Für eine sozialistische Frauenbewegung

Echte Frauenpolitik stellt die Profitlogik in Frage!
Sonja Grusch

Der Kampf muss jetzt begonnen und im Sozialismus vollendet werden.

Alle sind für Frauenrechte (auch wenn Unterschiedliches gemeint ist). Das Gefühl, Ungerechtigkeiten und Sexismus nicht mehr hinnehmen zu wollen, ist weit verbreitet. Der Unterschied zwischen der „du kannst alles machen“-Propaganda und der Realität von Frauen ist himmelschreiend. Immer mehr Frauen sind berufstätig und der Druck nimmt spätestens seit der Krise 2007 massiv zu. Die Versprechen wurden nicht eingelöst. Die Bereitschaft, sich zu wehren wächst. Doch es fehlt das Programm.

Analysen und Lösungsvorschläge bleiben weitgehend auf der individuellen Ebene. Das spiegelt den gesellschaftlichen Rückschlag der letzten Jahrzehnte wider. In der 2. Frauenbewegung ab Ende der 1960er Jahre galt „das Private ist Politisch“. Damit wurde auf gesellschaftliche Ursachen von Frauenunterdrückung hingewiesen. Spätestens seit den 1980er Jahren aber dominieren Konzepte, die aus dem universitären Bereich kommend auch Aktivist*innen beeinflussen. Zusammengefasst als „Identitätspolitik“ erklären sie die Gesellschaft als Zusammenspiel verschiedener Interessensgruppen. Man setzt beim individuellen Erleben von Unterdrückung und Benachteiligung an – und bleibt dort stehen. Es fehlt die Analyse der allgemeinen gesellschaftlichen Kräfte, die die Ursache von Unterdrückung sind. Entsprechend einer beschränkten Analyse bleiben dann die Lösungen letztlich auf individueller Ebene stecken.

Im Gegensatz dazu hat Friedrich Engels bereits im 19. Jahrhundert erkannt, dass die Ursachen von Frauenunterdrückung in der Entwicklung von Klassengesellschaften liegen. Die heutige ist der Kapitalismus und dieser braucht die günstige oder kostenlose Arbeit von Frauen bei der „Erzeugung“ neuer Arbeitskräfte und der Pflege und Betreuung der existierenden. Das herrschende Frauenbild (und auch seine Veränderung) folgt dieser Notwendigkeit. Selbstverständlich gibt es individuell sexistisches Verhalten und dieses gehört auf allen Ebenen bekämpft. Die Ursachen dafür sind nicht individuell und nicht biologisch, sondern gesellschaftlich. Und darum können auch alle Lösungsansätze, die die gesellschaftliche Ebene ignorieren letztlich nur scheitern. Das wird konkret, wenn wir uns die dringenden Probleme anschauen: Gewalt, Sexismus, Armut…

Die Regierung erhöht die Strafen bei Sexualdelikten. Das wird nicht zu weniger Vergewaltigungen führen. Die bei weitem meisten Gewaltakte gegen Frauen finden zuhause und durch den (Ex-)Partner bzw. Verwandte statt. Es spricht nichts dagegen, wenn Mädchen Selbstverteidigung lernen. Es ist wichtig, mehr Geld für Frauenhäuser zu fordern. Doch all das wird am Grundproblem nichts ändern: Der finanziellen Abhängigkeit. „Sex statt Miete“ ist die ekelhafte Folge explodierender Mieten. Unzählige Frauen müssen bei einem Mann bleiben, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Als Sozialist*innen fordern wir daher eine massive Wohnbauoffensive durch die öffentliche Hand, um ausreichend günstigen Wohnraum zu schaffen. Und wir fordern die Enteignung von aus Spekulationsgründen leerstehenden Wohnungen, damit niemand obdachlos oder in einer Zwangsbeziehung bleiben muss.

Die andere Seite der finanziellen Abhängigkeit sind niedrige Löhne, Pensionen bzw. Sozialleistungen. Alle Parteien sind auf dem Papier für gleiche Bezahlung – aber ihre Politik bewirkt das Gegenteil. Weniger Geld bedeutet mehr Abhängigkeit. Es spricht nichts dagegen, Mädchen zu motivieren, in die besser bezahlten Männerberufe zu gehen oder mehr Einkommenstransparenz zu fordern. Doch auch wenn der Equal Pay Day inzwischen von öffentlicher Seite aufgegriffen wird, gibt es ihn immer noch. Weil schöne Worte nichts ändern. Als Sozialist*innen fordern wir als erste Schritte die Einführung eines Mindestlohnes von 1.700.- (sowie Mindestpension und Sozialleistungen in gleicher Höhe) sowie die automatische Anpassung von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen an die Inflation.

Seit 1999 ist im Ehe- und Familienrecht gesetzlich vorgesehen, dass die Hausarbeit ausgewogen aufgeteilt ist. Trotzdem arbeiten Frauen rund doppelt so lang in Hausarbeit wie Männer und verrichten den größten Teil der unbezahlten Pflegearbeit. Es ist nicht falsch, zu fordern, dass die Hausarbeit „halbe-halbe“ aufgeteilt werden soll – nur greift die Forderung Meilen zu kurz! Denn sie stellt nicht in Frage, dass ein großer Teil von gesellschaftlich notwendiger Arbeit kostenlos privat erledigt wird. Kranke werden von überforderten und unqualifizierten Angehörigen gepflegt anstatt von Profis. Und warum soll jedes Fenster in einem Haus individuell geputzt werden? Als Sozialist*innen fordern wir die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Ausreichend und gut bezahlte Profis in einem öffentlich finanzierten Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen sollen sich um Kinder, Kranke und Alte kümmern. Wenn für ein Hotel zentral gewaschen, gekocht und geputzt werden kann – warum dann nicht auch für Privathaushalte? Und durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich würden nicht nur Jobs geschaffen, sondern wir könnten die gesparte Zeit für uns und „Qualitätszeit“ mit unseren Lieben verwenden.

Seit 1975 gilt in Österreich die Fristenlösung – und zeigt, wozu ein solch individualiserter Ansatz führt. Denn wenn dem Recht auf Abtreibung keine kostenlosen Möglichkeiten in öffentlichen Spitälern folgen, dann können viele Frauen davon nur schwer Gebrauch machen. Gerade einmal 17 Stellen gibt es im ganzen Land für einen Abbruch, in mehreren Bundesländern gar keine, die meisten privat und alle teuer. Dieser Zustand ist die Folge einer Frauenpolitik, die glaubt, dass Frauenbefreiung im Rahmen des Kapitalismus möglich wäre. Doch die Appelle an die Herrschenden wirken nur, wenn ihnen unsere Forderungen gerade in ihr Konzept passen. Sonst werden Errungenschaften auch ganz schnell wieder abgeschafft. Und es kommt die Propagandawalze von der Frau, die die Doppelt- und Dreifachbelastung leicht und lächelnd schupft.

Die Angriffe auf Kinderbetreuung, Recht auf Abtreibung und unsere Löhne sie sind keine „Frauenprobleme“ und können mit individuellen Lösungen nicht zurückgeschlagen werden. Es ist ein Kampf um soziale Rechte und stößt daher zwangsläufig an die Grenzen eines bürgerlichen Staates und kapitalistischer Profitinteressen. Die großen Privilegien liegen nicht bei Männern, die ein paar Euro mehr verdienen, sondern bei einer kleiner Schicht Superreicher, die fast den ganzen Reichtum dieses Planeten besitzen. Diese Elite hat ein Interesse daran, einen Konflikt zwischen uns „hier unten“ zu schüren, um selbst aus dem Schneider zu sein. Ist das eine Entschuldigung für sexistisches Verhalten von Kollegen? Garantiert nicht, das gehört sofort und entschieden bekämpft – nicht zuletzt auch deshalb, weil Sexismus den Kampf gegen das System, das Frauenunterdrückung braucht, erschwert. Wenn wir Frauenunterdrückung auf Dauer und grundlegend beseitigen wollen, dann braucht es den gemeinsamen Kampf all jener, die von diesem System ausgebeutet werden, den Arbeiter*innen. Wir müssen dieses kapitalistische System beseitigen, das auf der Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit durch eine kleine Minderheit beruht.

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