Kosova: Solidarität mit Albin Kurti

Ein politischer Briefwechsel: Joe Higgins und das CWI fordern die sofortige Beendigung des politisch motivierten Gerichtsverfahrens gegen Albin Kurti

Gerichtsverfahren spiegelt Versuch wider, die Opposition zu EU und UNO nach Gutsherrenart zum Schweigen bringen zu wollen

Am 15. Februar schickte Joe Higgins, der für die irische Socialist Party als Abgeordneter im Europaparlament sitzt und Mitglied des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) ist, eine Solidaritätsadresse (siehe unten) an Lëvizja Vetëvendosje, der Bewegung für Selbstbestimmung (LPV), und Albin Kurti, der unter der Federführung von EU und UNO im Kosova einem politisch motivierten Gerichtsprozess ausgesetzt ist, welcher am 15. Februar 2010 begann. Wir veröffentlichen hiermit ebenfalls die Antwort von Albin Kurti an Joe Higgins.

  • Solidaritätsadresse von Joe Higgins, Socialist Party (Sektion des CWI in Irland), Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) und des Committee for a Workers' International (CWI - Komitee für ein Arbeiterinternationale)

15. Februar 2010

Lieber Albin Kurti und liebe GenossInnen der LPV,

wir – das CWI - haben von dem bevorstehenden Gerichtsverfahren gegen Albin Kurti am 15. Februar gehört. Joe Higgins, Mitglied des Europäischen Parlaments, hat folgendes Protestschreiben an EULEX und die UNO-Administration im Kosova geschickt:

Beenden Sie das politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen Albin Kurti, das am 15. Februar begann!

Volle Unterstützung für die Arbeiterbewegung in Kosova!

Dublin, 14. Februar 2010

Die UN-Administration und die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (EULEX) betreiben die strafrechtliche Verfolgung Albin Kurtis, einem führenden Aktivisten der LPV, der „Bewegung für die Unabhängigkeit Kosovas“, weil er einen „Aufruf zum Widerstand“ erlassen haben soll. Damit wird exakt zur gleichen Zeit einer der führenden Köpfe der LPV angegangen, da seine Organisation die verschiedenen, sich momentan entwickelnden Proteste und Streiks von ArbeiterInnen in Kosova unterstützt.

Ich fordere die sofortige Einstellung dieses politisch motivierten Gerichtsverfahrens und klage diesen als Versuch an, die Arbeiterbewegung einzuschüchtern.

Als Mitglied des Europäischen Parlaments protestiere ich auf das energischste gegen dieses Vorgehen gegenüber Albin Kurti, einem Aktivisten im Kosova.

Mir ist bekannt, dass EULEX (die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo) am 15. Februar 2010 das Verfahren gegen Albin Kurti wieder aufnehmen wird. Mir ist bekannt, dass Albin Kurti verhaftet und in Gewahrsam genommen wurde, und es daraufhin am 10. Februar 2007 eine Protestdemonstration in Prishtina gab. Während dieser Demonstration erschoss die Polizei der UNO mit Gummigeschossen und Plastikmunition zwei Demonstrationsteilnehmer. Viele weitere Menschen wurden verletzt. Mir ist bekannt, dass eine von der UNO eingeleitete Untersuchung zum Ergebnis gekommen ist, dass der Polizeieinsatz unangemessen und vermeidbar war, dass die für die tödlichen Schüsse verantwortliche UNO-Polizeieinheit Gummigeschosse eingesetzt hat und DemonstrantInnen oberhalb der Taille getroffen wurden, was im krassen Gegensatz zu den Richtlinien für den Einsatz dieser Geschosse steht.

Im Norden Irlands hatte der Einsatz von Plastikmunition durch den britischen Staat zu Todesopfern und katastrophalen Verletzungen, darunter auch Erblindungen, geführt.

Nach der Demonstration trat der Kommandeur der Internationalen Polizei zurück und verließ Kosova. Die Ermittlungen der UNO haben darin versagt, die Befehlskette innerhalb der Internationalen Polizei während des Einsatzes am 10. Februar nachzuzeichnen. Sie haben darin versagt herauszubekommen, wer den Einsatz besagter Munition angeordnet hat, und sie haben darin versagt nachzuvollziehen, welcher Polizist die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Das Ergebnis ist, dass dafür niemand zur Rechenschaft gezogen wird.

Statt dessen ist die einzige Person, die im Zusammenhang mit dem 10. Februar 2007 weiterhin der Strafverfolgung unterliegt, der Aktivist von Lëvizja Vetëvendosje (Bewegung für Selbstbestimmung, LPV), Albin Kurti, der, soweit wir Kenntnis davon haben, für seine führende Rolle der gewaltlosen Studierendendemonstrationen gegen Milosevic im Jahr 1997 bekannt ist.

Mir ist bekannt, dass Albin Kurti vorgeworfen wird, Rädelsführer oder Teilnehmer einer Gruppe gewesen zu sein, die eine Straftat begehen wollte, indem sie zu gewalttätigem Widerstand oder ernsten Bedrohungen aufgerufen habe und führend oder teilnehmend dabei gewesen zu sein, wie eine Gruppe Amtspersonen an der Ausführung ihrer Tätigkeit behindert habe.

Ich fordere die umgehende Beendigung dieses politisch motivierten Gerichtsverfahrens gegen Kurti und die Rücknahme aller Vorwürfe gegen ihn. Ich fordere eine unabhängige Untersuchung im Falle der Todesopfer der Internationalen Polizei vom Februar 2007.

Die Terminierung der Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens erscheint alles andere als zufällig: Zum Zeitpunkt, da in Kosova sich momentan eine Welle von Streiks entwickelt, ruft die LPV zu „gemeinsamen Aktionen“ auf. Zuerst treten die Beschäftigten im Gesundheitswesen in den Streik, dann die Polizei und Justizbeamten.

Für die Arbeiter und Armen im Kosova sind die Bedingungen schrecklich, was ebenso Resultat der unter der Ägide von UNO und EU eingeführten neoliberalen Politik ist. Das Gesundheitssystem ist zerstört worden. Privatisierungen haben für eine Minderheit Profite gebracht, für die Bevölkerung Kosovas die Situation aber verschlimmert.

Ich unterstütze den Kampf der Beschäftigten, Jugendlichen und armen Menschen, ihre Lebensbedingungen gegen diese Angriffe zu verteidigen.

Mit Nachdruck fordere ich, dass alle Versuche, die Beschäftigten, Jugendlichen und armen Menschen einschüchtern zu wollen, beendet werden und den Menschen und der Arbeiterbewegung im Kosova volle demokratische Rechte zugestanden werden.

Das CWI und ich, das in mehr als 35 Ländern der Erde auf allen Kontinenten mit Organisationen vertreten ist, werden das Verfahren gegen Albin Kurti so lange aufmerksam verfolgen und in die Öffentlichkeit bringen, bis er aus der Haft entlassen ist und alle Vorwürfe gegen ihn fallen gelassen worden sind.

Joe Higgins

Socialist Party (Committee for a Workers' International in Irland)

Mitglied des Europäischen Parlaments

Ergänzend möchten wir – das „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI) - auch unsere Solidarität mit den Kämpfen gegen das neokoloniale Auftreten der UN-Administration und der EU in Bezug auf Kosova zum Ausdruck bringen.

Die Bedingungen für ArbeiterInnen und Arme in Kosova - darunter das Resultat der unter der Ägide von UNO und EU implementierten neoliberalen Politik - sind grauenhaft. Wie auf der Webseite der LPV berichtet wird, ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Privatisierungen haben für eine Minderheit Profite gebracht und die Situation für die Bevölkerung Kosovas verschlimmert. Die LPV ruft zu „gemeinsamen Protesten“ auf, da sich gerade eine Welle von Streiks in Kosova entwickelt. Das CWI unterstützt den Kampf der Lohnabhängigen, Jugendlichen und armen Menschen zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen gegen diese Angriffe.

Wofür wir stehen:

  • Beendigung des Prozesses gegen Albin Kurti! Freilassung aller politischen Gefangenen der LPV!
  • Sofortiger und bedingungsloser Abzug sämtlicher ausländischer Truppen und Auflösung der UNMIK. Für das Ende der EULEX-Mission und aller anderen neo-kolonialen Maßnahmen gegen die Menschen im Kosova.
  • Wahlen für eine wirklich demokratische konstituierende Versammlung, um über die Zukunft Kosovas diskutieren und entscheiden zu können.
  • Kampf gegen jede Form von Diskriminierung gegen nationale und religiöse Minderheiten, volle und gleiche Rechte und garantierte politische und kulturelle Rechte für Minderheiten.
  • Kampf gegen Korruption und die Bereicherung der albanischen Eliten.
  • Nein zu jeder Form von Privatisierung.
  • Einführung eines Mindestlohns, der jederm die Möglichkeit eines würdigen Lebens bietet.
  • Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.
  • Für ein massives öffentliches Investitionsprogramm für Bildung, Gesundheit und Infrastruktur.
  • Für den Aufbau einer kämpferischen und internationalen Gewerkschaftsbewegung zur Verteidigung der unmittelbarsten Interessen der Lohnabhängigen.
  • Aufbau einer demokratischen Massenpartei der Arbeiterklasse und der Armen mit konsequent sozialistischem Programm.
  • Für ein unabhängiges, sozialistisches Kosova mit vollen Rechten für die Minderheiten als Teil einer freiwilligen demokratisch-sozialistischen Föderation der Balkanstaaten.

Mit solidarischen Grüßen,

Joe Higgins, Socialist Party (CWI in Irland), Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP)

Committee for a Workers' International, CWI

  • Antwort von Albin Kurti, 16. Februar 2010

Lieber Joe Higgins,

ich schreibe dir, um dich über die Wiederaufnahme des politischen UNMIK-Verfahrens durch die EULEX gegen mich zu informieren und dich darum zu ersuchen, meinen Fall weiterhin zu verfolgen und ihn bei der EU in Brüssel zu beanstanden. Ich bin angeklagt, eine Gruppe von Menschen organisiert zu haben, die Straftaten begehen wollte; dafür, eine Gruppe angeführt oder ihr angehört zu haben, die Amtspersonen bei der Ausübung ihres Amtes behindert habe; und für den Aufruf zu gewalttätigem Widerstand oder ernster Bedrohung am 10. Februar 2007. Die Höchststrafe beträgt 10 Jahre Gefängnis. Am 10. Februar 2007 veranstaltete Levizja VETËVENDOSJE! (Bewegung für Selbstbestimmung) eine gewaltlose Demonstration in Prishtina, die von der UNMIK-Polizei behindert und angegriffen wurde, wobei zwei friedliche Demonstranten ermordet und über 80 weitere verletzt wurden. Statt die Verantwortlichen zu verfolgen, nahm mich die UNMIK für elf Monate in Gewahrsam und leitete ein Verfahren gegen mich ein, das von Menschenrechtsgruppen weltweit aufgrund der zahlreichen Rechtsverstöße missbilligt wurde. Das Verfahren scheiterte im Februar 2008, als die Rechtsanwälte im Kosova meinen Aufruf unterstützten, mich nicht zu verteidigen und sich selbst von dem politischen Verfahren distanzierten.

Die Anklageschrift gegen mich ist aus juristischer Sicht ein absurder, politischer Fall. Im Dezember 2007 beschrieb Amnesty International das Verfahren zutreffend als „politisch motiviert“. Das Verfahren wurde von der UNMIK initiiert, um zu verhindern, dass die für die Toten und Verletzten vom 10. Februar verantwortliche UNMIK-Polizei zur Rechenschaft gezogen würde und politisch abweichende Meinungen in Kosova zu kriminalisieren. Dass EULEX sich entschieden hat, das Verfahren mit derselben politischen Anklageschrift und neun angesetzten Verhandlungsterminen wiederaufzunehmen, zeigt die Anerkennung dieser Anklage, die Befürwortung der ernsthaften Isolierung des Falls und der Zustimmung zu den politischen Motiven dahinter. Wie die UNMIK strebt auch EULEX danach, die Opposition seitens VETËVENDOSJE! zum Schweigen zu bringen und sie von den niemandem Rechenschaft schuldigen und ungerechten internationalen Behörden in Kosova zu isolieren, die uns weiterhin das Recht auf Selbstbestimmung verweigern. EULEX behauptet, eine Rechtsstaats-Mission und Spenderin der Gerechtigkeit im Kosova zu sein. Durch die Aufnahme dieses Verfahrens aber zeigt sie ihre Verachtung aller Prinzipien von Fairness und Rechte. Aufgrund der verschiedenen Rechtsbrüche im Zuge des Verfahrens, der fehlenden rechtlichen Grundlage und des politischen Hintergrunds, wäre es für die EULEX ein Leichtes, damit aufzuhören. Stattdessen zeigt die EULEX durch die eifrige Fortführung des Verfahrens die undemokratische Natur der internationalen Behörden im Kosova auf und offenbart, dass EULEX nicht an Gerechtigkeit für die Menschen im Kosova glaubt.

Der erste Verhandlungstag des Wiederaufnahmeverfahrens durch die EULEX fand gestern statt. Ich erschien nicht vor Gericht, weil ich die undemokratischen Kräfte der EULEX oder deren nicht rechtmäßige Rechtsprechung nicht anerkenne und weil ich von der EULEX kein faires Verfahren bekomme. Die heutige Verhandlung hat abermals die politische Natur des ganzen Verfahrens aufgedeckt, als der vorsitzende Richter entschied, das Verfahren aus verfahrenstechnischen Gründen zu unterbrechen - nicht wie gesetzlich vorgeschrieben bis zum 18. Februar, sondern bis zum 22. Februar. Grund für die ausgedehnte Unterbrechung war zu verhindern, dass dieses politische Verfahren während des Besuchs der EU-Hochkommissarin für Äußere Angelegenheiten und Sicherheitspolitik im Kosova, Catherine Ashton, am Freitag, dem 19. Februar, Thema sein könnte.

Es ist wichtig, dass die Wiederaufnahme des politischen Verfahrens durch die EULEX nicht weitergeht, ohne dass es an die Öffentlichkeit gelangt. Es muss aufmerksam verfolgt und von internationalen Beobachtern und von Menschenrechtsanwälten aufgegriffen werden.

Solltest du irgendwelche Fragen haben, die diesen Fall betreffen, so zögere bitte nicht, mich diesbezüglich zu kontaktieren.

Wenn die Möglichkeit besteht, selbst zu kommen und das Kosova zu besuchen, wäre ich mehr als glücklich, dich dabei zu unterstützen und willkommen zu heißen.

Mit freundlichen Grüßen,

Albin Kurti

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