Streiken ist politisch

Oliver Giel

Eine seit langem nicht gesehene Welle von Streiks rollte durch die Arbeitsstätten und Straßen der Welt. Was im Oktober 2020 als „Striketober“ in den USA begann hat längst große Teile der Welt ergriffen: Beschäftigte die sich immer weniger damit abfinden, für immer weniger Geld immer mehr zu arbeiten. Sie legen die Arbeit nieder und gehen auf die Straße. In Frankreich wird teilweise militant gegen die „Pensionsreform“ gestreikt. In Britannien sind große Teile von Verkehr, Gesundheits- und Bildungswesen und der öffentliche Dienst betroffen. In Israel stoppte ein Generalstreik die „Justizreform“. Ein bislang einmaliger Vorgang auch weil der Gewerkschaftsbund Histadrut, noch streikfauler als der ÖGB, von unten zu Massenprotesten und sich ausweitenden Streikaktionen gezwungen wurde.

Auch in Deutschland streikt man: Post, Bahn und Krankenhausbeschäftigte kämpften für höhere Löhne, es folgten die Beschäftigten von Galeria und IKEA. Am 8. März – dem Frauenkampftag - waren tausende Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen auf der Straße und haben für bessere Bezahlung und bessere Personalschlüssel protestiert. Seit Jahren gibt es weltweit Streiks gegen Personalmangel in der Pflege, Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten oder für bezahlten Urlaub und Krankenstand für Zugführer*innen in den USA. Einige dieser Streiks werden von kämpferischen Gewerkschafter*innen organisiert, andere von neu gegründeten betrieblichen oder gewerkschaftlichen Strukturen.

All dies sprengt zunehmend den Rahmen wirtschaftlicher Forderungen. (was heißt dieser Satz?) Die Gründe: ein nicht zuletzt durch Corona gewachsenes Selbstbewusstsein. Das Verständnis dass miese Löhne und Armut einem geradezu obszönem Reichtum gegenüberstehen. Und: Wirtschaftliche Krisen verschärfen immer die Interessenskonflikte zwischen Beschäftigten und Bossen. Zusätzlich sinkt die Rentabilität. Lieferkettenprobleme und die steigenden Energiekosten erhöhen die Produktionskosten und senken den Profit, wenn nicht die Löhne gesenkt, die Arbeitszeit verlängert oder die Preise erhöht werden. Proteste für mehr Personal, gegen die hohen Preise und gegen die Klimakrise stoßen fast unmittelbar an die Grenzen des – angeblich – „machbaren“. Was wir brauchen wird also im Rahmen des Systems zunehmend „unmöglich“. (die Anführungszeichen bei machbaren und unmöglich machen wenig Sinn, oder?)

Der Staat ist nicht unser Freund

Die prekäre Lage der Wirtschaft lässt immer weniger Raum für Zugeständnisse. Die Probleme sind wie die Lösungen eher global als lokal. Selbst kleinere Forderungen werden da zu „Systemfragen“.

Da kommt dem Staat eine bedeutende Rolle zu. Er ist das Instrument um die Situation zu befrieden und die Interessen des Kapitalismus zu sichern. Und dazu steht er deutlich auf der Seite des Kapitals. Das haben wir gesehen, als Joe Biden, der selbsterklärt „gewerkschaftsfreundlichste US-Präsident der Geschichte“ den Streik von Zugfahrer*innen letzten Dezember verboten hat.

Er wird autoritär umgebaut, wie wir in Polen, Ungarn, Russland, der Türkei und Israel/Palästina sehen. Solche Regimes, häufig gestützt auf eine Schicht von Kleinunternehmen und aggressiven Nationalismus oder religiösen Fundamentalismus, versuchen die Kontrolle über die Krisen zu behalten. In Frankreich wurde die Pensionsreform am Parlament vorbei durchgedrückt, in Norwegen und Britannien sollen Streiks untersagt werden wenn es um „Schlüsselbereiche“ geht und auch in Österreich sichern sich die Herrschenden Durchgriffsrechte.

Wer sich für soziale Rechte einsetzt ist oft mit Repression konfrontiert. Darum geht es in vielen der aktuellen Streiks nicht nur um Forderungen wie höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Die Streikwelle ist ein entschiedener Kampf gegen die Angriffe auf soziale und demokratische Rechte. Die Streiks zeigen auch, welche Macht die Arbeiter*innen haben, wenn sie kämpfen. Und das macht Regierungen und Unternehmen Angst – zu Recht!

 

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