Warnstreik gegen Schließung des Notquartiers Gudrunstraße

Interview zum Kampf gegen die Schließung des Notquartieres „Gudrunstraße”

Das Notquartier „Gudrunstraße“ ist eine Notschlafstelle für Obdachlose im Rahmen der „Winterpaket-Maßnahmen“ der Gemeinde Wien. Sie wird vom Samariterbund - Wien - WSD betrieben. Normalerweise enden die „Winterpakete“ Ende April, letztes Jahr wurden wegen Corona viele verlängert. Auch heuer wird das so sein. Auch die Kolleg*innen der Gudrunstraße haben auf eine Verlängerung gehofft. Als einzige Notschlafstelle wird sie jetzt nicht verlängert. Dieser Entscheidung sind Proteste der Kolleg*innen wegen schlechter Arbeitsbedingungen vorausgegangen. Am 17.3. fand eine erste Protestkundgebung von Beschäftigten und solidarischen Unterstützer*innen statt, begleitet von einem dreistündigen Warnstreik der Belegschaft der Gudrunstraße. Wir sprachen mit Michael Gehmacher, zur Zeit karenzierter Betriebsrat beim Samariterbund-WSD, über die Situation.

 Wie ist die aktuelle Situation, wie geht’s den Kolleg*innen in der Gudrunstraße?

Michi Gehmacher: Einige Kolleg*innen haben sich berechtigte Hoffnungen auf eine (weiter befristete) Arbeit nach Ende April gemacht. Es gab ja Anzeichen das allgemein wegen der Pandemie verlängert wird. Da trifft die derzeitige Situation hart. Aber die Kolleg*innen sind sehr kämpferisch und lassen sich die  Nichtverlängerung nicht einfach so gefallen. Der Betriebsrat versucht die Kolleg*innen bestmöglich zu unterstützen. Am 17.3. haben sich ca. 300 Menschen an einem Protest gegen die Schließung beteiligt und die Beschäftigten haben mit großer Mehrheit beschlossen in einen dreistündigen Warnstreik zu treten. Auf einem Treffen im Anschluss wurde über die nächsten Schritte diskutiert, ein fixer nächster Termin ist eine Demonstration am 9.4. Der Protest und der Warnstreik zeigen, wie groß die Kampfbereitschaft der Belegschaft und die Solidarität von anderen Beschäftigten bzw. solidarischen Unterstützer*innen ist.  

Warum ist dieser Arbeitskampf so wichtig?

Michi Gehmacher: Wegen der positiven Vorbildwirkung. Es gibt ja einige Einrichtungen im Sozialbereich, wo eingespart wird oder geschlossen werden soll. Seit Jahren gibt es eine Welle von Schließungen im Flüchtlingsbereich. Ich hab mir immer gewünscht, dass es da mehr Widerstand gibt. Vielleicht lassen sich ja Kolleg*innen die aktuell von der Schließung ihrer Einrichtung betroffen sind durch den Widerstand der Kolleg*innen aus der Gudrunstraße ermutigen. Der Warnstreik am 17.3. ist der erster Streik seit langem, der „von unten“ organisiert wird. Auch das ist ein extrem positives Beispiel. Ich bin als Betriebsrat zur Zeit in Elternkarenz. Ich habe mitbekommen, dass der für uns zuständige Gewerkschaftssekretär uns und die Kolleg*innen vor Ort bei einem Warnstreik gut unterstützt, ich bin mir aber noch nicht mal sicher, ob es eine Streikfreigabe des ÖGB gibt, bzw. ob die zuständige Gewerkschaft GPA um eine solche angesucht hat. Ich finde ÖGB und GPA hätten die politische Aufgabe aktiv auf die Kolleg*innen zuzugehen und einen Warnstreik und mögliche weitere Aktionen zu unterstützen. Die Tatsache, dass der Warnstreik aktiv von unten geplant wird, zeigt auch dass viele Kolleg*innen in unserer Branche nicht mehr auf ein „Ok” der zuständigen Gewerkschaften warten wollen. Oder, dass manche Kolleg*innen gar keinen Bezug zu ÖGB und Co haben und einfach anfangen sich selbst zu organisieren.

Im Sozialbereich gärt es doch schon länger oder?

Michi Gehmacher: Ja sicher. Das ist Teil einer positiven Entwicklung in die Richtung, dass wir uns nicht mehr alles gefallen lassen. Wer hätte uns den vor 5 Jahren noch eine Streikbewegung wie 2018, 2019 und 2020 zugetraut. Im Rahmen der Streikbewegung in den KV-Runden gab es dann viel selbstständige Organisierung, einerseits der konkreten Streiks vor Ort, anderseits von Aktionen, wie etwa die Streik-Kundgebungen und Streikdemos in Wien letztes Jahr. Offensichtlich gab es auch den Wunsch oder die Hoffnung, der Arbeitgeber*innen und der Gewerkschaftsspitze, dass es mit dem 3 Jahresabschluss der Kollektivverträge für Caritas, Diakonie und SWÖ auch 3 Jahre keine Streiks geben würde. Da wurde die Rechnung ohne die betroffenen Beschäftigten gemacht. Das aktuelle Beispiel zeigt: Streiks werden angedacht und manchmal sogar konkret organisiert, wenn Kolleg*innen sie für nötig halten. Und das sogar in Zeiten einer Pandemie. Man kann gar nicht genug hervor streichen wie wichtig diese Entwicklung ist.

Was sollte jetzt passieren?

Michi Gehmacher: Ganz wichtig ist es jetzt den gesamtgesellschaftlichen Druck zu erhöhen. Das Geld für die Arbeit in dem Bereich kommt ja über den FSW von der Stadt Wien. Die Belegschaft vor Ort alleine kann den Druck nicht so stark erhöhen, dass die sozialpolitisch falsche Entscheidung geändert wird. Bei dieser Aufgabe muss z.B. eine Art Solidaritätskomitee für die Gudrunstraße unterstützen. Die Kolleg*innen vor Ort, der Betriebsrat, die kämpferischen Basisinitiativen „Initiative Sommerpaket“ und „sozial, aber nicht blöd“ und andere solidarische Unterstützer*innen haben schon die Initiative für die Gründung von sowas gesetzt. Leute die „etwas tun“ wollen sollten aktiv mitarbeiten können. Das können andere Betriebsrät*innen, Nachbar*innen, Bezirksrät*innen, Initiativen, Gewerkschaftsgruppen (wie work@social, GLB, AUGE-UG, Komintern usw.), linke Gruppen und Parteien (LINKS, SLP , PdA und uvm.) sein. Wichtig ist, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten den Kampf um die Erhaltung der Gudrunstraße führen und hoffentlich auch gewinnen. Aber gleichzeitig dürfen wir auch nicht dabei stehen bleiben. Gerade eine Rettung des Notquartieres in der Gudrunstraße könnte auch der Ausgangspunkt sein, um den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und eine Umwandlung des Winterpaketes in eine ganzjährige Betreuung zu organisieren.

Was soll dieses Komitee machen?

Michi Gehmacher: Zunächst mal: Ich glaube für uns alle ist die Situation neu und niemand hat das berühmte „Patentrezept“ wie eine solche Auseinandersetzung gewonnen werden kann. Aber wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir solidarisch sein. Dazu gehört auch, Erfahrungen aus anderen Bewegungen einzubringen und Vorschläge zu machen. Manche sind vielleicht nicht so gut, andere Kolleg*innen haben vielleicht bessere Vorschläge, aber es sollte mal darüber geredet werden. Schließlich tragen ja alle Beteiligten eine hohe Verantwortung, einerseits für die betroffenen Kolleg*innen, die um ihre Jobs kämpfen, andererseits aber auch dafür, dass das Beispiel auch negativ wirken könnte. Es wäre fatal, wenn Leute nachher sagen würden: „Hat man eh bei der Gudrunstraße gesehen, Widerstand bringt nix“. Die Demonstration am 9. April ist ein guter nächster Höhepunkt. Damit sie erfolgreich wird, muss es dazwischen kleinere und größer Aktionen zur Information und Mobilisierung geben. Es sollen sich möglichst viele Menschen öffentlich, etwa schriftlich oder durch Videostatements usw, solidarisieren. Der Protest gehört auch per Mail usw. zu den zuständigen Stellen im FSW. Da gibt es schon eine Internet-Petition. Meiner Meinung nach bräuchte es als Ergänzung auch eine “klassische” Unterschriftenliste. Wichtig sind auch Gespräche mit Medien und (Lokal-)Politiker*innen, auch wenn manche vielleicht real wenig bringen. Doch dass es sie gibt, erhöht schon mal den Druck. Diese Arbeit muss auch koordiniert werden.

Wie soll es innerbetrieblich weiter gehen?

Michi Gehmacher: Dass sollen die Kolleg*innen vor Ort in Ruhe besprechen. Sie tragen ja ein Risiko, sie sollen es auch entscheiden, am Besten in möglichst enger Absprache mit dem Betriebsrat. Die Kolleg*innen haben ja sehr weitreichende Forderungen gestellt, wenn es keine Anzeichen für eine Umsetzung gibt, muss aus meiner Sicht auch der innerbetriebliche Druck erhöht werden. Es heißt ja nicht umsonst „Warn“streik. Wenn die Warnung nicht gehört wird, muss der Arbeitskampf weitergehen. Aber wie gesagt: meine Meinungist, die Entscheidung sollen die Betroffenen treffen. Es muss nur klar sein, wenn sie sich für weitere betriebliche Aktionen entscheiden, muss es möglichst viel Unterstützung geben.

Wie ist das mit den Gewerkschaften?

Michi Gehmacher: Es wäre die Pflicht der Gewerkschaften sich viel mehr einzubringen. Einerseits bei der Unterstützung von Streiks und der Aktionen außerhalb, aber auch was den öffentlichen Druck betrifft. Stellen wir uns vor, die zuständigen Gewerkschaften für Pflege und Sozialbereich (VIDA und GPA im privaten Bereich und YOUNION und GÖD im öffentlichen Bereich) sagen: „Den Kampf unterstützen wir, weil so wie den Kolleg*innen der Gudrunstraße geht es vielen“. Schon alleine so Sachen wie Artikel mit den Forderungen der Kolleg*innen in den Gewerkschaftsmedien würden sehr viel bringen. Am Besten wärs die zuständige GPA würde als eigenständiger Partner in ein Solidaritätskomitee einsteigen. Ganz wichtig ist, dass viele Betriebsrät*innen und Gewerkschaftsfunktionär*innen das innerhalb der Gremien, aber auch öffentlich verlangen. Damit steigt der gesamtgesellschaftliche Druck für die Anliegen der Kolleg*innen und die Debatte in den Gewerkschaften wird angeregt. Die Gewerkschaftsspitzen kommen vielleicht mehr unter Zugzwang etwas zu tun.