Politisches Erdbeben in Irland

Neue sozialistische Linke mit Erfolgen
Sebastian Rave

Nach fünf Jahren Austeritätspolitik ist die alte Koalition aus Fine Gael und Labour am Ende. Sinn Féin schneidet schlechter ab als erwartet, unabhängige KandidatInnen und Linke gewinnen. Schwierige Regierungsbildung erwartet.

Es war eine deutliche Absage an den bisherigen Regierungskurs: Die Regierungspartei Fine Gael verliert nach bisherigem Stand (in einigen Wahlkreisen wird noch ausgezählt) 30 ihrer 76 Parlamentssitze. Mit 46 Sitzen sind sie nun fast genau so stark wie Fianna Fáil (43), die zweite bürgerliche Partei in Irland. Im Parlament würde das knapp für eine große Koalition reichen, was ein absolutes Novum in der Geschichte Irlands wäre. Beide Parteien ähneln sich in ihrer Wirtschaftspolitik wie eineiige Zwillinge, und sind dennoch traditionelle Rivalen. Fianna Fáil wurde in den Wahlen 2011 noch mit dem schlechtesten Ergebnis der Geschichte abgestraft, nachdem sie für das Platzen der Immobilienblase und der folgenden Bankenkrise verantwortlich gemacht wurden. Dass sie sich jetzt als Sieger präsentieren ist allerdings ein Hohn: Das aktuelle Wahlergebnis (25 Prozent) ist immer noch das zweitschlechteste in ihrer Geschichte. Noch vor zehn Jahren hatten sie vierzig Prozent!

Labour am Ende

Eine historische Schlappe erlitt die Labour Party, die sich nun mit PASOK (Sozialdemokratische Partei in Griechenland, anm.) in die Liste der europäischen sozialdemokratischen Parteien einreihen kann, die nach Jahren der Austeritätspolitik am Rande der Existenz stehen. Labour bekam nur noch 6,6 Prozent der Erststimmen und wird wahrscheinlich gerade noch genug Sitze für eine Parlamentsfraktion zusammen bekommen. Die WählerInnen hatten 2011 Labour als soziales Gewissen in die Regierung gewählt – um so größer war die Enttäuschung und später der Hass auf diejenigen, die am Ende die härtesten Verfechter der antisozialen Kürzungspolitik waren.

Die Liste von Verbrechen der abgewählten Regierung ist lang: Kürzungen für alleinerziehende Eltern, Rentenkürzungen, das Eindampfen des Gesundheitsbereichs, das völlige Ignorieren der Wohnungskrise, die zu einer hohen Obdachlosigkeit geführt hat, und der Versuch, das durch die Bankenrettung aufgerissene Haushaltsloch durch Massensteuern zu stopfen. Am Ende war es die Einführung der Wassergebühren, die das Schicksal der Regierung besiegelte. Hunderttausende demonstrierten gegen diesen ersten Schritt der Privatisierung der Wasserversorgung. Über die Hälfte der Bevölkerung nimmt an einer gigantischen Boykottkampagne teil, in der die Anti-Austerity-Alliance, an der die Socialist Party (Schwesterpartei der SLP in Irland) beteiligt ist, eine entscheidende Rolle gespielt hat. .

Druck von Links

Der Gegner dieser Kampagne war klar: Die Regierung, insbesondere Labour. Aber wer war der politische Verbündete? Diese Bewegung brauchte dringend einen politischen Ausdruck. Die glaubwürdigsten Vertreter waren die Teile der radikalen Linken, die zum Boykott aufriefen, die die Europawahl vor anderthalb Jahren nutzten, um die Kampagne voran zu bringen, und die sich am Ende zu dem Wahlbündnis Anti-Austerity Alliance (AAA) / People Before Profit (PBP) zusammen fanden. Beide waren aber noch zu klein, um einer Massenbewegung diesen Ausmaßes den angemessenen politischen Ausdruck zu verleihen. Die linksnationalistische Sinn Féin versuchte, das politische Vakuum zusammen mit der Gewerkschaftsbürokratie und einigen unabhängigen Abgeordneten unter dem Banner „Right2Change“zu füllen. Doch der Versuch von Sinn Féin, als radikale Alternative gegen das Establishment aufzutreten und sich gleichzeitig als „ernsthaft“ und „koalitionsfähig“ gegenüber den etablierten Parteien aller Schattierungen zu präsentieren, ging nach hinten los. Während Sinn Féin sich gegen die Wassergebühren aussprach, unterstützte die Partei jedoch die Zahlboykottkampagne nicht und die Erfahrungen der Regierungsbeteiligung von Sinn Féin in Nordirland zeigt, dass die Partei nicht links ist, sondern an der Regierung neoliberale Maßnahmen mit umsetzt. Zwei Wochen vor der Wahl sahen Umfragen sie noch bei über zwanzig Prozent – dementsprechend lang waren die Gesichter, als es am Ende nur 13,8% Prozent der Stimmen waren, magere 3,9 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl.

Historische Krise

Das Wahlergebnis markiert eine historische Krise für das bürgerliche Establishment und den irischen Kapitalismus. Es geht auch einher mit einer Schwächung des Einflusses der mächtigen katholischen Kirche, was sich in dem erfolgreichen Referendum für das Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung zeigte. Die bürgerlichen Parteien, die Jahrzehnte das politische Geschehen mit einer Wahlunterstützung von über achtzig Prozent dominierten, haben nicht einmal mehr eine absolute Mehrheit der Stimmen. Unabhängige KandidatInnen und neue linke Formationen konnten deutlich zulegen. Ob eine Regierungsbildung – denkbar ist nur eine Große Koalition von FF und FG – gelingt, ist offen. Selbst baldige Neuwahlen können nicht ausgeschlossen werden.

REAL Change not spare Change

Gleichzeitig konnte das Wahlbündnis der AAA (um die Socialist Party) mit PBP (Bündnis „People before Profit“ um die Socialist Workers Party) landesweit 3,9 Prozent erringen (obwohl sie nur in zwei Dritteln der Wahlkreise antreten konnten), die Anzahl der repräsentierten Wahlkreise verdoppeln, und hat nach jetzigem Auszählungsstand sechs Abgeordnete (ein/e siebte/r ist noch nicht ausgeschlossen).

Die beiden AAA-Abgeordneten und SP-Mitglieder Ruth Coppinger und Paul Murphy wurden wieder gewählt und werden im Parlament durch Mick Barry aus Cork unterstützt. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die AAA erstmals außerhalb der Hauptstadt Dublin einen Parlamentssitz erringen konnte. In Limerick scheiterte ihr Kandidat Cian Prendiville nur knapp mit einem Stimmenabstand von 270. Besonders beeindruckend war das Wahlergbnis im Dubliner Stadtteil Tallaght, in dem es massive staatliche Repression gegen DemonstrantInnen gegeben hatte, die gegen die stellvertretende Ministerpräsidentin Joan Burton auf die Straße gegangen und ihren Dienstwagen blockiert hatten. Dort konnten die AAA-KandidatInnen Paul Murphy und Sandra Fay bei einer Rekordwahlbeteiligung die meisten Stimmen erzielen.

Dies sind die Früchte der Arbeit nicht nur der letzten Jahre in der Bewegung, sondern auch einer beeindruckenden Wahlkampagne, in der hunderte AktivistInnen Tonnen von Plakaten aufgehängt, unzählige regional abgestimmte Flugblätter verteilt und zehntausende Hausbesuche gemacht haben. Nach einer kurzen Erholungspause werden diese in der nächsten Zeit viel damit zu tun haben, die neue Regierung von links unter Druck zu setzen. Denn auch wenn es unklar ist, ob sich die beiden eineiigen Zwillinge Fine Gael und Fianna Fáil zusammen raufen oder sich andere Regierungsoptionen suchen: Eine neue Regierung wird unter massivem Druck stehen, die Wassergebühren wieder abzuschaffen, und damit auch anderen Bewegungen gegen Kürzungen Aufschwung zu verleihen.

Die AAA und die Socialist Party werden weiter daran arbeiten, Massenbewegungen gegen die Regierungspolitik zu mobilisieren und AktivistInnen zu organisieren. Die gestärkte Vertretung der Linken im Parlament erhöht die Chance, dass daraus eine neue sozialistische Linke entsteht, die zu einer politischen Interessenvertretung der irischen Arbeiterklasse mit Massenunterstützung wird.

 

Wer mehr über die Situation in Irland erfahren will, kann das bei den Sozialismustagen in Berlin tun. Dort wird Laura Fitzgerald, Vorstandsmitglied der Socialist Party und Sprecherin der ROSA-Kampagne für Frauenrechte sprechen.