruck ging auch Roosevelt zu Maßnahmen über, die später der populärere Teil des New Deal werden sollten: gesetzliche Festlegung von Mindestlöhnen und gewerkschaftlichen Rechten, die Einführung der Sozialversicherung, Erhebung einer Erbschaftssteuer von den Reichen, Subventionierung der Farmer, öffentliche Arbeitsbeschaffungsprogramme. Mit dieser Politik gelang seine Wiederwahl mit einem erdrutschartigen Wahlsieg und zumindest zeitweilige Tendenzen zur wirtschaftlichen Erholung, wenngleich diese auch zusammenfielen mit einer allgemeinen ökonomischen Belebung nach Jahren der Krise und Wertevernichtung. Die Politik des New Deal wurde in Ansätzen auch von anderen Staaten, z.B. Frankreich, aufgegriffen. Doch in diesem Ausmaß konnte sie sich nur die relativ reichste Nation USA leisten. Zu den Akten gelegt wurde aber überall die Politik des Wirtschaftsliberalismus. Überall gab es staatliche Eingriffe, wenngleich alle auf dem Boden der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und einen wachsenden Anteil der Staatsquote am Sozialprodukt. Kombiniert mit gewissen sozialen Wohltaten wurden diese nur, wo und wenn es eine starke Arbeiterbewegung und heftige Klassenkämpfe gab. In Deutschland griff der Faschismus zwar die massive staatliche Regulierung auf, die jedoch einherging mit der Vernichtung der organisierten Arbeiterbewegung, mit der Versklavung der einheimischen Arbeitskräfte und später der Bevölkerung in den eroberten Gebieten. Doch auch diese Politik brachte letztlich nur einen Aufschub und keine Lösung. Nach einem kurzen und labilen internationalen Aufschwung zeichnete sich Ende der 30er Jahre erneut die nächste Krise ab, der letztlich mit fieberhafter Aufrüstung, Krieg und Kampf um die Neuaufteilung der wirtschaftlichen und politischen Einflussgebiete begegnet wurde.

Tiefere Ursachen

Die tieferen Ursachen der Weltwirtschaftskrise lagen nicht nur einfach in „falscher“ Politik begründet, sondern im kapitalistischen System selbst. Seit vor dem ersten Weltkrieg war das System in eine grundlegende Krise geraten, weil die Produktionsmöglichkeiten bei weitem die Grenzen des Systems gesprengt hatten. Die inneren Widersprüche, die sich aus dem Konkurrenz und Profitmechanismus ergeben, führen immer wieder zu Überproduktion, vor allem zu Überproduktion von Kapital, das keine ausreichend profitablen Verwertungsmöglichkeiten mehr findet. Doch die profitable Verwertung von Kapital, nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, ist der einzige Motor des Kapitalismus. Der Börsenkrach fiel in die abflauende Konjunktur Ende der 20er und brachte die strukturellen Probleme nur zum Vorschein. Gelöst wurde die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre durch keine Wirtschaftspolitik. Denn die grundlegenden Widersprüche und krisenhaften Erscheinungen des Kapitalismus blieben bestehen. Der Liberalismus verschärfte sie, der Keynesianismus führte zur zeitweiligen Abmilderung und zum Aufschub. „Gelöst“ wurde die Krise durch Krieg, Faschismus und Diktatur. Die Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Aber heute haben sich alle Faktoren für eine globale Krise aufgebaut: Überproduktion, spekulativ aufgeblähte Aktienmärkte, deflationäre Tendenzen. In manchen Regionen, Asien, Russland, Lateinamerika, haben sie schon zu Wirtschaftskrisen mit einem dramatischen Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut geführt. In anderen brodeln sie noch unter der Oberfläche. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist unheilbar krank. Es muss durch eine demokratisch geplante Wirtschaftsordnung, durch eine sozialistische Demokratie ersetzt werden.

Die Krise

Am 25. Oktober 1929 krachte es an der New Yorker Wall Street. An diesem Tag wurden 25 Milliarden Dollar ausradiert. Dies war der Auslöser der folgenden Depression. Die Industrieproduktion ging in den kapitalistischen Ländern von 1929 bis 33 im Durchschnitt um 40% zurück. In Deutschland sank sie auf 58% des Standes von 1928. Noch drastischer sank in vielen Industrieländern die Auslastung der Produktionskapazitäten, in Deutschland stand sie 1932 bei nur noch 35%. Entsprechend brachen die Gewinne der Unternehmen ein. In den USA betrugen sie 1932 nur noch 7% des Standes von 1928. In Deutschland ging die Summe der Unternehmensgewinne von 315 Millionen Mark (1929) auf 73 Millionen Mark (1932) zurück. Die Aktienkurse an den wichtigsten internationalen Börsen brachen zwischen 40% und 70% ein. Der Dow-Jones-Index, der seit März 1926 bis zum September 1929 von 135 Punkten auf 381 Punkte geklettert war, dümpelte auf seinem Tiefstand im Juli 1932 nur noch bei 41 Punkten. In den USA gingen zwischen 1930 und 33 rund 5.000 Banken pleite, 15% aller Einlagen wurden vernichtet. Das gesamte nationale und internationale Finanzsystem geriet aus den Fugen. Großbanken kamen ins Trudeln und wurden staatlicherseits unterstützt, wie die Dresdner Bank in Deutschland und die Wiener Creditanstalt in Österreich.

Deflation

Eine Begleiterscheinung der Krise war ein drastischer Verfall aller Preise (Deflation), der schon zuvor eingesetzt hatte. Die Preise für Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse waren schon vor dem Börsenkrach stark rückläufig auch ein Symptom der Überproduktion. Neu war allerdings das Ausmaß. In
den vorhergehenden zyklischen Krisen, durch die sich der Kapitalismus seit seinem Bestehen immer wieder bewegt, waren die Preise um etwa 10% gesunken, um im anschließenden Aufschwung wieder anzuziehen. Dieses Mal hielt der Preisverfall über Jahre an und erfasste alle Bereiche. In Deutschland sanken die Großhandelspreise zwischen 1929 und 33 um 32%, in Frankreich um 36%, in den USA und GB um 31%. Der Preisverfall, bedingt durch Überproduktion, bewirkte die Krise des Kreditsystems, denn der Schuldendienst musste aus verminderten Profiten gezahlt werden. Dies löste die Welle von Konkursen aus, die schließlich auch Großindustrie und Banken erfasste. Die „normalen“ Absurditäten des Kapitalismus steigerten sich zum Wahnsinn. Während Millionen arbeitslos waren, gab es andererseits Überstunden und Kinderarbeit. Während millionenfach Menschen verarmten und hungerten, wurden wegen der Absatzkrise gleichzeitig Lebensmittel vernichtet. In den USA wurde 1933 ein Viertel der Baumwollernte unter den Boden gepflügt; in Brasilien mit 10 Mio. Sack Kaffee der jährliche Weltbedarf ins Meer geworfen oder verbrannt.

Welthandel bricht zusammen

Gab es vor der Krise einen integrierten Weltmarkt, wenn auch nicht ganz so eng verflochten wie heute, so wurden die internationalen Wirtschaftsbeziehungen durch die Krise gründlich zerrüttet und kamen stellenweise ganz zum Erliegen. Gedrückt von der Last der inneren und äußeren Schulden, konnten viele Länder ihren internationalen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Als erste stellten kolonial beherrschte Länder in Osteuropa, Asien und Lateinamerika sowie kleinere Industrieländer die Bezahlung ihrer Auslandsschulden auf unbestimmte Zeit ein (Schuldenmoratorium). Beim Tiefstand der Krise erklärten auch die zentralen Industrieländer wie Deutschland, Österreich, Frankreich, England den Schuldendienst für ausgesetzt; 1933 für kurze Zeit auch die USA, als die Bankenkrise dort ihren Höhepunkt erreichte. Manche Staaten erklärten den Zahlungsstopp nicht nur für Staats, sondern auch für private Geschäftsschulden. Die allgemeine Nichtbezahlung von Schulden führte natürlich zum Zusammenbruch des Welthandels. Wer verleiht noch Geld oder liefert Waren, wenn die Zahlungsverpflichtung nicht mehr gewährleistet ist. Insgesamt schrumpfte der Welthandel auf 1/3 seines Volumens von 1928 zusammen. Die Staaten gingen zu einer Art Tauschhandel über, um keine Zahlungsverpflichtungen in Gold- oder Währungsreserven entstehen zu lassen, die man selbst nicht begleichen konnte oder deren Begleichung durch andere unsicher war. Die USA tauschten Weizen gegen Kaffee mit Brasilien, Ungarn Weizen gegen Holz mit Österreich, Japan Textilien gegen Baumwolle mit Indien.

Die Lage der Arbeiterklasse

Von Herbst 1929 bis Sommer 1930 stieg die Arbeitslosigkeit in den USA von 1 auf 4 Millionen, 1933 gab es 14 Millionen Arbeitslose und weitere Millionen Kurzarbeiter. In Großbritannien waren 1931 6-8 Millionen arbeitslos. In Deutschland schwoll das Arbeitslosenheer auf bis zu 6,3 Millionen an. Hinzu kamen aber weitere Millionen von Unterbeschäftigten. Nach gewerkschaftlichen Angaben gab es in Deutschland 1932 gemessen an der erwerbsfähigen Bevölkerung (ohne Beamte) nur noch 33,6% Vollbeschäftigte; 22,6 % arbeiteten kurz und 43,8% waren ganz arbeitslos. Viele erhielten kaum oder gar keine Arbeitslosenunterstützung. Die Arbeitslosenunterstützung wurde in der Krise mehrfach nach Anspruch und Umfang gekürzt, so dass in Deutschland 1932 etwa 50 % der Arbeitslosen ganz aus der Arbeitslosenversicherung herausfielen. Auch die Einkommen derer, die noch Beschäftigung hatten, wurden massiv abgesenkt. Zu Beginn wurden übertarifliche Löhne und Zuschläge abgebaut. Die Steuern und Abzüge wurden für die Masse immer wieder erhöht: So wurden Sozialabgaben erhöht, eine Krisensteuer von 1% eingeführt, oder gar eine „Ehestandhilfe“ erhoben, eine Zusatzsteuer für Ledige. Schließlich wurden auch die Tariflöhne abgesenkt und Beamtenbezüge gekürzt. Trotz Verfall der Preise ergab dies eine drastische Senkung der Reallöhne. Diese fiel in den verschiedenen Branchen unterschiedlich stark aus, im Durchschnitt betrug sie in Deutschland 26%. Die ausgezahlte Lohn und Gehaltssumme für Arbeiter, Angestellte und Beamte lag im Jahr 1929 noch bei 44,5 Milliarden Mark. Im 1. Halbjahr 1933 war sie auf 12,4 Milliarden Mark gefallen. In den USA sank die Lohnsumme für Fabrikarbeiter auf 40 % des Standes von 1925. Parallel wurden verstärkt Elemente der Zwangsarbeit eingeführt, besonders gegenüber Jugendlichen, indem man sie z.B. zu Hungerlöhnen in öffentliche Arbeitsdienste steckte oder an Bauern zuwies. Armut und Hunger grassierten, die Suppenküchen hatten Hochkonjunktur.

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