Regierung und Staat in der Krise, Wut in Widerstand verwandeln!

Der Herbst wird heiß, doch die Richtung ist unklar

  1. Dass die Zeiten nicht ruhig sind, ist inzwischen jedem/r klar. In Österreich und international tut sich viel. Die Weltwirtschaft schwächelt, Europa ist von Brexit, Krise der Deutschen Bank etc erschüttert. In der Ukraine und Syrien sind die Konflikte alles andere als vorbei und die Spannungen zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten nehmen nicht ab, sondern zu. Die militärische Auseinandersetzung mit z.B. Türkei oder Russland findet (noch) in Form von Stellvertreterkriegen statt, die die Zahl der Flüchtlinge weiter erhöht.

  2. Dem gegenüber steht die sinkende „Lösungskompetenz“ der Herrschenden. Die Dauerkrise der österreichischen Regierung stellt hier keine Besonderheit dar. Der Klebstoff ist die Angst vor dem Machtverlust. Die Wut über die zunehmenden Probleme und die Unfähgkeit oder Unwilligkeit der PolitikerInnen wird immer größer. Die Stimmung in Österreich gleicht einem Druckkochtopf mit ständig steigendem Druck. Die Ventile aber sind unterschiedlich wirkungsvoll.

Probleme nehmen zu

  1. Bei der SLP Konferenz Anfang 2016 haben wir auf eine Reihe von Problemfeldern der österreichischen Wirtschaft hingewiesen. Der „zu erwartende Arbeitsplatzabbau“ im Bankensektor bestätigt sich u.a. bei der Bank Austria, wo rund 1000 Stellen abgebaut werden. Auch beim Raiffeisen Service Center sind es allein in Wien bald 150 KollegInnen weniger. Auch die von manchen herbeigeredete Ankurbelung der Wirtschaft durch Flüchtlinge wird nun versucht, durch die Einführung von Dumpinglöhnen zu erreichen. Insgesamt sprechen die Wirtschaftsforscher nach wie vor von einem Aufschwung. Tatsächlich sind die Wachstumszahlen im schwachen 1%-Bereich. Eine Zunahme von Industriejobs um 0,5% wird uns bereits als Erfolg verkauft. Ein großer Teil der Investitionen sind Ersatzinvestitionen, also nicht zur Ausweitung der Produktion, sondern zur Erhaltung des Status Quo. Die ohnehin geringen Effekte der Steuerreform werden mit Jahresende auch schon wieder Geschichte sein. Und die Inflation, die wir bei Mieten und beim Wocheneinkauf spüren, ist weit höher, als die offiziell angegebene. Die Lohnabschlüsse der letzten Jahre waren mager, Pensionen und Sozialleistungen werden oft kaum oder nicht an die Inflation angepasst. Armut heißt in Österreich noch nicht verhungern müssen, aber auch diesen Winter werden alte Frauen ihre Wohnung nicht ordentlich warm heizen können, werden Kinder sich den Schulausflug nicht leisten können. Wie wir schon länger gesagt haben, finden die Kürzungen verstärkt auf Länder- und Gemeindeebene statt. Die Pläne im Gesundheitswesen in Oberösterreich, Salzburg oder Wien sind ein Beispiel dafür. In Linz sollen in den nächsten Jahren 21 Millionen gespart werden, in der Steiermark wird brutal die Wohnbeihilfe weitgehend ersatzlos gestrichen. Die durchgeführten und geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung zeigen, wie eine Spirale nach unten immer mehr Menschen in die Armut treibt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Mindestsicherung noch stärker in Richtung Hartz IV, also inklusive Zwangsarbeit, Regress und Repression, ausgebaut wird. Diese Kürzungen werden von allen Parteien durchgeführt. Auch in Wien schnüren SPÖ-Grün ein Sparpaket von bis zu 10%. Es wird also immer schwerer, mit dem Geld auszukommen. Und das macht wütend.

  2. Die Regierungen - egal ob in Bund oder Land – wirken angesichts der Probleme überfordert. Beim Flüchtlingsthema haben sie Schritt für Schritt die Forderungen der extremen Rechten übernommen und durch die Nicht-Lösung der Fragen von Unterbringung, Jobs und Integration Vorschub für Rassismus oder auch „nur“ ein „wir schaffen das nicht mehr“ geschaffen. Bei sozialen und wirtschaftlichen Fragen wird entweder geleugnet, dass es Probleme gibt oder die Begehrlichkeiten der WirtschaftsvertreterInnen 1:1 übernommen. Kerns Ankündigungen eines New Deal und einer Wertschöpfungsabgabe sind bis jetzt kaum Taten gefolgt, dafür sind die Forderungen von WKO und IV nach weiterer Flexibilisierung der Arbeitszeit umso lauter.

  3. Die Regierung ist in einer Dauerkrise, die sich nach der BP-Wahl massiv verstärken wird. Und zwar unabhängig vom Ergebnis. Die herrschende Klasse will einen Sieg VdBs, weil das mehr Stabilität verspricht. Doch insbesondere die ÖVP kann durchaus auch mit einem Präsident Hofer gut leben. Das Tempo in Richtung vorgezogener Neuwahlen wird sich daher mit 5. Dezember verstärken, Neuwahlen in der ersten Jahreshälfte 2017 werden wahrscheinlicher. Die Stimmung auch in der SPÖ mit der zur Zeit dominierenden Angst vor dem Machtverlust kann zu einem „je früher, um so mehr können wir retten“ wechseln. Bei den nächsten Wahlen stellt sich daher auch die Frage des Antretens einer linken Alternative!

 

Versagen der PolitikerInnen

  1. Das Debakel bei der Bundespräsidentschaftswahl hat das Vertrauen in die herrschende Klasse – das parlamentarische System und seine Institutionen – stark beschädigt. Nicht einmal ihre ureigenste Aufgabe, das Abhalten von Wahlen, schafft diese „Demokratie“ - und macht sich dadurch immer unglaubwürdiger. Als SozialistInnen treten wir für eine echte Demokratie ein, die auch das Wirtschaftsleben umfasst und bei der Menschen in ihrem Lebensumfeld, in Betrieb, Wohngegend und Region in demokratischen Strukturen selbst entscheiden. Die existierende bürgerliche Demokratie ist sehr beschränkt. Doch der Abbau dieser beschränkten demokratischen Mittel ohne Ersatz durch echte Demokratie ist kein Fortschritt.

  2. Auch der herrschenden Klasse ist die zunehmende Unzufriedenheit bewusst. Die Wirtschaft braucht eine Regierung, die rascher als bisher Angriffe auf die ArbeiterInnenbewegung durchsetzt, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und eine Verbilligung der Lohnkosten (Stichwort „Senkung der Lohnnebenkosten“) stehen auf der Wunschliste der WirtschaftsvertreterInnen dabei ganz oben. Die Propaganda der Herrschenden gegen Arbeitslose, die Mindestsicherung (und insgesamt eine angebliche „soziale Hängematte“) nimmt in den letzten Monaten wieder zu. Die Herrschenden wollen auch die de facto Abschaffung der Kollektivverträge und deren Ersatz durch betriebliche bzw. sogar individuelle Verträge vorantreiben. Wenn die Wirtschaftskammer WKO von einem „sozialen Handschlag“ für flexiblere Arbeit schreibt, dann ist dass ein Angriff auf Arbeitszeit UND Kollektivverträge.

  3. Auf der anderen Seite steigt die Unzufriedenheit der ArbeiterInnenklasse sowie der Mittelschichten. Die Zukunft ist unsicher, die Problemlösungskompetenz der Regierung bescheiden. Wollen Parteien gewählt werden, dürfen sie dem Druck der Wirtschaft, die aber die soziale Basis dieser Parteien ist, nicht zu stark nachgeben. Daher steigt auch bei KapitalvertreterInnen und ihrer politischen Vertretung der Wunsch, Entscheidungen fällen zu können, unabhängig vom Druck der WählerInnen. Bei Vorstößen wie dem Sicherheitspaket, Notverordnungen etc. geht es nur vordergründig um Terrorbekämpfung. Dahinter steckt einerseits der Wunsch, ein Werkzeug gegen Aufstandsbekämpfung im Land in der Hand zu haben sowie andererseits der Versuch, Regierungen in ihrem Handeln von Wahlen unabhängiger zu machen. Bei der Notverordnung bezüglich Flüchtlingsobergrenze wurden als Grund „normale“ soziale Probleme im Land wie Arbeitslosigkeit angeführt – das zeigt, in welche Richtung die Entwicklung geht. Verträge wir TTIP und CETA bzw. Institutionen wie die EU helfen bei diesem Demokratieabbau, doch die österreichische Regierung setzt auch ohne diese Hilfsmittel Schritte in Richtung autoritärer Umformung. Die wiederholte positive Bezugnahme von Kurz auf Orbán zeigt, dass die Maßnahmen von Demokratieabbau in den Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) für die etablierte Politik in Österreich zumindest kein Problem darstellen. Für Teile des Bürgertums bietet sich die Möglichkeit, liberale Gesetze und Regelungen der 1970er Jahre zu beseitigen. Es gibt zwar Unterschiede bezüglich Tempo und Intensität dieses Demokratieabbaus, doch die SPÖ ist aktiver Bestandteil dieser Angriffe auf demokratische Grundrechte (die sie vor langer Zeit mit erkämpfen half). Dass gleichzeitig quasi alle Parteien für „mehr Demokratie“ eintreten und „direkte Demokratie“ durch Mitgliederbefragungen, Volksabstimmungen etc. anpreisen, ändert daran wenig. Diese Instrumente werden zwar oft großmundig angepriesen, sind aber eher zahnlos und beeinflussen die zentralen Entscheidungen kaum.

 

Ventil nach links dringend nötig

  1. Wenn VertreterInnen der als „linker“ geltenden SPÖ Wien den SpitalsärztInnen das Streikrecht absprechen (ähnlich wie Riess-Passer unter blau-schwarz dem öffentlichen Dienst insgesamt) dann zeigt das, dass auch die SPÖ Teil dieser Entwicklung ist. Kern hat trotz anfänglicher Euphorie den Kurs der SPÖ nicht geändert. Er lässt sich demonstrativ im Kreisky-Büro nieder und verkündet als Ziel „Vollbeschäftigung bis 2020“. Seine Maßnahmen folgen (durchaus in Kreiskyscher Logik) im Wesentlichen der Logik „geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Auf Schiene sind Start-up-Paket für Betriebsneugründungen inklusive Senkung der Lohnnebenkosten, Senkung der Bankenabgabe. Investitionen beim Bundesheer etc. sollen Jobs schaffen, wer keinen findet kann mittels „Ausbildungspflicht“ drangsaliert werden. Vor einem Integrationspaket muss man sich angesichts der Ankündigungen über Assimilierungspflichten eher fürchten, das Arbeitspaket beinhaltet Diskussionen über Investitionen und die kalte Progression.

  2. Auch in den Umfragen konnte die SPÖ nur leicht (und wohl v.a. von der ÖVP) zulegen, die FPÖ ist weiterhin stabil an erster Stelle. In den kommenden Monaten wird es in der SPÖ in Vorbereitung des Parteitages im Mai und die dortige Programmabstimmung zu innerparteilichen Debatten kommen. Doch die populistischen Anwandlungen von Kern (Stichwort: Mitgliederbefragung zu CETA) ändern ebensowenig wie personelle Signale (Misik & Co.) nichts am weiterhin geradlinig neoliberalen Kurs der Partei.

  3. Ein österreichischer Corbyn ist sehr unwahrscheinlich. In der SPÖ gab es nie eine Parteilinke, die wenigen mehr oder weniger Linken, die es gibt, versucht man gerade zu kaufen (Blaha) bzw. sie werfen das Handtuch (Holzinger). Von der letzten Initiative der SPÖ-Linken „Initiative Kompass“ ist nichts mehr zu sehen. Eventuelle neue Projekte rund um den Parteitag werden voraussichtlich eine ähnlich beschränkte Haltbarkeit und Wirkung haben wie ähnliche Versuche der Vergangenheit. Die Tatsache, dass Kern allerdings versucht, sich ein fortschrittlicheres (Regenbogenparade) und linkeres (Maschinensteuer) Image zu geben, zeigt den Wunsch nach einer linken Alternative. Zu beobachten wird sein, inwiefern die SPÖ in einem kommenden Wahlkampf versuchen wird (bzw. auch dazu in der Lage sein wird), sich ein soziales oder gar linkes Image zu verpassen. Die bisherige Performance von Kern zeigt, dass es diesbezügliche Rhetorik und gegenläufige Praxis gibt – doch die Rhetorik reicht offensichtlich schon, um die restlichen Linken in der SPÖ bei der Stange zu halten! Wie wir schon früher analysiert haben, sind die Linken ein wesentlicher Teil des Restes der SPÖ (auch wenn sie faktisch wenig Einfluss auf den Kurs haben). Der Zerbröselungsprozess der SPÖ geht nach einer kurzen Kern-bedingten Pause weiter. Die Wahlen in Wien 2 haben gezeigt, dass ein nicht unwesentlicher Teil der ehemaligen SPÖ-WählerInnen zu den Grünen gewechselt ist. Bei einem zu erwartenden schlechten Abschneiden der SPÖ bei kommenden Wahlen wird dieser Erosionsprozess weiter an Fahrt gewinnen.

  4. Der Wunsch nach einer linken Alternative ist auch der Klebstoff, der das Aufbruch-Projekt zusammen hält. Hunderte Menschen, die in ganz Österreich regelmäßig an Gruppentreffen teilnehmen, Aktionen planen, diskutieren und organisieren, zeigen das Potential für ein neues linkes Projekt. Doch Aufbruch hat nicht alle Zeit der Welt. Zieht sich der Prozess der Programmfindung zu lange hin, gibt es zu viel inneres und zu wenig äußeres Leben, dann besteht die Gefahr, dass sich gerade die neuen AktivistInnen enttäuscht zurückziehen. Ein Scheitern von Aufbruch würde zwar Erfahrung bringen für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei, wäre aber auch ein Rückschlag. Selbst das Scheitern der diversen rechten/bürgerlichen neuen Parteiprojekte (Stronach & Co.) zeigt die negativen Folgen in diesem Prozess, weil die Hoffnung auf was erfolgreiches, funktionierendes Neues damit jedes Mal reduziert wird. Darum setzt sich die SLP mit viel Energie für einen aktiven und kämpferischen Kurs von Aufbruch ein.

 

Es rumort und grummelt in der Klasse

  1. Zentral für den Aufbau einer solchen neuen linken Kraft ist auch die Entwicklung von Klassenkämpfen und Klassenbewusstsein. Die Wut über „die da oben“ spüren auch die Gewerkschaftsspitzen. Innerhalb weniger Tage im September gab es mehrere Aktivitäten, die diese Wut und den Wunsch, zu kämpfen zeigen: der Streik der SpitalsärztInnen, eine relativ offensive Lohnforderung der Metaller-Gewerkschaften, eine Demonstration des Sozialbereichs noch vor Beginn der KV-Verhandlungen und die Ankündigung der Gründung einer Pflegegewerkschaft. Zwei Aktivitäten, die den Druck zeigen, unter dem die Gewerkschaftsführung von Seiten der Mitgliedschaft steht. Zwei Aktivitäten, wo Beschäftigte ohne, teilweise sogar gegen die Gewerkschaft aktiv werden. Die SpitalsärztInnen sind keine homogene Gruppe und die Wenigsten würden sich wohl hier als „ArbeiterInnenklasse“ sehen. Und doch haben sie die Kampfmethoden der ArbeiterInnenklasse gewählt und sind als unselbstständig Beschäftigte in den Kampf eingetreten. Die Ärztekammer hat hier sicher ihren eigenen Plan und auch das Standesdenken ist unter ÄrztInnen stark vertreten, doch beides ist v.a. auch eine Folge der katastrophalen Position der zuständigen Gewerkschaft. Ob die Pflegegewerkschaft abhebt, wird sich noch zeigen, aber in beiden Fällen ist das zentrale Element der absolut verständliche Wunsch, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren und die Verzweiflung darüber, dass die zuständigen Gewerkschaften nichts tun, oder sogar teilweise auf Seiten des Dienstgebers stehen. Schon in den vergangenen Jahren hat es im Gesundheits- und Sozialbereich gebrodelt und gab es immer wieder Proteste. Schon im Frühjahr haben wir darauf hingewiesen, dass hier mehr kommen wird. Für die kommende KV-Runde ist hier also mit einigen Aktivitäten zu rechnen. Viele der AktivistInnen von Aufbruch sind in diesem Bereich tätig und können eine wichtige Basis für kommende Proteste und Bewegungen legen. Auch bei den Wiener ÄrztInnen könnte der Konflikt noch einmal aufbrechen, da die Gemeinde sich bei der bekämpften Streichung von Nachtdiensten aktuell durchzusetzen scheint. Eine generalisierte Bewegung von den Gewerkschaften ist nicht zu erwarten, doch in den kommenden Wochen und Monaten sind kleinere und eventuell auch größere Proteste auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene möglich. Manche werden auch ohne bzw. gegen den Willen der Gewerkschaftsführung aufbrechen und nur in einzelnen Betrieben stattfinden. Doch was sich wie schon in den letzten Jahren zeigt: wo immer es ein Angebot gibt, sich zu wehren, wird das angenommen

  2. Rund um andere, nicht betriebliche Themen wie das Flüchtlingsthema, Frauen- und Demokratiefragen etc. können Initialzündungen für Proteste ausgehen, wo ArbeiterInnen (wenn auch nicht in ihrer Eigenschaft als Beschäftigte) sich politisieren und aktivieren, was wiederum Rückwirkungen auf die Gewerkschaften haben kann. In Polen haben wir gesehen, welche Sprengkraft die Angriffe auf Frauenrechte gehabt haben. Auch in Österreich ist die Mehrheit der Abgeordnete im Parlament von Parteien, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einschränken möchten. Nach Neuwahlen kann das Thema daher auch hierzulande wieder brennend werden. Auch wenn es aktuell keine Anzeichen für Jugendproteste gibt, so zeigen doch die Erfahrungen der Vergangenheit, wie rasch und explosionsartig diese beginnen können.

Linke Antwort notwendig

  1. Unmut und Wut sind am zunehmen. Das ist nicht per se schlecht, sondern kann im Gegenteil der Stoff sein mit dem das Feuer unterm Hintern der Bourgeoisie entfacht wird. Die „Wir sitzen alle im selben Boot“-Logik (auch bekannt als „geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“) greift immer weniger. Die Unterschiede zwischen oben und unten, ihnen und uns, ArbeiterInnenklasse und Kapital werden nicht nur sichtbarer, sondern auch stärker wahrgenommen. Auch in den Mittelschichten gärt es angesichts einer düsteren Perspektive für die Zukunft.

  2. Aktuell entwickelt diese Stimmung auch kapitalismuskritische Züge. Ausdruck davon ist z.B. die starke Ablehnung von CETA und TTIP. Doch aufgrund von Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft und der Klassenkollaboration ist das Klassenbewußtsein schwach bzw. verkümmert. Darum können auch rechte Kräfte diese Stimmung der Unzufriedenheit aufgreifen. Dass ein kleinbürgerlicher Wirrkopf wie Düringer, der selbst in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, im Bündnis mit Rechtskonservativen und Rechtsextremen landet, ist Ausdruck des Fehlens einer linken Alternative.

  3. Die FPÖ hält sich vor der Bundespräsidentschaftswahl im Dezember sichtlich zurück und versucht, keine neuen Skandale zu produzieren. Doch ein Präsident Hofer in 1-2 Jahren in Kombination mit einem Kanzler Strache ist eine reale Gefahr. Eine Gefahr, die vielen Menschen Angst macht. Denn die zunehmenden rassistischen Übergriffe, die Präsenz von rechter Gewalt und Drohungen sind längst kein Randthema mehr. In den Wochen vor der Bundespräsidentschaftswahl wird daher die Polarisierung wieder zunehmen. Wenn allerdings kein neuer Skandal aufkommt, wird diese nicht das Level von vor der ersten 2. Runde erreichen, da (die) Wahlen als zunehmend entbehrbar wahrgenommen werden. Wenn Van der Bellen gewählt wird, bedeutet das eine Fortsetzung der aktuellen Politik sowie eine kleine Atempause, um den Aufbau einer neuen politischen Kraft voran zu treiben. Auch wenn Hofer gewählt werden sollte, bedeutet das nicht den Untergang, sondern eine Beschleunigung von rassistischer und neoliberaler (Kürzungs-)Politik. Der Aufbau einer linken Alternative zu Rechtsextremismus und etablierten Parteien ist dann um so dringlicher.