Was hat uns die EU gebracht?

Billiglöhne, Steuerdumping für Unternehmen, aber auch eine tiefe innere Krise bestimmen die europäische Realität. Eine etwas Bilanz zur EU-Ratspräsidentschaft.
John Evers

"Glauben Sie doch was sie wollen" Ein Mann sitzt beim Friseur und spricht wirres Zeug. Ein Unbelehrbarer gibt im Wirtshaus ebenfalls entsprechende Stammtischsprüche gegen die EU von sich und will nicht einsehen, dass sie doch - angeblich - für Wirtschaftswachstum, Exportboom, Konsumentenschutz (...) verantwortlich ist.  Die Botschaft der millionenschweren Werbekampagne der Bundesregierung zum eigenen Ratsvorsitz ist klar: Wer gegen die EU ist, der ist ein bornierter Prolet der nichts verstanden hat. Ein interessantes Ergebnis brachte demgegenüber eine Umfrage des EU-freundlichen "Standards" unter seinen wenig proletarischen Lesern: Die Top-Antwort auf die Frage "Woran liegt die EU-Skepsis der ÖsterreicherInnen?" lautete dort "Die EU-Skepsis liegt an Phänomenen wie sinkenden sozialen Standards oder der zunehmenden Arbeitslosigkeit." Tatsächlich ist die Skepsis gegenüber diesem neoliberalen Projekt ein Phänomen, dass inzwischen breite Teile der europäischen Gesellschaft in West und Ost erfasst.

Billiglöhne und Steuerdumping

Die "europäischen" Probleme liegen aus Perspektive von ArbeitnehmerInnen klar auf der Hand: Die Produktivität der Tocherunternehmen multinationaler Konzerne erreicht laut Wirtschaftskammer in Osteuropa bereits 2/3 der Produktivität Westeuropas. Gleichzeitig lag der Bruttomonatslohn z.B. in Ungarn im Jahr 2005 bei ca.  600 Euro (Österreich 2.400 Euro). Besonders fatal dabei ist der Trend seit der Erweiterung der EU: Während zwischen 2002 und 2004 in Tschechien und Ungarn sowohl die Lohnstückkosten, wie die Reallöhne deutlich und schneller als im Westen wuchsen, halbierten sich diese Raten in den letzten beiden Jahren. In Ungarn stiegen die Reallöhne nur mehr um 2.5 Prozent jährlich, in Österreich waren es 3,3 Prozent (allerdings nur 0.8 % netto). So sieht die Annäherung zwischen Ost und West tatsächlich aus, die  den Unternehmern in der Realität immer wieder neuen Argumentationsstoff gibt die Löhne auf "beiden Seiten" zu drücken! Ebenso deutlich ist der Druck nach unten bei der Unternehmensbesteuerung (mit entsprechenden Folgen für die öffentlichen Kassen). Die konservative "Presse" vom 11.3. meint, dass die heimische Wirtschaft zwar durch die Senkung der Körperschaftssteuer zu den "Niedrigsteuerländern Osteuropas" aufgeschlossen habe. Das neoliberale "Institut für Höhere Studien" legt im selben Artikel die künftige Linie allerdings schon klar fest: Es sei nur "eine kurze Atempause im Wettlauf um niedrigere Unternehmenssteuern."  Auch die Debatten zur Erreichung der - übrigens von SPÖ und ÖGB-Führung unterstützten - "Lissabonstrategie"  (Europa soll zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum werden) sind überall die gleichen. Im Länderbericht zur Slowakei ist hier zu lesen:  "Zusätzliche Maßnahmen, Arbeit lohnend zu machen ... unter anderem durch eine Überprüfung der Arbeitsgesetze, flexiblere Arbeitsformen und stärkere Nutzung der Teilzeitarbeit." Exakt diese Ansätze verfolgen in Österreich Regierung, Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer.

Das Dilemma der Gewerkschaften

Trotz dieser Entwicklung vergeht kaum ein Tag ohne vollmundige Ankündigungen was "Europa"  Tolles schaffen wird oder soll. Wolfgang Schüssel versprach als Ratspräsident wieder einmal neue Arbeitsplätze bis 2010 (10 Millionen, klingt viel, sind aber gerade einmal ein Prozent mehr pro Jahr), die SPÖ verabschiedete ein schönes Europaprogramm mit vielen Wünschen ohne irgendeine Strategie zur Umsetzung. Gleichzeitig gibt es keinen ernsthaften Zeitungskommentar der die EU nicht in einer tiefen Krise sieht und den drohenden  (Wieder-)Aufstieg des Nationalismus beschwört. Das Grunddilemma europäischer Gewerkschaftspolitik ist in diesem Zusammenhang schnell erklärt: Während man bei allen grundsätzlichen EU-Projekten auf Opposition, Alternativen und Gegenmobilisierung verzichtet (z.B. beim eigenen EU-Beitritt des Landes, EURO, Verfassung ...), besteht in der Verteidigung des nationalen Arbeitsmarktes die oft einzige konkrete "Gegenstrategie" der jeweiligen nationalen Gewerkschaftsverbände. Doch klarerweise haben hier - etwa bei den "Übergangsfristen" zur Öffnung der nationalen Arbeitsmärkte - die osteuropäischen Gewerkschaften  ganz andere "nationale" Interessen als der ÖGB ...

"Widerstand lohnt sich. Jubel wäre aber zu früh"

So titelte die ÖGB-Zeitung Solidarität nach dem Fall des Herkunftslandprinzips bei der neuen Dienstleistungsrichtlinie (jeder kann nach seinem nationalen Arbeitsrecht in jedem EU-Staat arbeiten). Demgegenüber sprach der Gewerkschaftsfunktionär und Europaabgeordnete Harald Ettl aber schlicht von einem notwendigen Kompromiss - und stimmte diesem im EU-Parlament sogar noch zu! Angesichts solcher faulen "Lösungen" reibt sich übrigens ein Dritter schon die Hände und bemüht sich den Platz der Gewerkschaften als bessere "nationale" Opposition einzunehmen und weist auf einen simplen Umstand hin: "Weiterhin massiv erleichtert wird, und das ist ja der Sinn dieser Richtlinie, die Erbringung von Dienstleistungen durch ausländische Anbieter. Und da hier die Lohnkosten trotz Entsenderichtlinie weit unter den österreichischen liegen, werden durch diese Richtlinie Tausende Arbeitsplätze in Österreich vernichtet." (FPÖ-Aussendung 23.3.2006) Europäische Gewerkschaften müssen sich demgegenüber aus dem Teufelskreis sowohl kompromissorientierter Teil der Krise der EU, wie Verteidiger - angeblich - "nationaler" Interessen zu sein, lösen. Notwendig sind gemeinsame internationale Forderungen, wie Arbeitszeitverkürzung, Mindestlöhne ... sowie gemeinsame Umsetzungsstrategien, die z.B. auch alle Ansätze zum gewerkschaftlichen Widerstand in den Niedriglohnländern im Osten des Kontinents massiv unterstützen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: