SPÖ verbürgerlicht, FPÖ gewinnt

Teil 9 der Artikelserie: Geschichte der österreichischen Arbeiter*innenbewegung
Oliver Giel

Spätestens seit den 1990er Jahren hat die einst starke Arbeiter*innnenbewegung in Österreich keine Partei mehr, während die extreme Rechte mit der FPÖ von 5-6% auf über 25% explodierte. Der Aufstieg der FPÖ hängt eng mit der Verbürgerlichung der SPÖ zusammen. SPÖ und ÖGB waren stets tief in der herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung verhaftet. Das bedeutete, “das bestmögliche” für die Arbeiter*innen zu erreichen, sich aber im Zweifelsfall auf die Seite von Staat, Regierung und Unternehmen zu stellen. Diese Anpassung an die kapitalistischen Notwendigkeiten bekam Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität.

Die SPÖ “verbürgerlichte”. Sie wurde aus einer Partei der Arbeiter*innen, die durch Reformen den Kapitalismus überwinden wollte - oder zu wollen vorgab - zu einer bürgerlichen Partei, die den Staat „besser“ verwalten wollte. Das lag im wirtschaftlichen und politischen Rahmen: Profitables Wirtschaften wurde schwieriger, die Durchsetzung neoliberaler Politik, die dem Kapital neue Investitionsmöglichkeiten erschloss, wurde nötig. Eine SPÖ, die nicht mit den Grundsätzen der Konkurrenz und Profitlogik brechen will, muss sich zwangsläufig diesen Sachzwängen beugen. Hinzu kam der Zusammenbruch des Stalinismus 1988-94 und damit das Wegfallen einer Systemkonkurrenz.

Von 700.000 Mitgliedern (1970er) auf knappe 100.000 

Die Verbürgerlichung umfasste alle sozialdemokratischen Parteien, verkörpert durch Schröder in Deutschland, Blair in Britannien, Vranitzky in Österreich, unter dem aus der “Sozialistischen Partei” die “Sozialdemokratische Partei” wurde. Gerade in Österreich aber wurde diese Entwicklung durch die in Jahrzehnten der “Sozialpartnerschaft” passiv gehaltene Basis noch befördert, ohne, dass es zu größeren Auseinandersetzungen kam. Eine der wenigen Ausnahmen war Opposition aus den Reihen der SPÖ-Jugendorganisation SJ, unter anderem gegen den Beitritt zum kapitalistischen Großprojekt EU. Federführend dabei Aktivist*innen die - nachdem sie wegen ihrer sozialistischen Opposition ausgeschlossen worden waren - später die SLP, heute ISA gründeten.

Die SPÖ betrieb Politik gegen die Arbeiter*innen und so verließen diese sie zu hunderttausenden. Es fehlt an Jugendlichen, an Aktiven, an Leben in der SPÖ, Frauen- und Umweltbewegung gingen an der SPÖ vorbei. Die Passivität, auch der Gewerkschaften, die sich immer noch an die inzwischen bürgerliche SPÖ ketten, bedeutete, dass Opposition gegen Sozialabbau und Privatisierungen keinen organisatorischen Ausdruck fand. 

Die FPÖ wird stärkste rechtsextreme Partei Europas

Mit der Privatisierungswelle ab den 1980ern und den Sparpaketen der 1990er Jahre wurde die SPÖ eine Partei wie jede andere. 1986 war Haider an die Spitze der FPÖ gelangt. Der nationalistische Flügel, der seit Gründung integraler Bestandteil der FPÖ war, war weiter führend. Aber unter Haider konnte sich die FPÖ das Image aufbauen, eine neue Partei für „uns’re Leut“ zu sein. Zwar war die FPÖ (ursprünglich als erste für einen EU-Beitritt) damals die Speerspitze des Neoliberalismus in Österreich, konnte aber gleichzeitig ihre Politik als einen Angriff auf den „schwarz-roten Filz“ in Staat, Verwaltung und Verstaatlichter verkaufen. Zentrales Element der FPÖ war von jeher Rassismus. Der jahrzehntelange Nationalismus von SPÖ und ÖGB, die Verbesserungen für die „eigenen“ Leute erreichen wollten und sich dabei auch auf rassistische Gesetze stützen, legte dafür eine Basis. 

Was seit Jahrzehnten fehlt, ist eine echte Arbeiter*innenpartei. Die SPÖ ist es längst nicht mehr und alle Versuche, sie zurückzugewinnen sind kläglich gescheitert, die FPÖ war nie eine. Das von der SPÖ hinterlassene Vakuum konnte teilweise die FPÖ mit ihrer pseudo-sozialen Rhetorik füllen. In den 1980ern entstanden mit Anti-AKW und Öko-Bewegung die Alternativen Listen Österreich und später die Grünen. Eine neue Partei für Arbeiter*innen waren sie nicht, sondern sind schnell nach rechts gegangen. Heute steht die Arbeiter*innenklasse vor einer ähnlichen Aufgabe wie an ihren Anfängen: Eine eigene Organisation, unabhängig von Staat und Kapital, die alle vertritt, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Nationalität aufzubauen, eine Organisation, die auf Grundlage eines sozialistischen Programms einen kompromisslosen Kurs einzig für die Interessen der Arbeiter*innenschaft fährt. 

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