Marxismus aktuell!

Sebastian Kugler

Leo Trotzki kämpfte mit aller Kraft gegen die stalinistische Diktatur – ein Kampf, der ihn schließlich das Leben kostete. Doch Trotzki wies beide oberflächlichen Erklärungsmuster für das Entstehen des Stalinismus zurück: Weder war die Diktatur einfach nur das Machwerk eines Bösewichts, noch war sie die unvermeidliche Konsequenz der Revolution und der Politik Lenins, wie es die bürgerlichen Geschichtsbücher gerne behaupten.

Als die Bolschewiki die Oktoberrevolution anführten, war ihnen bewusst, dass die Revolution zwar in Russland begonnen wurde, aber in Deutschland und im Rest Europas vollendet werden müsse – ohne die internationale Revolution wäre die russische verloren. Tatsächlich brach gegen Ende des Krieges eine revolutionäre Welle los. Doch nirgendwo anders war die Revolution erfolgreich – sie wurde brutal niedergeschlagen und massakriert wie in Deutschland und Ungarn oder „totumarmt“ wie in Österreich. In beiden Szenarien spielten die sozialdemokratischen Parteien eine zentrale Rolle, um die Revolution zu verhindern.

Die junge Sowjetrepublik blieb isoliert – und sah sich sogleich einer Invasion zahlreicher militärischer Einheiten der imperialistischen Armeen ausgesetzt, für die der erste Weltkrieg trotz des sofortigen Friedensangebots seitens des revolutionären Russlands nicht zu Ende war. Sie wollten nun gemeinsam mit den gestürzten zaristischen Militärs auch die russische Revolution zu Fall bringen. Ein jahrelanger blutiger Bürger*innenkrieg war die Folge, welchen die Bolschewiki und ihre Bündnispartner*innen nur dank des Aufopferungswillens unzähliger Revolutionär*innen gewannen. Die Revolution überlebte – jedoch schwer verstümmelt. Der Isolation und dem Krieg fiel nicht nur die Wirtschaft zum Opfer, sondern auch die Demokratie in den Sowjets (deutsch: Räten) und in der Partei.

In seiner Analyse des Stalinismus baut Trotzki auf Marx und Engels auf. Er zeigt auf, dass für die Entwicklung des Sozialismus der gesellschaftliche Überfluss vorhanden sein muss, welchen der entwickelte Kapitalismus produziert, da sonst „nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müßte“ (Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie). Genau dies, so Trotzki, passierte aber in Russland, nachdem die internationale Revolution scheiterte. Das war die Basis für den Aufstieg der bürokratischen Diktatur, an deren Spitze Stalin stand: „Die gesellschaftliche Nachfrage nach einer Bürokratie entsteht immer dann, wenn scharfe Gegensätze vorhanden sind, die es zu «lindern», «beizulegen», zu «schlichten» gilt (immer im Interesse der Privilegierten und Besitzenden und immer zum Vorteil der Bürokratie selber).“ (Leo Trotzki: Verratene Revolution) Den einzigen Ausweg sah Trotzki in einer internationalen Revolution, welche auch eine politische Revolution in der Sowjetunion bedeuten müsste.


Zum Weiterlesen:

 

Leo Trotzki: Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie?, Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1997

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