Ungarn: Im Brennpunkt der Rechten

Margarita Döller

Mit besorgtem Blick beobachte ich heute als Sozialistin die politische Entwicklung in unserem Nachbarland Ungarn. Die Aktionen von rechten Organisationen häufen sich, die Zustimmung der Bevölkerung zu rechtsextremen Parolen wächst. Bei den EU-Wahlen 2009 erhielt die rechtsextreme Partei JOBBIK (Bewegung für ein besseres/ rechtes Ungarn) 14,8% der Stimmen und wurde drittstärkste Partei. Den ersten Platz erreichte die rechts-konservative Partei FIDESZ (56,3%), die bei den Parlamentswahlen im April aller Voraussicht nach enorm gewinnen wird. Derzeit gibt es noch eine Minderheitsregierung der MSzP (Sozialistische Partei Ungarn), die wahrscheinlich bald der Vergangenheit angehören wird, weil sie schon längst nichts mehr mit ihrem Namen zu tun hat.

Wirtschaftskrise trifft Ungarn mit voller Wucht

Die soziale Situation in Ungarn ist katastrophal. 2008 lebte rund ein Drittel der Bevölkerung in Armut, davon waren fast die Hälfte Kinder. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in Ungarn betrug von August bis Oktober 2009 10,4%. Die Rate der Jugendarbeitslosigkeit ist noch höher und liegt bei 27,7%. Die Sozialdemokratie hat es nicht geschafft (und gewollt), Antworten auf die brennenden Fragen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Verschuldung zu geben. Infolgedessen habe viele UngarInnen das Vertrauen in die Regierung verloren und sind nun offen für rechtsextreme Propaganda. Auch außerhalb des Parlaments gibt es keine wirkliche sozialistische Kraft, die den Rechten Paroli bietet. Die MSzP hat in den letzten Jahren auf neoliberale Politik gesetzt und diese mit Hilfe der EU und dem IWF (Internationale Währungsfond) umgesetzt. Diese war jedoch an Auflagen gebunden und hat die Krise weiter verschärft. Mittlerweile befinden sich 75% der Großbetriebe, 90% der Banken und 95% der Versicherungen in ausländischer Hand. Und auch bei den noch staatlichen Betrieben wird heftig gespart (40 Mrd. bei der Eisenbahn). Die versprochenen Verbesserungen nach dem Niedergang des Stalinismus und der Einführung des Kapitalismus sind definitiv ausgeblieben und die Wirtschaftskrise von heute ist noch lange nicht vorbei. 70% aller Privatkredite sind Fremdwährungskredite. Auf Grund des Forintverfalls haben sich die Rückzahlungsraten bis zu 40% erhöht. Das bedeutet, dass 2010 noch mehr Privathaushalte Konkurs anmelden müssen (2009 hat es schon über 45.000 Zwangsräumungen gegeben).

Rechtsextreme im Aufwind

Diese Entwicklungen bilden den Nährboden für rechtsextreme Parteien. Voraussichtlich werden sie bei den nächsten Wahlen ordentlich abräumen. Die stärkste Partei unter ihnen ist die FIDESZ, die auch wichtige Medien in Ungarn kontrolliert. Gemeinsam mit der JOBBIK machen sie den „Westen“ und die MSzP für die Krise verantwortlich und präsentieren sich als Vertreter des ungarischen kleinen Mannes. Die JOBBIK geht noch weiter. Dr. Krisztina Morvai (EU-Parlamentarierin) behauptet auf ihrer Homepage, dass das jüdisch-bolschewistische Finanzkapital Ungarn in diese Lage gebracht hat. Darüber hinaus ist laut ihr die „Zigeunerkriminalität“ eines der Hauptprobleme. Die FIDESZ distanziert sich von diesen Aussagen nicht, sie ist im Gegenteil immer wieder zu Gast bei Aufmärschen oder Veranstaltungen und nimmt so Teil an der antisemitischen und romafeindlichen Hetze. Verschärft wird die Situation noch durch die ungarische Garde (Vorfeldorganisation von JOBBIK), die derzeit 5000 Mitglieder umfasst und sehr stark an eine faschistische Schlägergruppe erinnert. Die Übergriffe auf Roma häufen sich und enden oftmals tödlich. Im Juni 2009 ist die Garde verboten worden, aber sie marschieren trotzdem weiter, weil es keine Bewegung in Ungarn gibt, die das verhindert.

Kann man die Rechten noch stoppen?

Die Lage scheint auf den ersten Blick aussichtslos, ist sie aber nicht. Es gibt auch in Ungarn Widerstand gegen die Regierung von einer anderen Seite. Im vergangenen Jahr gab es Streiks bei den EisenbahnerInnen und den Budapester Verkehrsbetrieben gegen die Einsparungspläne der Regierung. Das Problem ist, dass die Gewerkschaft in Ungarn ziemlich zersplittert und der Organisierungsgrad sehr gering ist. Er liegt bei nur 18%. Hinzu kommt, dass die Gewerkschaftsführung zum Teil eng mit der aktuellen (und zu Recht verhassten) Regierung verbunden ist. Was in Ungarn fehlt, ist eine linke Kraft, die andere Antworten auf die wichtigen Fragen der Bevölkerung gibt. Die Gewerkschaften können hier ein Ansatzpunkt sein, aber es muss sich eine neue Partei für ArbeitnehmerInnen entwickeln, die den Rechtsextremen den Boden unter den Füßen wegziehen kann.

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