Fr 03.02.2006
13 Monate sind seit dem Tsunami vom 26. Dezember 2004 vergangen. In Sri Lanka ist seither viel geschehen: es wurde wiederaufgebaut, es gab Präsidentenwahlen und der beendet geglaubte Bürgerkrieg steht vor einem neuen Ausbruch. Die Leidtragenden sind hundertausende Menschen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit ebenso wie der tamilischen Bevölkerungsminderheit. Eine Lösung scheint nicht in Sicht.
Die Fakten
Der Tsunami kostete in Sri Lanka über 30.000 Menschen das Leben. Nach Zahlen der nationalen Wideraufbaubehörde Tafor wurden 35.100 Häuser völlig und weitere 47.500 Häuser teilweise zerstört. Rund 275.000 Jobs wurden vernichtet, 72 Spitäler, 182 Schulen und 15.300 Fischerboote zerstört. 550.000 Menschen waren ohne sauberes Wasser, 222.600 Haushalte ohne Strom. 1.615 Km Strassen und 160 Km Eisenbahnschienen wurden zerstört. Eine Welle von Hilfsbereitschaft ging rund um den Globus. Überall griffen Menschen tief in die Tasche um zu Spenden. Schätzungen gehen von bis zu 13 Milliarden Dollar für die ganze Region (davon rund 3 Milliarden Dollar für Sri Lanka) an Spenden aus. Aber: was ist mit dem Geld geschehen?
Leere Versprechen
Festgestellt werden muss, dass die Zusagen der verschiedenen Regierungen meist v.a. schöne Propaganda waren. Auch bei intensiver Suche kann z.B. nicht festgestellt werden, wo die von der österreichischen Bundesregierung zugesagten 50 Millionen Euro sind. Von rund 20 Millionen fehlt jede Spur. In einer Presseaussendung des Außenministeriums vom Dezember 2005 wird stolz verkündet, dass 12,7 Millionen Euro „in konkreten Projekten gebunden (wurden)“. Das bedeutet, dass dieses Geld aber ein Jahr nach der Katastrophe noch immer nicht ein eingesetzt wurde, sondern nur bestimmten künftigen Projekten zugeordnet wird. „Wer rasch hilft, hilft doppelt“ ist offensichtlich nicht die Devise des Außenministeriums. Am konkretesten sind die Auskünfte bezüglich der 2,15 Millionen Euro, die die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) zur Verfügung gestellt hat. Die OEZA ist quasi die Entwicklungshilfestruktur der Republik – die 2,15 Millionen wurden aber keinesfalls zusätzlich eingesetzt sondern aus dem existierenden Budget der OEZA einfach umgewidmet. Besonders zynisch ist die „Hilfe“ der USA. 44,9% der bisher geleisteten Hilfe wurde für militärische Unterstützung eingesetzt!
NGO’s: Keine saubere Weste
Während die Regierungen sich in Krokodilstränen und leeren Versprechungen ergingen, war die Spendenbereitschaft von ArbeitnehmerInnen, Arbeitslosen, PensionistInnen und Jugendlichen enorm. Schulklassen sammelt Geld, MindestrentnerInnen eilten zur Bank um einzuzahlen, Arbeitslose boten an in die Region zu fahren, um zu helfen. Aber auch diese Hilfsbereitschaft wurde missbraucht. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass bis zu 32% der Spenden, die an diverse NGO’s (und das beinhaltet „seriöse“ NGOS wie die WHO und das World Food Programme, die beide zur UNO gehören) geleistet wurden für „Administration“ eingesetzt wurden. Oft begannen die NGO’s ihre „Hilfe“ mit dem Ankauf neuer Autos, um mobil zu sein, Helfer übernachteten in teuren Hotels. Oft wurde an den Bedürfnissen der Tsunami-Opfer vorbei gearbeitet. Die FischerInnen erhielten umfassende Hilfe (was ihnen selbstverständlich vergönnt ist), aber andere betroffene Gruppen, wie z.B. v.a. Frauen, die in Heimarbeit Töpfereiprodukte, Besen und Produkte aus Kokusnusfassern herstellen, haben fast keine Hilfe erhalten. Die von den NGO’s errichteten Wellblechhütte werden in der tropischen Hitze Sri Lankas rasch zu Backöfen. Natürlich haben viele HelferInnen auch enorme persönliche Opfer gebracht, nicht alle sind korrupt oder haben sich bereichert. Aber die „schwarzen Schafe“ sind keine Einzelfälle.
Wo ist das Geld?
Tilaka aus Dodanduwa an der Südwest-Küste von Sri Lanka meint, das „von der Regierung gar keine Hilfe kam, die NGO’s haben wenigstens 70% des Geldes hergegeben“. Tatsächlich hat die sri lankesische Regierung Hilfslieferungen teilweise monatelang am Zoll festgehalten und ist bis heute unklar, wo die Millionen Euro, die die sri lankesische Regierung für Tsunami-Hilfe erhielt, gelandet sind. Nach Regierungsangaben (die noch dazu wahrscheinlich geschönt sind) sind bisher gerade mal 6% der zerstörten Häuser wieder aufgebaut worden. Überall sieht man die Fundamente der ehemaligen Häuser auf denen kleine Holzbaracken errichtet wurden und auch die heute noch – über ein Jahr nach der Katastrophe – als Unterkünfte dienen. Ganze Familien müssen in diesen rund 20 m2 großen „Häusern“ leben. Das nur noch rund 20% der Opfer in den Zelten und notdürftig aus Holz, Plastikplanen und Wellblech zusammengebastelten Baracken der Notunterkünfte leben liegt daran, dass der größte Teil bei Verwandten bzw. FreundInnen untergekommen ist. Von den 2283,1 Millionen Dollar, die die Regierung an Hilfsgeldern erhielt wurden bis jetzt weniger als 20 % eingesetzt – und das sagt noch nichts darüber aus, wofür sie eingesetzt wurden. Nach der Katastrophe versprach die Regierung, dass jede betroffene Familie 5000.- Rupien pro Monate erhalten sollte (rund 40.- Euro). Nur erhielten die meisten Familien diese Unterstützung nur 3-5 Monate. Gleichzeitig stiegen die Preise. Zement wurde um ca. 40% teurer, der Preis für Eisenträger verdoppelte sich. Die Regierung führte keine Preiskontrolle oder staatliche Preisbindung ein, erhöhte aber mit Anfang 2005 die Umsatzsteuer, was die Preise weiter erhöhte.
Strassen und Bahnlinien wurden rasch wieder aufgebaut – bezahlen muss das aber die Bevölkerung, da die Fahrpreise fast verdoppelt wurden. Es ist kaum möglich, aktuelle Zahlen zur Arbeitslosigkeit zu bekommen. Vor dem Tsunami lag sie bei 9%, heute bei geschätzten 20%. Arbeitslosenversicherung gibt es keine. Gleichzeitig gibt es auch unter dem Druck internationaler Institutionen Pläne für Privatisierungen (und damit weiterem Stellenabbau).
Korruption blüht
Der Wiederaufbau wurde für persönliche Bereicherung und politische Einflussnahme missbraucht. An der Spitze der nationalen Wideraufbaubehörde Tafor stehen Freunde der ehemaligen Präsidentin Chandrika Bandaranika, u.a. ein großer Hotelbesitzer. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass die 100-Meter-Schutzzone an der Küste, wo seit dem Tsunami nicht mehr gebaut werden darf (was für FischerInnen ein großes Problem darstellt) für Hotels oft nicht gilt. Die Aufträge für den Wideraufbau werden nicht in den betroffenen Regionen vor Ort vergeben, Baumaterial wird von außen zugekauft und es kommen auch kaum lokale Bauarbeiter – die seit dem Tsunami arbeitslos sind – zum Einsatz. Ein profitables Geschäft für FreundInnen der Regierung. Das die Korruption ein massives Problem ist, ist allgemein bekannt. Die Anti-Korruptions-Programme der Regierung sind aber nur eine Augenauswischerei. Ein paar kleine Fische (und manchmal auch größere, wenn es sich um politische Gegner handelt) werden öffentlich angeprangert, während die wirklich großen unbehindert weitermachen.
Die United Socialist Party (USP, Vereinigte Sozialistische Partei), die Schwesterorganisation der SLP in Sri Lanka, hat sich nach dem Tsunami an der Hilfe beteiligt. Durch gewerkschaftliche Strukturen und die Organisation „Stimme der Opfer des Tsunami“ wurde aber nicht von oben herab und über die Köpfe der Betroffenen hinweg agiert. Die USP hat von Anfang an gefordert, das die Hilfe nicht den korrupten PolitikerInnen überlassen werden darf, sondern von demokratisch gewählten Komitees aus Betroffenen und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung verwaltet werden muss. Nur so kann Missbrauch verhindert werden und die Hilfe landet bei den Menschen, die sie brauchen und in der Form, wie sie sie brauchen!
Mit Hilfsgeldern erkaufter Wahlsieg
Der jetzige Präsident – Mahinda Rajapakse – der zu Zeiten des Tsunami Premierminister war, hat die Hilfsgelder für seine Zwecke missbraucht. Es gibt Vermutungen, dass er 83 Millionen Rupien (knapp 700.000 Euro) an Hilfsgeldern unterschlagen und auf ein spezielles „Hilfe für Hambantota“-Konto transferiert haben soll. Das Verfahren wurde während des Wahlkampfes verschoben und wird wohl nun – nach seinem Wahlsieg – abgeblasen werden. Hambantota ist die Heimatregion von Mahinda Rajapakse und im Wahlkampf wurden „plötzlich“ großzügig Hilfsgelder eingesetzt (und zwar auch für Menschen die zwar keine Opfer des Tsunami, dafür aber potentielle WählerInnen sind). Gleichzeitig sorgte Mahinda Rajapakse aber auch dafür, dass eine große Opfergruppe keine Hilfe erhielt. Im vom Tsunami stark betroffenen Norden und Nordosten lebt die tamilische Bevölkerungsminderheit. Diese Regionen gehörten schon vor dem Tsunami zu den ärmsten Gebieten der Insel. Mahinda Rajapakse steht für einen scharf-nationalistischen Kurs gegen die TamilInnen. Er wurde in seinem Wahlkampf von der ultra-chauvinistischen JVP unterstützt die sogar gerichtlich erwirkte, dass keine staatlichen Hilfslieferungen in die TamilInnengebiete gingen.
Präsident steuert auf neuerlichen Ausbruch des Bürgerkriegs hin
Mahinda Rajapakse gewann die Wahlen auf Basis einer extrem nationalistischen und chauvinistischen anti-TamilInnen Propaganda. Als Premier missbrauchte er den Tsunami und versuchte die TamilInnengebiete und insbesondere die LTTE, die wichtigste bewaffnete tamilische Organisation, die seit Jahrzehnten u.a. mit Terrorattentaten für eine Unabhängigkeit der tamilischen Gebiete kämpft, im wahrsten Sinne des Wortes auszuhungern. Nun ist er als Präsident auch noch Finanz- und Verteidigungsminister. Seit seinem Amtsantritt nehmen die Übergriffe auf TamilInnen zu. Ein tamilischer Parlamentsabgeordneter wurde ermordet. Es gibt großangelegte Razzien wo ganze Stadtteile abgesperrt werden, die zur Einschüchterung der TamilInnen dienen. TamilInnen werden schikaniert und die Armee geht mit zunehmender Brutalität vor. Über Medien und Regierungspropaganda wird eine Stimmung der Angst verbreitet und damit eine Bedrohung – die in diesem Umfang nicht existiert – heraufbeschworen.
LTTE rüstet zum Kampf
Gleichzeitig nehmen aber auch die Angriffe von Seiten der LTTE wieder zu. Seit der Wahl von Mahinda Rajapakse am 17. November 2005 sind weit über 100 Menschen – v.a. Armeeangehörige – bei Attentaten getötet worden. Auch wenn es Vermutungen gibt, dass diese teilweise von Regierungsseite provoziert bzw. sogar der LTTE in die Schuhe geschoben werden, so ist doch eine neuerliche Aufnahme der Kampfhandlungen durch die LTTE nach dem Waffenstillstandsabkommen vom 21. Februar 2002 offensichtlich. Die LTTE kämpft seit mehreren Jahrzehnten für ein unabhängiges Elam (Heimatland) im Norden und Nordosten des Landes. Der über 20 Jahre dauernde Bürgerkrieg hat über 70.000 Opfer gekostet. Das Recht auf einen eigenen Staat – aber auch nur auf volle staatsbürgerliche Rechte, die Teilen der TamilInnen verweigert werden - wir ihnen von chauvinistischen SinghalesInnen und buddhistischen Eiferern verweigert.
Die USP verteidigt das Selbstbestimmungsrecht der TamilInnen, bis hin zum Recht auf Abtrennung, wenn die TamilInnen das wollen und unterstützt Proteste von TamilInnen gegen die zunehmende Repression. Trotzdem gibt es aber von der USP keine Unterstützung für die Methoden des Terrorismus – dem keineswegs nur Angehörige des Repressionsapparates zum Opfer fallen – und die keine Lösung bringen können. Es wird zwar dem sri lankesischen Staat kaum gelingen, die LTTE militärisch zu besiegen. Es ist ihm in den 1980er Jahren nicht mit der Unterstützung von bis zu 200.000 indischen Soldaten gelungen und es wird ihm auch nicht mit Hilfe der USA, die sich zunehmend einmischt, gelingen. Aber ein neuerlicher Ausbruch des Bürgerkriegs bedeutet eine Katastrophe für die tamilische Bevölkerung. Es hat bereits eine Fluchtwelle ins nahegelegene Tamil Nadu (indischer Bundesstaat) eingesetzt. Die Frage von Autonomie bzw. Unabhängigkeit ist nicht in erster Linie eine militärische. In einem unabhängigen kapitalistischen tamilischen Staat würden die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die durch Bürgerkrieg und Tsunami ein dramatisches Ausmaß angenommen haben, nicht gelöst werden.
Regierung unter Druck
Mahinda Rajapakse hat die Wahl auf Basis von singhalesisch-chauvinistischer Propaganda gewonnen. Er hat aber auch eine Reihe von Versprechungen gemacht, und sogar ein bisschen auf „anti-Neoliberalismus“ gesetzt. Nun ist er in einer schwierigen Situation. Die Versprechungen – 1 Million Jobs für die Jugend, eine Erhöhung der Löhne im Öffentlichen Dienst, finanzielle Unterstützung für die KleinbäuerInnen – kann er nicht einlösen. Das widerspricht den Interessen der nationalen und internationalen KapitalistInnen. Er braucht die politische Unterstützung der extrem-chauvinistischen JVP. Aber er steht auch unter dem Druck des internationalen Kapitals, das einen neuerlichen Bürgerkrieg verhindern will. Ein Grund dafür ist auch die destabilisierende Wirkung die ein neuerlicher Krieg auf den nahen indischen Bundesstaat Tamil Nadu (und damit auf die ganze Region) haben könnte, in dem es ebenfalls eine Bewegung für Unabhängigkeit gibt.
Die sri lankesische kapitalistische Klasse ist schwach sowie dominiert und abhängig von imperialistischen Staaten. Dieser Druck des internationalen Kapitals führt dazu, das Mahinda Rajapakse zur Zeit wieder Signale in Richtung Verhandlungsbereitschaft mit der LTTE sendet und zu All-Parteien-Gesprächen einlädt. Es ist offen, ob die neuerlichen Friedensverhandlungen in Genf, die für Mitte Februar geplant sind, angesichts der zunehmenden Provokationen zu einer friedlichen Lösung führen werden. Eine neuerlicher Ausbruch des Bürgerkrieges ist eine mögliche Entwicklung.
Gewerkschaftliche Einheit statt kapitalistischer Spaltung
Auf kapitalistischer Grundlage ist ein dauerhafter Frieden in Sri Lanka nicht möglich. Die USP fordert daher statt Verhandlungen zwischen verschiedenen kapitalistischen PolitikerInnen die Zusammenarbeit der ArbeiterInnenklasse und von Gewerkschaften. Als einziger Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im November hat Siritunga Jayasuriya von der USP das Selbstbestimmungsrecht der TamilInnen verteidigt. Er erhielt mehr als 35.000 Stimmen und wurde Dritter. Nach Verkündigung des Wahlergebnisses, als klar war, dass der chauvinistische Mahinda Rajapakse gewonnen hatte, hielt Siritunga eine weit beachtete Fernsehansprache. Er machte deutlich, dass Mahinda Rajapakse verantwortlich ist dafür, dass die Situation zwischen TamilInnen und SinghalesInnen wieder eskaliert und dass er viele soziale Verbesserungen versprochen hat, aber wohl kaum etwas davon halten wird.
Nach dem Tsunami gab es wechselseitige Hilfe von TamilInnen und SinghalesInnen. Die bewusste Spaltung der Regierung und nationalistischer Kräfte hat hier entgegengearbeitet. Die USP tritt für eine breite linke Plattform ein, um den Krieg zu stoppen. Eine solche Plattform muss v.a. von Gewerkschaften getragen werden. Sri Lanka hat eine sehr reiche Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. Es gab sozialistische und sogar trotzkistische Massenorganisationen. Die Stärke der ArbeiterInnenbewegung war der Grund, warum – im Gegensatz zu z.B. Indien oder Vietnam – die nationale Unabhängigkeit unblutig erreicht wurde. Sie ist auch der Grund für einen in der Region relativ hohen Lebensstandard und z.B. eine sehr niedrige AnalphabetInnenrate. Auch in den vergangenen Jahren gab es Streiks und Klassenkämpfe von verschiedenen Teilen der ArbeiterInnenbewegung gegen neoliberale „Reformen“. Die USP steht in den besten Traditionen der sri lankesischen ArbeiterInnenbewegung die sozialistisch und anti-chauvinistisch ist – und die Basis für eine friedliche Zukunft darstellt.