Syrien: Schrecken ohne Ende

Angelika Teweleit (SAV - deutsche Schwesterorganisation der SLP)

IS auf dem Rückzug, aber Frieden rückt nicht näher

Seit fünf Jahren vergeht in Syrien kaum ein Tag ohne neue Todesopfer, darunter viele Kinder. Millionen Menschen haben sich auf die Flucht begeben, die meisten versuchen in den Massenlagern der Nachbarländer zu überleben. In den vom sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierten – Kalifat genannten – Gebieten verbreiten die rechten Dschihadisten Angst und Schrecken. Nun befindet sich der IS militärisch auf dem Rückzug. Doch ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.

Die Zurückdrängung des IS, ein Frankenstein-Monster, das außer Kontrolle geraten ist, ist zwar ein reales Kriegsziel aller anderen beteiligten Kräfte. Aber das ist nur ein Teil der Lage. Die Interessen regionaler Mächte, wie Saudi-Arabien, Iran und der Türkei, aber auch Russlands, Chinas und der USA prallen in Syrien aufeinander. Das Land ist Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen regionalen und Weltmächten. Dabei geht es in erster Linie um die Sicherung von Einflussgebieten und den Zugang zu Rohstoffen. Der Krieg wird in den Medien propagandistisch fortgesetzt, indem vor allem von den Kriegsverbrechen von einer Seite berichtet wird. Doch zerstörte Städte und verwüstete Landstriche werden genauso von den Verbündeten der USA hinterlassen wie von Russland und den Truppen Assads.

Arbeiterorganisationen, die Linke und Sozialistinnen sollten in dieser Situation eine klare unabhängige Position einnehmen, um die gemeinsamen Interessen der notleidenden Bevölkerung, der Armen und der Arbeiterklasse zu verteidigen. Die Spaltungen entlang ethnischer, nationaler Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer Religion müssen überwunden werden.

Bäumchen wechsel dich

Jede Kriegsmacht versucht, sich mit anderen zu verbünden, wobei dies reine Zweckbündnisse, oft vorübergehender Art, sind. Daran werden auch die Äußerungen von Donald Trump, sich mit Präsident Putin anfreunden zu wollen, nichts ändern.

Ein gutes Beispiel für das blutige Pokerspiel um mehr Einfluss bietet der türkische Präsident Erdogan. Ihm geht es vor allem um die Zurückdrängung kurdischer Kräfte, insbesondere der PKK-nahen PYD und ihren Kampfeinheiten YPG, deren soziale und demokratische Reformen in der von ihnen kontrollierten Region Rojava zumindest ein kleiner Lichtblick für viele sind. In seinem Bestreben, die Ausbreitung kurdischer Gebiete zu verhindern, trifft er sich sogar mit den Interessen des iranischen Regimes. Gleichzeitig stützen sich die USA momentan auch auf kurdische Kräfte, inklusive der YPG, um den IS zurückzudrängen – und brüskieren damit den NATO-Partner Türkei. Für die KurdInnen birgt aber ein solches Bündnis mit den USA riesige Gefahren, weil sie nur als Spielball missbraucht, ihre eigenen Interessen aber von den USA nicht wirklich unterstützt werden.

Instabilität

Die imperialistischen Mächte haben natürlich ein Interesse an einer Stabilisierung, um in Ruhe Geschäfte machen zu können. Dabei scheint in den USA die Bereitschaft zu wachsen, eine Einigung unter Einschluss Assads zu finden. Doch auch das wird kein Lösung der Probleme und Konflikte bedeuten. So lange die tiefer liegenden sozialen und ökonomischen Probleme nicht gelöst werden, wird jedes Abkommen die Gefahr neuer Konflikte und Kriege beinhalten. Und weiterhin werden auch sektiererische rechte Gruppen wie der IS und andere den Nährboden vorfinden, und verzweifelten Jugendlichen ihren Dschihad als vermeintlichen Kampf gegen den imperialistischen Westen anbieten.

Schlüssel für eine Lösung

Dieser Kreislauf kann nicht primär mit militärischen Mitteln durchbrochen werden, sondern es braucht eine politische Perspektive der Veränderung. Die Massenbewegungen in den arabischen Ländern 2011 haben deutlich gemacht, welches große Potenzial in der jungen Arbeiterklasse des Nahen Ostens für riesige Proteste und Bewegungen steckt. Selbst im vom Bürgerkrieg und Terror gegeißelten Irak haben wir dieses Jahr Massendemonstrationen gesehen. In Tunesien, Ägypten, der Türkei und Iran gibt es eine starke Arbeiterklasse. Was noch fehlt, sind Organisationen mit einem Programm, welches Antworten auf die sozialen Probleme gibt und die Arbeiterklasse über ethnische und religiöse Unterschiede hinweg vereinen kann, um alle Kriegsherren zu vertreiben. Ein solches Programm muss die Überwindung des Kapitalismus als Ursache für Spaltung, Kriege und Armut und die Errichtung einer freiwilligen sozialistischen Föderation des nahen und Mittleren Ostens zum Ziel erklären.