1974 - Revolution in Portugal

Ein halbes Jahrhundert faschistischer Herrschaft wurde in nur einem einzigen Tag beiseite gefegt.
von Manny Thain

Alles begann am Donnerstag den 25. April 1974, als um 12.25 im Radio das Lied "Grandola Vila Morena"gespielt wurde. Am frühen Abend wurde bereits das Ende der faschistischen Gewaltherrschaft verkündet. Fortschrittliche, radikale Offiziere um das "Movimento das Forças Armadas" (MFA) führten schließlich den vom Kapitän Otelo de Carvalho entworfenen Plan zum Sturz des Regimes durch. Truppen sicherten demnach die beiden größten Städte Lissabon und Porto. Schlüsselpositionen wurden übernommen und die Minister verhaftet.

Die Nachrichten vom Fall des verhassten Regimes verbreitete sich in windes Eile. Die Menschenströmten sofort auf die Straßen. MFA-Fahrzeuge wurden von den begeisterten Massen belagert. Tausende von Schülern marschierten durch die Strassen und schrieen "Nieder mit den Faschismus". Rote Nelken, das Symbol der Revolution, steckten in den Gewehrläufen und verzierten die Strassen während dem spontanen Fest der Befreiung.

Der ehemalige Diktator, Marcello Caetano, versteckte sich einer Kaserne der Nationalgarde. Er war der Nachfolger des faschistischen Regimes von António Salazar, das sich in den frühen 1930ern etablierte. Paramilitärische Gruppen terrorisierten Linksgerichtete und radikale Arbeiter. Unabhängige Gewerkschaften und Streiks waren verboten. Die Geheimpolizei hatte ein massives Netzwerk von Agenten undSpitzel aufgebaut. Folter war systemisch und allgegenwärtig.

Sogar unter diesen Bedingungen, widersetzten sich Arbeiter. Illegale Gewerkschaften wurden gegründet und operierten im Untergrund. Die Partido Comunista Português (PCP) bestand als Untergrundorganisation. Studentenprotest flackerte auf.

Der Sargnagel für das Regime waren schließlich die bewaffneten afrikanischen Befreiungsbewegungen – besonders in Angola, Guinea-Bissau und Mosambik. Viele Mitglieder der mittleren Offiziersränge waren zwischenzeitlich vom Marxismus beeinflusst worden. Die Radikalisierung setzte sich mit der brutalen Unterdrückung, der um ihre Freiheit kämpfenden Menschen in Afrika fort. Eine Politik, die immer mehr Widerstand erzeugte und von den Offizieren aufgegriffen wurde. Für das Regime Cateanos aber waren die Kolonien der Unterschied zwischen einer unbeutenden Nation und der Aufrechterhaltung des Status eine Weltmacht. Auf der anderen Seite war Portugal das ärmste Land in Westeuropa. Seine unterentwickelte Wirtschaft basierte auf dem Export von Sardinen, Textilien, Kork und Holz. Die Ausgaben für die Kolonialkriege verschlangen mehr als 40% des Gesamtbudgets.D ie MFA gründete eine „Junta zur nationalen Rettung“, die bis zur Bildung einer provisorischen Regierung die Staatsgeschicke übernahm. Freie Wahlen wurden innerhalb eines Jahres versprochen. Es folgte eine Amnestie für politische Häftlinge und die Meinungsfreiheit und das Recht auf Vereinigungen wurde verkündet.

General António de Spínola wurde amtsführender Präsident. Der Sohn eines Freundes von Salazar, Spínola hatte bis dahin „tadellose“ faschistische Referenzen. Gleichzeitig trat er aber auch für eine Abschwächung der direkten kolonialen Herrschaft ein. Das brachte ihm eine gewisse Unterstützung ein.

Die MFA reflektierte ein breites Spektrum politischer Ansichten. Die Linken, einschließlich Carvalho und Vasco Gonçalves, waren stark vom „Sozialismus“(Stalinsmus) in Osteuropa, Kuba oder Algerien beeinflusst. Andere, wie Melo Antunes, waren mit den Sozialdemokraten um Mário Soares verbunden.

Die mit demFaschismus eng verwobenen Firmenbesitzern und Großgrundbesitzern, wurden von den Arbeitern aus den Fabriken und ihren Besitztümern vertrieben. Der Redakteur der Tageszeitung „Diário de Notícias“ wurde am 7. Juni davongejagt, nachdem die Drucker die Druckerei übernommen hatten und einen Artikel veröffentlichen, der seine faschistischen Verbindungen zeigte. Obdachlose bezogen leer stehende Liegenschaften. Werft- und Tiefbauarbeiter begannen einen Streik für eine 50%ige Gehaltssteigerung. Die Arbeiter der Autoindustrie erkämpften die 40-Stunden Woche. Bäckerei- und Textilarbeiter streikten ebenfalls. Eisenbahn-und Straßenbahnschaffner weigerten sich die Fahrpreise zu kassieren.

Spínola's Regierung beinhaltete neben Politikern mit Verbindungen zum alten Regime – wie zum Beispiel die neue konservative Partido Popular Democrático (PPD) – die Partido Comunista Português (PCP), die Partido Socialista (PD) und die MDP/CDE. Der PS Führer Mário Soares, ein bekannter von den sozialdemokratischen Parteien (und dem CIA) finanzierter Anwalt, kehrte am 28. April aus dem Exil zurück. Álvaro Cunhal, Anführer der PCP, kam am 30. April nach 14 Jahren wieder aus Osteuropa zurück nach Portugal. Sie teilten sich ziemlich schnell untereinander die Macht auf.

Spínola zielte darauf ab, die PS und die PCP zu benutzen, um die revolutionäre Welle einzudämmen. Beide Parteien erfreuten sich explosionsartigen Zulaufs. Die PS-Mitgliedschaft stieg von 200(!) im April 1974 auf 60.000 am Beginn des Jahres 1975. Ihre Basis hatte sie dabei unter den Angestellten und besserqualifizierten Arbeitern. Die PCP-Hochburgen waren bei den Landarbeitern imSüden, und in den industriellen Zentren.

Schockiert undparalysiert sahen die imperialistischen Mächte zu, wie die PCP in die Regierung eines NATO Mitgliedslandes eintrat. Sie fürchteten die Auswirkungen eines„kommunistischen“ Staates in Westeuropa, besonders in Hinblick auf Francos allmählich sterbender Diktatur in Spanien. Aufgrund der weltweiten wirtschaftlichen Rezession und dem Waterloo der US-Amerikaner in Vietnam, hatte der Imperialismus nur wenig Spielraum zum Reagieren.

Das größte Problem war, dass sich einflussreiche Anführer der Bewegung, wie Cunhal, der Politik der sowjetischen Bürokratie verschrieben hatten. Sie verzichteten daher auf unabhängige Massenaktionen der Arbeiterklasse in Richtung eines demokratischen Sozialismus. Aber so wurde die Arbeiterklasse nur mobilisiert, wenn ein Druckmittel gebraucht wurde. Gleichzeitig verließen sich die PCP Anführer auf ihren Einfluss in der MFA, wo Politik hinter verschlossen Türen betrieben wurde.

Die von der MFA ergriffenen radikalen Maßnahmen waren die Antwort auf den Druck der Massenbewegungen und weniger Ausdruck eines bewussten sozialistischenProgramms. So betraf die Einführung eines Mindestlohns von rund € 82,- pro Monat 65% der Arbeiter. Es gab eine Kontrolle der Preise und Mieten während brach liegendes oder nur gering bewirtschaftetes Land der Großgrundbesitzer besteuert wurde. Eintausend führende Gesellschaftsdirektoren wurden entlassen.

30.000 Beschäftige der Post streiken vom 17. bis 21. Juni. Aber auch bei den Eisenbahnen, den Elektrizitätswerke, der Schifffahrt und anderen bedeutenden Industriezweigen wurde gestreikt. Die PCP versuchte dabei krampfhaft die Bewegung zu kontrollieren und die Arbeiter von weitergehenden Maßnahmen zurückzuhalten. Die PCP Zeitung „Avante“ kritisierte die Firmenbosse für zu große Zugeständnisse bei den Lohnerhöhungen. Auf Regierungsseite half der PCP ein Gewerkschaftsgesetz einzuführen, das sowohl Streiks legalisierte, aber auf deranderen Seite versuchte Arbeitskämpfe einzuschränken. So hatten die Arbeiter zwar das Recht Streikposten aufzustellen, durften aber nicht die bestreikten Firmen besetzen oder Solidaritätsaktionen organisieren.

Die PS verurteilte zynisch diese Einschränkungen. Das war Teil ihrer Strategie, die Arbeiterklasseweg von der PCP und radikalen Linke auf ihre Seite zu bringen. Soares forderte regelmäßig die sozialistische Umwandlung der Gesellschaft. Sobald sich aber die Gemüter wieder etwas beruhigt hatten, versuchte er die Bewegung auf einen reformistischen, kapitalistischen Weg zu bringen.

Spínola rief für den 28. September zu einer Demonstration der „schweigenden Mehrheit“ auf. Damit wollte er das Kräfteverhältnis austesten. Gerüchte zirkulierten von einem rechtsgerichteten Putsch. Als Antwort darauf, errichteten bewaffnete Arbeiter Straßensperren, um die reaktionär-konservativen Kräfte zu hindern nach Lissabon zu kommen. Als schließlich „die schweigsame Mehrheit“ sang und klanglos verdunstete, sagte geschlagener Spinola das Ganze ab. Rechtsgerichtete Offiziere und Zivilisten wurden verhaftet.

In Folge wurden die politischen Auseinandersetzungen zunehmend gewaltsamer. Der erste Kongress vom rechtsgerichteten „Centro Democrático Social“ (CDS – der sich um Mitglieder des ehemaligen Regimes bildete) wurde am 25. Jänner von wütenden Protestanten und Arbeitern belagert und musste schließlich abgesagt werden. Soldaten unterstützten die Demos und Aktionen.

Am 7. März wurde eine Versammlung des konservativen PPD in der Industriestadt Setúbal von Protestanten aufgelöst. Bei den Auseinandersetzungen rund um diese Versammlung kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen 2 Demonstranten erschossen wurden.

Spinola unternahmam 11. März 1975 einen neuerlichen mickrigen Versuch die Macht an sich zureißen. Die Fallschirmspringer, auf denen sein Plan beruhte, verweigerten dieUnterstützung und meuterten. Die Tatsache, dass 6 Mitglieder der Bankiersfamilie Espírito Santo an dem missglücktem Putsch beteiligt waren, heizte die Stimmung noch weiter auf. Die von den Bankiersfamilien ausgeübte wirtschaftliche und politische Macht bedeutete, dass sie insbesondere von Arbeitern und weiten Teilen des Mittelstands gehasst wurden.

Eine Untersuchung der Bankangestellten deckte auf, dass die Espírito Santo Familie Geld veruntreute, um damit die Reichtümer der Familie vor Vergesellschaftung zu„retten“. Sie finanzierten Rechtsparteien. Schließlich besetzen Arbeiter die Bank und verhinderten die Vernichtung von Beweisdokumenten oder Geld auf die Seite zu schaffen. Am 14. März wurden portugiesische Banken verstaatlicht! 

Am 11. Juli verabschiedete sich die PS aus Protest über die Übernahme einer ihr nahestehenden Zeitung „República“ durch kommunistische Drucker aus der Regierung. Soares beschuldigte die Arbeitermilizen einen kommunistischen Polizeistaat zuerrichten. Mit dem Rückzug der PPD am 17. Juli brach dann die vierte Koalition in nur 15 Monaten zusammen.

Alles spitze sich in Richtung einer Entscheidung zu. Ein Triumvirat bestehend aus PräsidentFrancisco de Costa Gomes, Premierminister Gonçalves und Carvalho erweckte oberflächlich den Eindruck, dass die PCP/MFA Linke gestärkt wurde. Im Hintergrund aber gewannen ausgehend vom Norden des Landes, rechte Parteien mit Angriffen auf die Büros und Aktivsten von PCP und MDP-CDE wieder an Mut und Zuversicht.

Der MFA pro-Sorares Flügel um Antunes war gestärkt. Am 29. August wurde Gonçalves entfernt, und eine von der PS und PPD unterstützte Gruppe übernahm die Führung im MFA. Als am13. November 30.000 Bauarbeiter für höhere Löhne und eine Verstaatlichung des Bauwesens die Versammlung umzingelten, weigerten sich die MFA-Truppeneinzugreifen. Als nächstes wurde Carvalho aus seinem Amt entlassen und die PCP-Vertreter aus ihren Funktionen geschmissen.

RechtsgerichteteGruppen mobilisierten für den 24. November den Bau von Barrikaden, um das „Rote Lissabon“ zu isolieren. Dabei stützten sie sich hauptsächlich auf arme Bauern aus dem Norden. Am Tag darauf besetzten rechte Militärs unter Führung von António Eanes Militärbasen; der Ausnahmezustand wird ausgerufen.

Schließlich war die alte Ordnung wieder hergestellt. Es würde aber trotzdem noch viele Jahre verbitternder Kämpfe brauchen, um alle Errungenschaften wieder zu Nichte zumachen. Darunter fielen weitreichende Reformen auf dem Land, im Gesundheitswesen, bei der Bildung, Sozialleistungen, der Wohnsituation, den Löhnen und schließlich die Verstaatlichung von rund ¾ der Gesamtwirtschaft.

Ohne ein tatsächlich revolutionäres Programm zu haben, konnte die portugiesische Arbeiterklasse die 50 jährige Gewaltherrschaft stürzen – ein weitere großartige Errungenschaft der Revolution!

Das Ausmaß zeigt aber, dass noch mehr möglich gewesen wäre. Eine sozialistische Revolution stand auf der Tagesordnung. Am deutlichsten zeigte sich dabei das Fehlen einer klaren sozialistischen Perspektive. Diese einzubringen wäre die Aufgabe einer von der Arbeiterklasse unterstützten revolutionären Partei gewesen. Keine der handeltenParteien konnte im Laufe der Revolution aber diese Rolle erfüllen.

Nichtsdestoweniger legten die Arbeiter Portugals in ihrem Kampf eine neue Messlatte – vielleicht sogar einen neuen Rekord – für revolutionäre Initiative, Energie und Entschlossenheit. Sie werden sich bei den kommenden Kämpfen auf diese reichenTraditionen berufen müssen.

Was das CWI 1974 analysierte:

In der Zeitung „Militant“, die damalige Zeitung der heutigen Socialist Party of England &Wales (Schwesterpartei der SLP & SAV) erschienen unmittelbar nach dem Putsch vom 15. April Analysen und Artikel. Sie wurden ins Portugiesische übersetzt und in den Parteien der Arbeiter, insbesondere der Sozialistischen Partei und der Jungen Sozialisten verbreitet. Darin wurde die sehr kritische Rolle der Arbeiterparteien und ihrer Anführer für eine erfolgreiche Umgestaltung der Gesellschaft anhand eines sozialistischen Musters erklärt. Mit dieser Aufgabe konfrontierten sie die Führungen von PCP und PSP in einem Vergleich mit der erfolgreichen Revolution in Russland 1917 durch die Bolschewiki.

"Die Sozialistische Partei hat keine Tradition des Kampfes unter dem Salazar/Caetano-Regime gehabt. Trotzdem wird sie unter den gegenwärtigen Bedingungen zweifellos zu einer Arbeitermassenpartei, genauso wie dieMenschewiki (der reformistische Flügel in der russischen Revolution) im Februar 1917 zu einer Massenpartei wurden…

Die Millionen von politisch unerfahrenen Massen, die nun in diesen Kampf gezogen werden, unterscheiden nicht zu erst zwischen den unterschiedlichen Tendenzen in derArbeiterklasse. Aus diesem Grund ist vordringlichste Aufgabe der Kommunistischen Partei, mit allem ihrem Prestige den Arbeitern imI ndustriebereich von der Gefahr zu überzeugen, die entsteht, wenn die Macht in die Hände der Bürgerlichen gelegt wird.“

„Das ist der Weg, wie die Bolschewiki die überwältigende Unterstützung der russischen Arbeiter innerhalb weniger hektischer und stürmischer Wochen gewann und die erste Sozialistische Revolution unter ungünstigeren Bedingungen als in Portugal erfolgreich anführten. 

…"Bisher wardie Aufgabe der PCP darauf beschränkt, die Arbeiter in Interesse der Juntaruhig zu halten. Die PCP hat dann die spontanen Handlungen der Arbeiter Fabriken zu besetzen verurteilt und jetzt ist auf Geheiß der PCP ein Stahlstreik abgesagt worden.“

…“Wenn auch nur entweder die sozialistische oder die kommunistische, eine tatsächlich revolutionäre Partei gewesen wäre, könnten die Arbeiter heute an der Macht stehen. Aber stattdessen sehen wir, dass diese Parteien all ihr Prestige und ihren Einfluss darin verwendeten sich für die Kapitalistenklasse zu prostituieren.“

Die Wahlen vom 25. April 1975 waren die ersten auf ein allgemeines Wahlrecht basierende Wahlen. Mehr als sechs Millionen Menschen waren wahlberechtigt; 91,73% gaben ihre Stimme ab. Die PS gewann 37.9% (115 Sitze), PPD 26.4% (80), PCP 12.5% (30), CDS7.7% (16), MDP-CDE 4% (5), UDP 0.8% (1 Sitz).

Insgesamt hatten 58,5% für linke Parteien (einschließlich derer, die keine Sitze gewannen) gestimmt. Das zeigte die weit verbreitete Unterstützung für sozialistischeIdeen im Allgemeinen.

Daneben gab es auch noch eine tiefe Skepsis gegenüber dem Stalinismus. Das von der ehemaligen Sowjetunion gebotene „Modell“ war für die Arbeiterklasse unattraktiv und die PS konnte diese Stimmung und Ängste für sich nutzen.

(Übersetzung: Ali Kropf)