Aus der Gewerkschafts-Geschichte lernen

Wir haben den langjährigen, für die Zeitung Vorwärts verantwortlichen, Redakteur John Evers zu Inhalt und zur Aktualität seines Buches „Internationale Gewerkschaftsarbeit in der Habsburgermonarchie” befragt.

VORWÄRTS: Warum macht es Sinn sich mit einem lange zurückliegenden Kapitel der österreichischen Gewerkschaftsgeschichte zu befassen?

JOHN EVERS: Weil die österreichische Gewerkschaftsgeschichte eine internationale ist. Die Gründung moderner Gewerkschaften und ihr Aufschwung in den 20 Jahren vor dem 1. Weltkrieg wäre undenkbar ohne internationale, konkret sozialistische Einflüsse. Modern hieß: Sich zu öffnen, Frauen, MigrantInnen, schlecht bezahlte Schichten von ArbeitnehmerInnen als wichtige – wenn nicht wichtigste – Zielgruppe gewerkschaftlicher Aktivitäten zu sehen.

Klingt aktuell, gibt es noch weitere Bezüge zur Gegenwart?

Na ja, die Monarchie ist zwar nicht 1:1 mit der EU gleichzusetzen. Aber sie war multinational, extrem polarisiert in ihren sozialen Strukturen (z.B. auch durch große regionale Lohnunterschiede) und hantelte sich von einer Krise zur nächsten. Die sozialistischen Gewerkschaften haben versucht sowohl innerhalb der Monarchie Grenzen zur überwinden, wie auch internationale Verbindungen zu knüpfen. Im Vergleich dazu sind z.B. die Mittel, die der ÖGB heute für internationale und interregionale Arbeit aufwendet extrem gering.

War die Gewerkschaft damals mit ihrem internationalen Kurs erfolgreich?

Gewerkschaften waren zunächst v.a. Kampforganisationen. Solange sie diese Aufgabe hauptsächlich wahrnahmen, zeigten sie sich erstaunlich resistent gegenüber der nationalen Spaltung. Problematisch wurde es, als sie zu glauben begannen die Monarchie in ihrem Sinne reformieren zu können und sich um stärkere Integration in die staatlichen Gremien bemühten. Dieser Kurs hat dazu geführt, dass die nationalen Spannungen des Staates auf die Gewerkschaften übertragen wurden – sprich Wiener und Prager Gewerkschaftsführer sich darum stritten (und schließlich spalteten) wer denn wie in welchem Gremien repräsentiert sein darf. Trotzdem: Gemessen am Nationalismus der damaligen Zeit, blieben die sozialistischen Gewerkschaften im Grunde die einzige Organisation, wo Deutsche, TschechInnen, PolInnen (...)  gemeinsam organisiert waren und „international” für ihre sozialen Interessen kämpften.

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