Wen vertritt der ÖGB?

Zunft oder Gewerkschaft?
Karin Wottawa

Zwei Aktionstage, eine Parlamentsumrundung, die Beteiligung an einer Großdemonstration und endlose Diskussionen - das ist die magere Bilanz des ÖGB gegen Blauschwarz. Dass der ÖGB bisher nur wenige Lebenszeichen gegen den Sozialabbau, den Rasissmus und die Angriffe auf Gewerkschaftsrechte durch diese Regierung gesetzt hat, wurzelt in seiner Tradition. Ein weiterer Grund ist aber auch die Konzentration bzw. Reduktion  auf traditionelle Schichten der ArbeiterInnenklasse. Das typische ÖGB-Mitglied ist ein österreichischer, männlicher Industriearbeiter oder Büroangestellter. Auf die Veränderungen in der Beschäftigtenstruktur hat der ÖGB nur wenig reagiert. In der Widerstandsbewegung sind aber zu einem Gutteil auch jene "nicht-traditionellen" Teile der ArbeiterInnenklasse aktiv, die der ÖGB nur wenig wahrnimmt.

Die Frau - das unbekannte Wesen

Obwohl Frauen fast die Hälfte der Beschäftigten stellen, sind sie im ÖGB nur wenig vertreten und Frauenthemen nur Randthemen. Gerade Frauen sind durch die Sparmaßnahmen dieser und der vorherigen Regierungen mehrfach belastet. Aber die Gewerkschaft hat für Frauen in den letzten Jahren nicht gerade viel erreicht. Um nur den Handel - eine typische Frauenbranche - als Beispiel zu nehmen: der 8. Dezember als Feiertag ist mit Zustimmung der Gewerkschaft schon passé, täglich können Geschäfte bis spätabends offen gehalten werden und Samstagmittag darf auch schon gearbeitet werden. All das in nur ein paar Jahren.
Insgesamt haben Frauen von vornherein im "Männerverein" Gewerkschaft nur wenig Chancen. Das Dickicht ist für sie oft nur schwer zu durchdringen. Auf betrieblicher Ebene schaffen sich Männer durch ihre gesellschaftliche Position gestärkt oft schneller Positionen im Betriebsrat. Nicht selten hieven sie sich mit Argumenten wie eine bessere Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der Geschäftsleitung zu haben oder keine "Babypause machen zu müssen" die gewerkschaftliche Karriereleiter nach oben. Beispiel Textil- und Bekleidungsindustrie: hier sind fast nur Frauen beschäftigt - außer im Betriebsrat und der Gewerkschaft, die bleiben männlich dominiert.
Auf gewerkschaftlicher Ebene bleiben Frauen insofern leicht auf der Strecke, als die gewerkschaftlichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die meist am Wochenende oder Abend stattfinden, für Frauen oft ein unüberwindbares Hindernis darstellen, wenn sie Kinder betreuen müssen.

Kein Platz für ImmigrantInnen

Gerade in Österreich sind MigrantInnen mit der Situation konfrontiert, dass GewerkschafterInnen ausländerfeindlichen Gesetzen zustimmen. Ihr Scheinargument ist: Schutz der österreichischen Arbeitskräfte. Damit vollzog die Gewerkschaft die rasisstische Spaltung der ArbeiterInnenklasse nach und schwächte diese dadurch. Das geht soweit, dass sie auch weitgehend von demokratischen Prozessen innerhalb der Gewerkschaft und den Betrieben ausgeschlossen sind. So dürfen sie zwar BetriebsrätInnen wählen, aber sich selbst nicht aufstellen lassen. Das sichert vor allem der SP-Fraktion viele Stimmen. So müssen die MigrantInnen unter den Übeln wählen, die sich "vertreten" sollen. Es verwundert dann auch nicht, dass der Organisationgrad eher gering ist.

Wer die Jugend hat hat die Zukunft...

Viele Jugendliche kennen die traditionelle Jugendarbeit der Gewerkschaften nicht mehr und finden sich in den Strukturen, die die Gewerkschaft anbietet häufig nicht wieder. Der Wille zum politischen Engagement ist zwar da, doch Jugendliche, die an ihrer Lebenssituation und der Welt in der sie leben etwas ändern wollen haben nur wenig Möglichkeit sich zu aktivieren. Sie lernen die Gewerkschaft nicht als die Kampforganisation kennen. Für sie ist der ÖGB eine Serviceorganisation, wie z.B. auch der ARBÖ od. ÖAMTC, mit kaum Möglichkeiten zur demokratischen Mitbestimmung.
Heute gibt es kaum noch Jugendstrukturen des ÖGB bzw. der Fachgewerkschaften. Begründet wird das damit, dass die Jugend sei unpolitisch sei. Spätestens die Widerstandsbewegung beweist das Gegenteil. Aus dieser konnte sich die Gewerkschaftsjugend auch teilweise reaktivieren. Aber diese AktivistInnen werden rasch die bürokratischen Grenzen gewerkschaftlicher Aktivität sehen. Anstatt mitzugestalten und mitzubestimmen degradiert der ÖGB seine Mitglieder zu passiven BeitragszahlerInnen. Und so stellen die undemokratischen Strukturen des ÖGB reales Hinderniss für politische Aktivität von v.a. Jugendlichen dar.

Atypische Mitglieder?

Die wachsende Gruppe von Menschen, die in unsicheren und atypischen Beschäftigungsverhältnissen stecken, scheint für den ÖGB auch nicht interessant zu sein. Arbeitslose dürfen Mitglied bleiben, wenn sie es schon sind, werden aber nicht extra angesprochen.
Damit entgehen dem ÖGB mehrere Gruppen von ArbeiterInnen, die besonders betroffen sind von den Angriffen der blauschwarzen Regierung und die international aber auch in Österreich ein wichtiges Potential für Widerstand gegen neoliberale und gewerkschaftsfeindliche Politik darstellen.
Seit Jahren beklagt der ÖGB den Mitgliederrückgang, kaschiert in mühsam mit PensionistInnenregelungen und reagiert am Grund vorbei, indem er sich mehr und mehr zur Serviceroganisation wandelt. Zweifellos ist es nicht schlecht, wenn über die Gewerkschaft ein Urlaub gebucht werden kann oder Konzertkarten günstiger sind, diese Serviceleistungen sollten aber nur einen Nebenposten darstellen.
Gerade in der Widerstandsbewegung gegen Blauschwarz mussten Viele aber feststellen, dass der gewerkschaftliche Protest nicht über ein kurzes Aufflackern von Demonstrationskultur und ein paar schnittige Reden hinausgeht. Ja ganz im Gegenteil, scheint es doch historisch gesehen so zu sein als ob die wenigen Maßnahmen, die die Gewerkschaft setzte, nur als "Dampfablasser" fungierten. Zum Zeitpunkt, als möglich gewesen wäre, die Regierung durch einen Streik aus den Angeln zu heben, hat der ÖGB auf "Bitte warten" gestellt. Gestreikt würde erst dann, wenn konkrete Maßnahmen beschlossen würden bzw. in Kraft träten. Mittlerweile sind die Sparpakete beschlossen, teilweise auch schon in der Realisierung und trotzdem sitzt die Regierung fester im Sattel als zuvor. Selbst Ankündigungen sich bei den Kollektivvertragsverhandlungen das zurückzuholen, was den ArbeiterInnen durch die Sparmaßnahmen weggenommen wurde blieben flotte Wortmeldungen. Man/frau fragt sich also zu recht, was der ÖGB in den letzten Monaten getan hat.

Kämpferischer und demokratischer ÖGB

Gewerkschaften als Vertretung und Kampforganisationen der ArbeiterInnenklasse haben keineswegs ausgedient. Der ÖGB muss offen für jene "atypischen" Mitglieder werden, die bisher nur am Rand wahrgenommen wurden. Er muss demokratisiert werden, damit die Wünsche, Ziele und Forderungen der Mitglieder entscheiden und nicht zu Tode bürokratisiert werden. Und der ÖGB muss kämpferisch werden um eine tatsächliche Vertretung darzustellen - eine Vertretung aller Beschäftigten, egal welches Geschlecht, welche Nationalität, welches Alter, welche Form von Beschäftigung.