Rot-Blau: Was tun?

Offener Brief an die wütenden Linken in der SPÖ
Sonja Grusch

Liebe GenossInnen,

überall ist die Bestürzung unter SPÖ-Mitgliedern über die Koalition mit der FPÖ im Burgenland deutlich zu sehen. Ich verstehe eure Wut und Enttäuschung. Doch so unerwartet ist die Koalition nicht. Niessl hat sich schon vor der Wahl klar geäußert, auf regionaler Ebene gab und gibt es in verschiedenen Bundesländern seit langem immer wieder Zusammenarbeit mit der FPÖ. Und v.a. inhaltlich hat sich die SPÖ in den letzten Jahren immer stärker angenähert. Bei Migration und Asyl ist die SPÖ schon lange in der Praxis Vertreterin und Umsetzerin einer rassistischen Teile- und-Herrsche-Politik, darüber können ein paar medial geschickt plazierte Krokodilstränen über die Toten im Mittelmeer nicht hinwegtäuschen. Damit wurde eine rassistische Grundstimmung, die die FPÖ anheizt in der Praxis umgesetzt. Schon vor Jahrzehnten hat die SPÖ plakatiert „Die FPÖ macht die Hetze, die SPÖ die Gesetze“.

Doch besonders ist es die neoliberale Politik die seit den 80er Jahren Privatisierung und Sozialabbau bedeutet, die den Aufstieg der FPÖ ermöglicht hat. Immer mehr der traditionellen WählerInnen und Basis der SPÖ haben sich – zur Recht enttäuscht – von ihr abgewendet. Viele wählen gar nicht mehr, aber ein Teil wählt auch die FPÖ in der Hoffnung, dem Protest so Ausdruck zu verleihen. Es ist also die Politik der SPÖ, die die FPÖ erst groß gemacht hat. Wer glaubt, die SPÖ könnte mit der FPÖ sozialere Politik betreiben als mit der ÖVP, weil sich diese als „soziale Heimatpartei“ darstellt, muss sich nur Praxis und Grundsatzprogramm der FPÖ ansehen: Privatisierungen, gegen gewerkschaftliche Grundrechte, Kürzungspolitik v.a. bei sozial Schwachen...

Ich war lange Mitglied in der SJ und auch der SPÖ, kenne die Argumente und Versuche der Parteilinken sehr gut, die Partei wieder nach links zu bringen. Sie ALLE sind gescheitert, weil die SPÖ sich nicht nur ein bisschen, sondern qualitativ verändert hat. Weil sie keine ArbeiterInnenpartei mehr ist, weil sie keine demokratischen Strukturen hat, weil die Basis letztlich nichts zu melden hat. Der eine oder andere angenommene linke Antrag bei Parteitagen hat an der Praxis der Partei nichts geändert.

Warum sind wir alle politisch aktiv? Weil wir die Ungerechtigkeit, den täglichen Wahnsinn des Kapitalismus, den wachsenden Rassismus, Abschiebungen, Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot... weil wir das alles nicht einfach hinnehmen wollen. Weil wir die Welt verändern wollen, eine demokratische, gerechte und solidarische Gesellschaft wollen. Dazu müssen wir uns organisieren, allein kann niemand eine Veränderung schaffen. Doch eine Organisation ist nur ein Instrument. Wenn ein Instrument stumpf und unbrauchbar geworden ist, tauschen wir es aus, um weiter an unserem Projekt zu arbeiten. Die SPÖ ist nur mehr eine – mehr oder weniger leere – Hülle. „Sozial“ und „Demokratisch“ sind Schatten der Vergangenheit die wir nicht dem Wunsch nach einer Partei unterordnen dürfen.

Liebe GenossInnen, ich weiß dass viele von euch schon lange unzufrieden sind mit dieser Partei. Ich weiß das ihr viel Zeit und Energie investiert um das Ruder herum zu reißen. Bilanziert diese Versuche! Es ist allerhöchste Zeit, endlich eine echte linke Alternative aufzubauen. Die Erwerbstätigen und Arbeitslosen, die Opfer der Sparpolitik, die KollegInnen im Gesundheitswesen, die LehrerInnen, die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die SchülerInnen und Studierenden, Menschen mit Migrationshintergrund und AsylwerberInnen – sie alle brauchen endlich wieder eine Partei, die mit und für sie kämpft. Eine ArbeiterInnenpartei ist dringend nötig. Das Kapital hat in Österreich viele Parteien – die ArbeiterInnenklassse in all ihrer breite und Buntheit hat keine einzige. Das ist der Boden, auf dem sich der Rechtsextremismus aufbauen kann.

Liebe GenossInnen, in vielen Ländern haben Linke aus Gewerkschaften und Sozialdemokratischen Parteien die Konsequenz aus der Verbürgerlichung ihrer Parteien gezogen und neue, linke Formationen gegründet. Dafür ist es höchste Zeit auch in Österreich. Startet nicht den x-ten Versuch, die SPÖ doch noch zu retten. Akzeptiert nicht Zähneknirschend die Packelei mit der FPÖ und nehmt nicht hin, dass das auch noch schöngeredet wird. Es reicht! Der Sozialabbau wird – im Burgenland, in der Steiermark, aber auch in Wien und auf Bundesebene – weitergehen. Es wird in den nächsten Tagen eine Reihe von Protesten gegen rot-blau geben. Machen wir daraus auch Proteste gegen den Sozialabbau, egal von welcher Regierungskonstellation er kommt. Organisieren wir gemeinsam Widerstand gegen die immer aggressivere Kürzungspolitik, die ja die Grundlage für das Wachstum der Rechten ist. Und setzen wir die ersten Schritte zum Aufbau einer neuen linken Kraft. Diese wird nicht über Nacht entstehen, doch jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um ein Startsignal zu geben und diesen Prozess zu beginnen.

Sonja Grusch

langjähriges Mitglied von SJ und SPÖ, heute SLP

DISKUSSIONSVERANSTALTUNG ZUM THEMA: https://www.slp.at/termine/rot-blau-was-jetzt