Parlamentswahlen in Russland

Interview mit dem russischen Sozialistischen Rob Jones von Socialist resistance

Was wird im Dezember bei den Parlamentswahlen geschehen?

Es gibt kaum Zweifel dass Putins Partei “Einiges Russland” eine große Mehrheit der Parlamentssitze erhalten wird. Und es ist keineswegs sicher, dass irgendeine der anderen Parteien genug Stimmen erhalten wird, um die 7%-Hürde zu nehmen. Die KP und Shirinovskis Partei könnten es eventuell schaffen. Ein Grund dafür ist, dass Putin das Glück hat, dass seine Herrschaft mit einem dramatischen Wirtschaftswachstum zusammenfällt, dass seine Grundalge in den hohen Preisen von Öl am Weltmarkt hat. Viele Menschen haben daher das Gefühl, dass die Horrorperiode der 1990er Jahre vorbei ist, als Russland von Putschen, ethnischen Konflikten, ökonomischen Zusammenbrüchen und Hyperinflation erschüttert wurde. Außerdem sind die Oppositionsparteien unfähig, der Unzufriedenheit, die immer noch in der Gesellschaft existiert eine Stimme zu geben. Und um ganz sicher zu gehen, dass es keine Überraschungen gibt stellt der Kreml sicher, dass der Wahlprozess hochgradig kontrolliert wird.

Was meinst du unter einem hochgradig kontrollierten Wahlprozess?

Russland ist keine demokratische Gesellschaft und seit den letzten Wahlen hat sich die Situation noch verschlimmert. Letztes Mal wurde die Hälfte der Sitze von einzelnen Wahlkreisen gewählt. Dadurch hatten kleine Parteien und unabhängige KandidatInnen zumindest eine kleine Chance. Nun werden alle Sitze nur unter jenen Parteien, die die 7%-Hürde überschreiben aufgeteilt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass nur „Einiges Russland“ das schafft. Auch die Wahlpropaganda ist scharfen Kontrollen unterworfen um jede Kritik am Kreml zu verhindern. Keine Partei, die Ansätze zeigte, irgendeine Form von Opposition zu mobilisieren wurde zur Wahl zugelassen. Gleichzeitig sind alle Regierungsstellen und staatlichen Strukturen und Staatsunternehmen angewiesen worden ihre Belegschaft zu Mobilisieren, damit sie „Einiges Russland“ unterstützen. HochschuldirektorInnen instruieren ihre Studierenden sich an pro-Putin Demonstrationen zu beteiligen wenn sie Prüfungen bestehen wollen. Beschäftigte erhalten von der Firmenleitung Anweisungen, wie sie Wählen sollen.

Was ist der Charakter von „Einiges Russland“?

“Einiges Russland ist die wichtigste pro-Kreml Partei, die eine Mehrheit in beiden Häusern und allen regionalen Verwaltungseinheiten hat. Bis vor kurzem war die Position des Kremls zwei pro-Kreml-Parteien zu fördern, ein „rechtes“ Standbein (Einiges Russland) und ein „linkes“ Standbein „Gerechtes Russland“. Enorme Ressourcen wurden hineingepumpt um die künstlich geschaffene „linke alternative“ zu fördern, die geschaffen worden war um das Bild eines Mehrparteiensystems zu präsentieren und auch um Unterstützung für die KP zu untergraben. Diese neue „Partei“ wird von Sergei Mironov geführt, dem Sprecher des Oberhauses (der bei den letzten Präsidentschaftswahlen unter dem Motto „wählt nicht mich, weil Putin ist der beste Kandidat“ angetreten war) und der nun seine Propaganda mit sozialistischer Rhetorik aufpeppt und für einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ aufruft.

Aber nun haben Putins Wasserträger ihre Position geändert. Nun meinen sie, damit Putin nach den Präsidentschaftswahlen bis Anfang nächstes Jahres (laut Verfassung kann Putin nur zwei Legislaturperioden regieren) an der Macht bleiben kann muss „Einiges Russland“ die größtmögliche Mehrheit bei den Wahlen im Dezember erringen. Putin hat verkündet, dass er der Spitzenkandidat sein wird und hat damit „Gerechtes Russland“ de facto ausgebootet.

„Einiges Russland“ tut so, als ob sie die Architekten des Wirtschaftswachstums und von Stabilität wären und das beides natürlich vom Vater der Nation, Putin, angeführt wird. Seitdem Putin an die Macht gelangt ist hat die Regierung neoliberale Reformen des Sozialstaates verstärkt und hat Elemente der staatlichen Kontrolle wieder eingeführt. In strategischen Industrien (speziell im Rüstungsbereich) gab es umfassende staatliche Investitionen. Das zivile und das politische Leben ist stark kontrolliert durch den Staat, die Polizei und den FSB (früherer KGB) und auch auf der internationalen Bühne wird Russland zunehmend aggressiv. Aber diese Politik wird durch populistische Rhetorik verschleiert. Z.B.  ist der Führer ihrer Parlamentsfraktion Andrei Isayev, der vor nicht allzu langer Zeit ein Anführer der AnarchistInnen war und der oft dazu aufruft dass faire Löhne und Pensionen bezahlt werden sollen! „Einiges Russland“ weigert sich, öffentlich mit anderen Parteien zu diskutieren und argumentiert, dass die Wahlen eigentlich nur eine Volksabstimmung pro oder contra Putin sind.

Was geht eigentlich in der Wirtschaft vor?

Auf der Basis des Ölbooms hat sich der Lebensstandard einer nicht unwesentlichen Schicht der Bevölkerung verbessert. Aber trotz einer Reihe von Verhaftungen auf höchster Ebene, inklusive eines stellvertretenden Finanzministers in dieser Woche, ist die Korruption dramatisch angewachsen. Laut „Transparency International” ist Russland von Platz 127 auf 145 abgefallen. Ein anderer Bericht hat aufgezeigt, dass es heute dreimal so viele Bürokraten gab wie zu Breschnews Zeiten. Aber während es einen Kapitalfluss in die Wirtschaft gibt, fehlen in Schlüsselbereichen der Wirtschaft und der Infrastruktur Investitionen um den weiteren Verfall zu stoppen. In den letzten Monaten gab es außerdem ein starkes Ansteigen der Inflation. Das drückt zwar einen gewissen Trend in der Weltwirtschaft aus, geriet aber durch den Schwall an Ölreichtum außer Kontrolle.

Was sind die wichtigen oppositionellen Kräfte?

Von den 15 Parteien, die zur Wahl zugelassen sind haben nur drei irgendeine Form der Opposition zum Kreml gezeigt. Die zwei neuen neoliberalen Parteien Yabloko  und die Union der rechten Kräfte haben kaum wirkliche Unterstützung in der Gesellschaft, will sie mit dem katastrophalen wirtschaftlichen Zusammenbruch in den 1990er Jahren in Verbindung gebracht werden. Aber auch wenn die KP eventuell auf den zweiten Platz kommt so hat sie doch bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, Opposition zu mobilisieren. Ihre WählerInnenbasis sind Ältere, die von den Tagen träumen als Russland (als UdSSR) ein starker Staat mit einer stabilen Wirtschaft war der sich auf internationaler Ebene verteidigen konnte. Viele von ihnen sehen auch, dass Putin Schritte gesetzt hat, um dass zu erreichen.

Was ist mit “Anderes Russland”?

Eine Organisation, die nicht antreten darf ist “Anderes Russland”. Es ist eine sonderbare Allianz zwischen dem neoliberalen Schachspieler Gary Kasparov und dem ehemaligen Premier (unter Putin) Kayanov mit der neofaschistischen „National-Bolschewistischen Partei“  und der neo-stalinstischen „Avantgarde der Kommunistischen Jugend“.  Unterstützt wird das ganze von westlichen Diplomaten und Medien die darin eine Form von „orange Opposition“ (in Anlehnung an die Ereignisse in der Ukraine) sehen. Trotz einiger von den Medien hochstilisierter Demonstrationen, die von der Polizei brutal zerschlagen wurden hat diese Organisation keine Unterstützung in der Gesellschaft aufbauen können und bricht bereits wieder auseinander.    

Und die extreme Rechte?

Die extreme Rechte ist eine ernste Gefahr. Obwohl das Regime offiziell gegen „Extremismus“ vorgeht, was zur Zeit v.a. bedeutet gegen rechtsextreme Gruppen, sind Nationalismus und Rassismus tief verankert in der Gesellschaft. Das Regime hat gezeigt, dass wenn es ihm nützt, wie bei der jüngsten Kampagne gegen Estland, es bereit und in der Lage ist eine rassistische Stimmung aufzuwiegeln. Ein Ergebnis davon ist auch, dass rassistische Angriffe und Morde durch Skinhead-Gangs zunehmen.

Was wird also geschehen?

Das herrschende Regime stellt sicher, dass Putin nach den Wahlen in welcher form auch immer an der Macht bleiben wird. In jeder Stadt werden Kundgebungen organisiert die dazu aufrufen, dass Putin bleiben soll. Zur Zeit hat er verschiedene Optionen: entweder als Premierminister mit einem Präsidenten der nur repräsentative Aufgaben hat oder durch Manöver im ökonomischen Bereich die dazu führen dass er auf „öffentlichen Wunsch“ für eine dritte Amtsperiode bleibt. Auf der Homepage von „Einiges Russland“ gab es auch Aufrufe dafür, dass auf die Wahl ein “zemstvo“ folgen solle, ein altes feudales Konzil dass per Beifall Putin als „Nationalen Führer“ bestimmt.

Aber es gibt auch deutliche Signale dafür, dass der Zustand der Wirtschaft nicht so rosig ist. Wenn die Weltwirtschaft weiterhin instabil bleibt, kann die Inflationskrise, die Russland im September getroffen hat in Verbindung mit einem Zusammenbruch der Immobilienpreise die Stabilität der letzten Jahre ernsthaft gefährden.

Gleichzeitig gibt es von der ArbeiterInnenklasse erste Aneichen für eine Organisierung, wenn auch auf einem sehr niedrigen Level.  Anfang des Jahres gab es eine Streikwelle v.a. in multinationalen Betrieben. Nach einem Abebben gibt es nun Anzeichen für eine Wiederkehr dieser Proteste. Die ArbeiterInnen bei Ford drohen wieder mit Streik und unter dem Einfluss der Ereignisse in Deutschland und Frankreichdrohen die EisenbahnarbeiterInnen mit Streik in der Woche vor den Wahlen. Dass sind die ersten zarten Pflänzchen einer neuen, machtvollen Opposition die unweigerliche entstehen wird.

In der Zeitung Vorwärts erscheint aus Platzgründen nur eine gekürzte Version dieses Interviews.

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