Armut ist kein Schicksal

Reichtum für Alle!
Käthe Knittler

Armut und Reichtum sind keine neuen gesellschaftlichen Phänomene. Sie sind älter als der Kapitalismus selbst und Wesen jeder Klassengesellschaft. Auch in unserer Epoche sind sie keine Ausnahme, sondern die Regel. Wie weit sie auseinanderklaffen, ist keine Frage des gesamtgesellschaftlichen Reichtums, sondern eine Frage der Verteilung. In diesem Sinn also eine Frage der Stärke der ArbeiterInnenbewegung.
Die ArbeiterInnenklasse als Ganzes ist armutsgefährdet; manche Teile besonders: Arbeitslose, ungelernte ArbeiterInnen, LandarbeiterInnen, ArbeiterInnen in Ländern der sogenannten „3. Welt“. Als Unselbständige und Frau war und ist die Wahrscheinlichkeit noch höher, zu den Ärmeren zu gehören. Trotzdem scheint es, als müsse die Armut jedes Jahr aufs Neue – z.B. auf Armutskonferenzen – entdeckt werden.

Wer ist arm?

Als armutsgefährdet gelten in Österreich jene Haushalte, die weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens monatlich zur Verfügung haben. Diese Situation trifft auf 13% der Bevölkerung (ca. 1,1 Mio.) zu. Als besonders gefährdet gelten Arbeitslose, ZuwanderInnen, AlleinerzieherInnen, Menschen mit geringer Qualifikation oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Diese Liste liest sich wie ein „Who is Who“ derjenigen, die von den vergangenen und gegenwärtigen Sparpaketen besonders betroffen sind.
Das „Sparen“ – insbesondere Ausgabenseitiges – geht durch den Wegfall bzw. Verminderung der „Sozialtransfers“ auf Kosten der sozial Schwachen. Aber gerade diese Sozialtransfers stehen auf der Abschussliste der LobsängerInnen auf freie Marktwirtschaft, neoliberale Wirtschaftspolitik und auf einen “schlanken Staat”. Sie fordern außerdem mehr Flexibilisierung, Deregulierung und Privatisierung. Maßnahmen, die lohndrückend wirken und weitere Ursachen für die zunehmende Verarmung sind.

Wer ist reich?

Jeden Abend, pünktlich um 20:00 Uhr sendet der ORF2 eine weitere Folge von „Seitenblicke“. Da können dann die Reichen und Schönen bewundert werden. Man/frau kann so auch einmal in die Welt der “oberen Zehntausend” eintauchen. Und wem das noch nicht reicht, der kann sich jetzt auch das dazugehörige Heft am Kiosk kaufen. So erfährt man/frau Alles aus der Kategorie “wer mit wem”, aber nur selten, wie wer zu “seinem” Reichtum gekommen ist. Ganz nach nach dem Motto: “Über Geld spricht man nicht, Geld hat man”.
In diesem Punkte erhalten sie auch kräftige Unterstützung des Staates, denn das Privatvermögen wird nicht angetastet. Nicht in der öffentlichen Diskussion und auch nicht seitens des Staates mittels Steuern.
Tatsächlich ist es viel schwerer herauszufinden, wer wie reich ist, als wer wie arm ist. Wohlweislich wird über den Reichtum einer kleinen Schicht der Mantel des Schweigens gedeckt. Wäre allgemein bekannt wie ungleich Einkommen und Vermögen verteilt sind, könnte zu schnell die Frage kommen, ob denn das gerecht sei. Und dann „steht Ihnen das zu?“ oder „woher kommt der Reichtum?”.
Die Reichen werden immer reicher, so weit die gute Nachricht und nun die Schlechte: Die Wahrscheinlichkeit, dazuzugehören, wird immer geringer.
Arbeit ist die häufigste, wenn auch nicht unbedingt die einträglichste Form in unserer Gesellschaft, um zu Geld zu kommen. Im Kapitalismus bedeutet Lohnarbeit in der Regel, dass ich meine Arbeitskraft verkaufe und dafür einen Lohn erhalte. Sie und ich können von diesem Lohn/Gehalt zwar vielleicht leben (und sind damit schon besser dran als LohnarbeiterInnen in der “3. Welt”), reich können wir davon aber nicht werden. Auch wenn wir sehr sparsam leben und viele Überstunden machen wird uns das nicht gelingen.

Armut ist weiblich

Die Einkommen für Lohnarbeit sind durchaus unterschiedlich. So lässt sich feststellen, dass sich sowohl die Einkommensschere zwischen oberer und unterer Einkommensschicht, als auch jene zwischen Männern und Frauen in den letzten Jahren weiter auseinander entwickelt hat. Frauen sind noch zusätzlich von Armut bedroht. Ihre Erwerbsbiografie wird durch Karenzjahre unterbrochen und wegen Haus-, Kinder- und Pflegearbeit verkürzt. Dazu kommt dann noch, dass typische Männerberufe grundsätzlich besser bezahlt werden. Die Einkommensdiskriminierung von Frauen setzt sich beim Bezug der Pension, der Arbeitslosen-, Sozial-, und Notstandshilfe nahtlos fort.
Armut hat weitreichende Folgen und führt oft zu Vereinsamung. Der gewohnte Lebensstandard mit der dementsprechenden Freizeit- und damit eng verbundenen Freundschaftskultur kann aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht mehr aufrecht erhalten werden. Sei es der Kinobesuch, die Abende am Stammtisch, der Ausgang ohne Kind(er) etc. Die verschiedenen Arten von Verlust sind so unterschiedlich, wie die Vielfalt der sozialen und kulturellen Herkunft.

Reich durch Arbeit?!

Das “Problem” dabei ist, dass der erarbeitete Reichtum nicht jenen zu Gute kommt, die in erschaffen. Ein Beispiel: Ex-Billa-Chef Karl Wlaschek besitzt ein (Stiftungs-)Vermögen von geschätzten 25 Mrd. Schilling und zählt somit zu den reichsten Menschen Österreichs. Hätte er für diesen Betrag (mit einem männlichen Durchschnittsgehalt von 24.000 öS) arbeiten müssen, dann müsste er bereits im stolzen Alter von 75.000 Jahren sein. Wäre er darüberhinaus noch eine Frau, hätte er gleich 112.000 Jahre zum Erreichen dieser Summe arbeiten müssen. Denn der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen beträgt Ganze 8.000,- Schilling monatlich.
Offensichtlich kann es nicht er allein gewesen sein, der sein Vermögen erschaffen hat. Im Klartext: Karl Wlascheck ist nicht deshalb so reich, weil er so fleißig war oder so genial, sondern weil er den Menschen, die bei Billa gearbeitet haben nicht ihre Arbeit, sondern nur ihre Arbeitskraft bezahlt hat. Im Kapitalismus entsteht Reichtum durch die Aneignung unbezahlter Arbeit. Sie arbeiten z.B. acht Stunden pro Tag in einer Fabrik, ihr Gehalt entspricht aber nur dem Wert, den Sie in drei Stunden geschaffen haben, den Rest (abzüglich von Ausgaben für Rohstoffe, Investitionen etc.) bleiben dem Unternehmer.
Der/die ArbeiterIn erhält also nur einen Teil des von ihm/ihr geschaffenen Wertes für seine/ihre Arbeit. Allerdings darf man/frau nicht den Umkehrschluss ziehen, dass jede Arbeit auch Geld bringt. Es sei hier nur kurz an die umfassenden Tätigkeiten der Hausarbeit, die zu 95% von Frauen verrichtet wird, erinnert. In Geld bemessen würde das zwischen der Hälfte und zwei Drittel des Bruttoinnlandsprodukts (BIP) bedeuten. Dieser “Diebstahl” ist aber im Kapitialismus nicht nur ganz normal, sondern ist sogar sein Lebensnerv!

Wie entsteht Reichtum?

Vermögen ist noch ungleicher verteilt als Einkommen. Sie haben vielleicht ein Sparbuch oder sogar eine Eigentumswohnung. Wirklich reich sind sie deswegen aber noch lange nicht. Denn trotzdem müssen sie nachwievor arbeiten gehen, um u.a. vielleicht den Kredit für die Wohnung abzahlen zu können. Die Diskussionen um “reiche” EinkommensbezieherInenn ist eine reine Augenauswischerei. Dabei soll nur von wirklich reichen Menschen abgelenkt werden. Die haben ihr Geld nicht auf Sparbüchern liegen, sondern in “steuerschonenden” Stiftungen, Aktienbesitz oder Immobilien deoponiert.
Der Großteil der Reichtümer wurde auch nicht von einem/r Einzelnen erwirtschaftet; die meisten bestehenen Vermögen sind zumindest in ihrer Basis ererbt. Beispiele dafür gibt es genug: Julius Meinl V., Robert Hartlauer oder auch Jörg Haider mit seinem Bärentalerbe.
Auch hier gilt wieder: Gesprochen wird über das kleine “Vermögen” der kleinen Leute. Die wirklich Reichen bleiben ungeschoren und teilweise auch unbemerkt. Die Vermögenssteuern in Österreich (Erbschafts-, Grund-, Vermögens- und Kapitalverkehrssteuer etc.) machen lediglich 1,6% der abgeführten Steuern aus. Mit diesem Ergebnis ist Österreich das Schlusslicht unter allen OECD Ländern.
1993/94 wurde die direkte Vermögenssteuer ganz abgeschafft und dafür das Stiftungsrecht eingeführt. Mit der Schaffung dieser Institution ist es Österreich gelungen, sogar der Steueroase Liechtenstein Konkurrenz zu machen. So trägt z.B. die Stiftung der Familie Palmers den bezeichnenden Namen “Sesam”. Karl Wlaschek, Ex-Billa- und Immobilienbesitzer, sparte beim Verkauf seiner Billa-Anteile an den deutschen Rewe-Konzern dadurch rund 5 Mrd. ÖS an Steuern. Er war damit nicht der Einzige. In den derzeit existierenden 1200 Stiftungen liegen geschätzte 600 Mrd. ÖS. In jener Stiftungsurkunde, die der Öffentlichkeit zugänglich ist, muss lediglich der gesetzliche Mindestbetrag von 1 Mio. Schilling ausgewiesen werden. Auch der Name der StifterIn muss nicht angeführt werden (!). Die Anonymität der Superreichen ist heilig.

Reich durch Zinsen?

Auch von der Möglichkeit “das Geld für sich arbeiten zu lassen”, so der Werbespruch einer Bank, können größtenteils nur die oberen Einkommensschichten Gebrauch machen. Von Ihren 2, 3, 4 oder gar 6,25 Prozent Zinsen können Sie sich was Nettes kaufen – aber reich machen sie sie nicht. Das untere Einkommensdrittel bezieht lediglich 6,5% des Zinseinkommens, das Mittlere 25% und das reichste Drittel 60%. Somit sind auch Zinseinkommen ungleicher verteilt als Lohneinkommen. Auch hier ist das Steuersystem zugunsten der ohnehin schon reichen! Zinseinkommen wird mit einem einheitlichen Steuersatz (25% KeSt), der höhere Einkommen steuerlich begünstigt, belastet.
Das österreichische Steuersystem fördert die Ungleichheit noch und begünstigt die Reichen. In der Theorie steuert der Staat den Ungerechtigkeiten mittels progessiver Lohn- und Einkommenssteuer entgegen. Konkret heisst das höhere Bezüge werden stärker belastet.
Doch wenn Sozialversicherungsbeiträge und Umsatzsteuer mit berücksichtigt werden, wird diese Entwicklung wieder aufgehoben. In Österreich ist die Einkommensbesteuerung de facto linear. Die Vermögenssteuer existiert nicht, Zins-, Erbschafts- und Schenkungssteuer begünstigen ebenfalls die ohnehin schon Reichen. Die AK schätzt, dass jährlich Vermögen im Wert von ca. 100 Mrd. ÖS vererbt bzw. verschenkt werden. Dafür aber, aufgrund der viel zu niedrig angesetzten Einheitswerte, nur 1,1 Mrd. öS an Steuern abgeführt werden.
Aber damit nicht genug – die Umverteilung von unten nach oben, von Arbeit zu Kapital, wird beschleunigt. Das Gewinnsteueraufkommen ist in den letzten Jahren im Verhältnis zu jenem der Lohnsteuer gesunken. Von 1992 bis 1999 ist das Lohnsteueraufkommen um 49% von 134 Mrd. öS auf 203 Mrd. gestiegen. Die Gewinnsteuer stieg hingegen nur um 6% von 88 Mrd. auf 90 Mrd. Gleichzeitig sind die Gewinne aber weit stärker gestiegen als die Löhne- und Gehälter, sodaß die Schere immer größer wird. Mit einer Gewinnsteuerquote, wie z.B. in Finnland, wäre das Staatsdefizit verschwunden, mit jener der Niederlande gäbe es sogar einen Überschuss von knapp 17 Mrd. Schilling!
Die blauschwarze Regierung will diese Entwicklung noch beschleunigen. Z.B. durch das 3-Säulen-Modell bei der Pensionsversicherung oder durch die Flat-Tax-Pläne der FPÖ. Unter dem Vorwand der “Gerechtigkeit” wollen die freiheitlichen die Steuern für hohe Einkommen weiter reduzieren. Jene für niedrige Erhöhen und die von großen Vermögen bleiben weiterhin unangetastet.
Die ArbeiterInnenklasse erkämpfte den Sozial- und Wohlfahrtsstaates, um die dem Kapitalismus immanente Ungleichverteilung wenigstens teilweise auszugleichen. Zwar ändert auch das Beste aller Umverteilungssysteme nichts an der kapitalistischen Tatsache, dass der von der ArbeiterInnenklasse geschaffene Reichtum anderen zufällt, aber es federt Ungleichheiten ab. Nun sind aber nicht nur die Einkommen der ArbeiterInnen unter Beschuss, sondern auch der Sozialstaat an sich. Der Sozialabbau der letzten Jahre und die Pläne der blauschwarzen Regierung machen die Reichen reicher. Wenn Gewerkschaften zurückgedrängt werden und der/die ArbeiterIn allein verhandeln muss, wenn es keine staatliche, sondern nur mehr private Pensions- und Krankenversorgung gibt, wenn Bildung und Gesundheit kostet, wenn Frauen aus dem Erwerbsprozess gedrängt werden, dann macht das die Armen ärmer und die noch nicht Armen arm.
Wenn die Armut steigt, wird zunehmend nach Antworten gefragt. Ihre Antwort ist Gnade nicht Recht. Es gibt kein Recht mehr auf Zahlung von Sozialleistungen (in die wir jahrelang eingezahlt haben), aber es gibt Gnade. Gnade heißt, dass zynisch einige der Krümel vom Tisch der Reichen abfallen. Einer der perfidesten Berührungspunkte zwischen Arm und Reich sind die wieder in Mode geratenen Charity-Partys. Die Stimmung ist geprägt von gönnerInnenhafter Gefühlsduselei. Man/frau applaudiert sich gegenseitig für die Großzügigkeit. Die Reichen bleiben unter sich und die Armen draussen. Über politische Ursachen braucht nicht nachgedacht zu werden. Eine ähnliche Funktion erfüllt die Aktion der Caritas: “Österreich für Österrarm” und auch “Licht ins Dunkel”. Sie greifen auf die mittelalterliche Tradition des Ablasshandels zurück: Eine milde Gabe für ein reines Gewissen.

Armut Abschaffen? Reichtum Abschaffen!

Armut und Reichtum hängen im Kapitalismus untrennbar zusammen. Im Gegensatz zu früheren Gesellschaften ist der gesamtgesellschaftliche Reichtum gross genug, dass ALLE Menschen auf der gesamten Welt ein Leben mit ausreichend Nahrung, Wohnung, Kleidung, Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur haben könnten. Die Einen sind Arm, weil die anderen Reich sind – und umgekehrt. Es gab und gibt zahlreiche Ansätze um hier gegenzusteuern. Der Sozialstaat, die Arbeitszeitverkürzung und Steuern. Die sofortige Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn ist z.B. eine konkrete Maßnahme, die weit mehr helfen würde, Armut zu bekämpfen als alle Wohltätigkeitsveranstaltungen zusammen: Arbeitslose würden Arbeit bekommen und die Löhne würden steigen, weil der Druck auf die Beschäftigten geringer wäre. Finanzierbar ist eine solche Maßnahme aus den explodierenden Unternehmensgewinnen.
Aber ausreichend wäre diese Maßnahme nicht. Solange es die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt, solange sich einige wenige an der Arbeit Vieler bereichern, wird es Armut geben. Um am gesellschaftlichen Reichtum stärker teilhaben zu können bleiben uns nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Bank zu überfallen oder aber für Sozialismus zu kämpfen.
Zynisch? Nein, realistisch, denn nur in einer Gesellschaft ohne Ausbeutung werden Armut und Ungleichheit beseitigt sein.