Kino: „The Wind that Shakes the Barley“

Der neue Film von Ken Loach: Mehr als eine „irische Geschichte“
Aron Amm, CWI-Deutschland

Am 28. Dezember kommt der Film „The Wind that Shakes the Barley“ in die deutschen Kinos. Endlich ein neues Werk von Ken Loach, dem Macher von „Land and Freedom“, „The Navigators“ und „Bread and Roses“. Zwar ist Loach im Alter von 70 Jahren ungemein produktiv und dreht gegenwärtig alle zwölf Monate einen neuen Streifen. Doch nicht alle Filme von ihm finden in der Bundesrepublik einen Verleih. So hat der Episodenfilm „Tickets“, den Ken Loach gemeinsam mit den Regisseuren Ermanno Olmi („Der Holzschuhbaum“) und Abbas Kiarostami („Quer durch den Olivenhain“) machte, und der schon im Februar 2005 auf der Berlinale gezeigt wurde, bis heute nicht den Weg auf die große Leinwand gefunden (in diesem Themenfilm über europäische Zugreisen begleitete Ken Loach Glasgower Fußballfans auf ihrer Fahrt zu einem Auswärtsspiel auf dem Kontinent).

Nachdem Ken Loach bereits vor vier Jahren für das Drehbuch von „Sweet Sixteen“ die Goldene Palme erhielt, räumte er in diesem Jahr in Cannes groß ab und wurde von der Jury unter dem Vorsitz des Filmemachers Wong Kar-Wai („In the Mood for Love“) für den besten Film des Wettbewerbs ausgezeichnet.

Bei der Preisverleihung hob er die Faust, um alle diejenigen zu grüßen, denen er seine Filme widmet: den Unterdrückten und Ausgebeuteten weltweit.

Irischer Unabhängigkeitskampf

„The Wind that Shakes the Barley“ ist ein Vers aus dem Lied des irischen Freiheitsdichters Robert Dwyer Joyce (1830 bis 1883). Wie unerträglich ist es doch, unter dem Joch britischer Fremdherrschaft sich des Lebens und der Schönheit der Natur zu erfreuen – heißt es bei Joyce. Zu Beginn des Films ist es eine alte Landarbeiterin, welche diese Strophe anstimmt. An einer anderen Stelle im Film klagt die Protagonistin Sinead, dass sie sich nichts sehnlicher wünscht, als einfach ein wenig „zu leben“, bevor es zu spät ist.

Der Film beginnt im Jahr 1920. Die arbeitende Bevölkerung ist nicht nur mit Armut, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung konfrontiert, sondern wird weiterhin von der Besatzungsarmee des britischen Imperialismus in Schach gehalten. Es sind die „Black and Tan“, ein Söldnerkommando, das mit aller Brutalität gegen die irische Bevölkerung vorgeht. Der junge Damien plant nach London zu gehen, um Arzt zu werden. Ein Streik von irischen Bahnarbeitern hindert ihn an der Abreise. Kurz davor musste er auch noch erleben, wie ein 17-jähriger Nachbarsfreund nach einem fröhlichen Hockey-Spiel (oder besser gesagt einer irischen Version von Hockey) von den „Black and Tan“ umgebracht wurde, nur weil er sich weigerte, seinen Namen auf Englisch auszusprechen. Diese beiden Schlüsselerlebnisse geben den Ausschlag dafür, dass sich Damien nach all seinen Erfahrungen mit der Kolonialherrschaft zu dem Entschluss durchringt, sich dem irischen Unabhängigkeitskampf anzuschließen. Er stößt zu den Kräften der Irischen Republikanischen Armee (IRA), bei denen sich sein Bruder Teddy bereits seit geraumer Zeit engagiert. In den Bergen von Cork trainieren sie, in den Kasernen rauben sie Waffen, gemeinsam mit wachsenden Teilen von Stadt- und Landbevölkerung erwehren sie sich der Unterdrückung. Es wird in diesem Film kein Hehl daraus gemacht, welche Auswirkungen inhumane Zustände in einem Kampf auf Leben und Tod auf alle Beteiligten haben.

Teddy steht stellvertretend für diejenigen, die ausschließlich auf den Truppenabzug fixiert sind, blind für die tieferen Ursachen ihres Elends. Der Gewerkschaftsaktivist Dan, der auf den Kreis um Teddy und Damien trifft, ist es, der für eine sozialistische Orientierung argumentiert. Sinead schließlich verkörpert nicht nur die aufopferungsvolle Rolle von Frauen in Zeiten von Unterdrückung und Hunger, sondern bringt auch zum Ausdruck, dass es häufig Frauen sind, die in Kriegen und Revolutionen am entschlossensten agieren (ob die Petrograder Textilarbeiterinnen, die mit ihrem Streik die Februarrevolution 1917 einleiteten, oder die Arbeiterinnen im Spanischen Bürgerkrieg, die beim Kampf gegen Franco darauf bestanden, in die Milizen aufgenommen zu werden).

Bürgerkrieg

Der Film stellt nicht nur die irische Widerstandsbewegung dar, er gibt auch eine Ahnung von den zugespitzten Klassenkämpfen in jener Periode (von 1918 an kam es zu Generalstreiks, Landbesetzungen und vereinzelt zur Bildung von „Sowjets“). Leider verpuffte dieses revolutionäre Potenzial, als sich der Unabhängigkeitskrieg mit IRA und Sinn Fein an der Spitze verschärfte. Diese militärische Auseinandersetzung bedeutete überwiegend einen im ländlichen Raum ausgetragenen Guerillakampf. Die Führung der Sinn Fein bestand zum Großteil aus Schichten des Kleinbürgertums, viele der IRA-Aktivisten waren demgegenüber Arbeiter und verarmte Bauern.

„The Wind that Shakes the Barley“ verfolgt das Geschehen auch über den Friedensvertrag im Jahr 1921 hinaus weiter. Der britische Imperialismus sah sich im Süden Irlands zwar zum Abzug seiner Truppen gezwungen, allerdings stand der Süden Irlands weiter unter britischem Einfluss. Darüber hinaus behielt Großbritannien über Nordirland die direkte Kontrolle inne. Zudem waren nach wie vor die Großgrundbesitzer und Kapitaleigner am Ruder, die aufs Engste mit London zusammenarbeiteten. Vor diesem Hintergrund mündete das Abkommen von 1921 ein Jahr später in einen offenen Bürgerkrieg, der von Juni 1922 bis Mai 1923 andauerte.

Während die IRA sich zwar vor allem aus den verarmten Land- und Industriearbeitern rekrutierte und hier ihren Rückhalt hatte, so fehlte es gerade der kleinbürgerlichen Führung der IRA an einem über den Widerstand gegen die britische Besatzung hinausweisenden Programm. Es waren die Repräsentanten des irischen Establishments, Gutsbesitzer, Zeitungsherausgeber und nicht zuletzt die katholische Kirche, die den unter Federführung von Michael Collins seitens der IRA ausgehandelten Friedensvertrag guthießen. Demgegenüber lehnten ihn große Teile der Arbeiterklasse und der verarmten Landbevölkerung instinktiv ab.

Konflikt und Spaltung innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung stellt Ken Loach exemplarisch am Schicksal der Brüder Damien und Teddy dar. Ähnlich wie Bernardo Bertolucci in „1900“ zwei Freunde (Robert de Niro und Gerard Depardieu), die am gleichen Tag auf dem gleichen Gut in Italien geboren wurden - der eine Sohn einer Landarbeiterfamilie, der andere Sprössling des Gutsbesitzers - in den zwei Weltkriegen und in den Jahren von Land- und Fabrikbesetzungen in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts verschiedene Wege gehen lässt.

James Connolly

Als Damien mit dem Bahnarbeiter Dan eine Nacht in einer Gefängniszelle verbringt, kommen sie auf den revolutionären Sozialisten James Connolly zu sprechen, der im Osteraufstand 1916 ums Leben kam. Ein Ausspruch Connollys soll zu einer Kernaussage des Films werden: “Wenn wir die englische Armee aus dem Land werfen sollten und die grüne Fahne über Dublin Castle hissen, werden unsere Bemühungen trotz allem vergebens bleiben, wenn es uns nicht gelingt, eine sozialistische Republik zu errichten. England wird dann weiter herrschen. Durch seine Unternehmer, seine Großgrundbesitzer, seine Finanzleute, und all die Institutionen, die es in diesem Land geschaffen hat.“

Ken Loach lässt einen im Film immer wieder an die Worte von Karl Marx denken: „Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken.“ Der Film zeigt, wie die einfachen Menschen Geschichte schreiben, wie sie den Lauf der Ereignisse beeinflussen und bestimmen können. Gleichzeitig sind es aber auch die Entwicklungen, die wiederum auf die Charaktere und Verhaltensweisen einwirken.

Loach zeigt die historischen Geschehnisse an Hand von gewöhnlichen Einzelschicksalen. Mehrfach lässt er die Akteure lebhaft über die nächsten Schritte debattieren und streiten. Wie sich in Gefangenschaft, wie sich bei Folter verhalten? Wie mit Verrätern umgehen? In einer Szene sehen wir, wie einer, der von ArbeiterInnen Wucherzinsen verlangt, vor eines der unabhängigen Gerichte, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, gestellt wird. Nachdem die Richterin ihn verurteilte, versuchen IRA-Männer ihn straffrei abziehen zu lassen – mit der Begründung: Schließlich gibt er doch auch Geld für Waffen im Kampf gegen die Besatzungstruppen...

Eine Warnung

„The Wind that Shakes the Barley“ ist der achte Film von Ken Loach, für den Paul Laverty das Drehbuch verfasst hat. Laverty erklärte in Cannes zu diesem Film, dass es die Besatzer sind, die sich stets bemühen, die Geschichte umzuschreiben. Er verwies darauf, dass sie die Rolle des britischen Imperialismus nicht nur an Hand Irlands, sondern ebensogut an Hand von Kenia oder von Indien aufzeigen könnten.

Der deutsche Untertitel von „The Wind that Shakes the Barley“ lautet: „eine irische Geschichte“. Aber er ist mehr als das. Und dies ist auch die Intention von Loach und seinem Team. Bei der Entgegennahme der Goldenen Palme sagte Ken Loach im Mai diesen Jahres: „Wenn es uns gelingen sollte, die Wahrheit über die Vergangenheit zu sagen, dann kommen wir vielleicht auch der Wahrheit in der Gegenwart ein Stück näher.“

Den Vorwurf, einen antibritischen Film gemacht zu haben, konterte Loach mit den Worten: „Die normalen Menschen in einem Land haben viel mehr mit anderen in anderen Ländern gemeinsam, die sich in einer ähnlichen sozialen Lage befinden, als mit den Menschen im eigenen Land, die an der Spitze der Gesellschaft stehen.“

Loach nutzte diesen Film, um die Politik der britischen New-Labour-Regierung im Irak anzuklagen. Zu Recht betont er, dass mit dem Militäreinsatz nicht zur Befreiung, sondern zur Eskalation der Gewalt beigetragen wird. Das lässt sich eben nur zu gut auf die Besetzung des Irak und auf viele andere imperialistische Interventionen übertragen.

Der Irak-Konflikt hat aber nicht nur im Bezug auf die Politik der Unterdrücker, sondern auch für die Politik der Unterdrückten Relevanz. Die Warnung James Connollys, dass die soziale Krise nicht gelöst sein wird, wenn lediglich das britische Heer heimgeschickt und die irische Nationalfahne auf Dublin Castle gehisst wird, diese Warnung hallt in „The Wind that Shakes the Barley“ in den Konflikten mit den Gutsbesitzern, in den Auseinandersetzungen mit den Bankenchefs oder auf den Straßen von Cork wider. Einmal mehr wird auf diese Weise gemahnt, dass die Besatzungstruppen im Irak nichts verloren haben, es jedoch nicht ausreicht, nur ihren sofortigen Abzug zu fordern. Das, was Connolly auf Irland gemünzt erklärte, gilt auch für den Irak: Um einen Bürgerkrieg und die mögliche Teilung des Landes noch aufzuhalten, muss der Kampf gegen die Besatzer über ethnische und religiöse Grenzen hinweg gemeinsam geführt und mit dem Kampf zur Überwindung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse verbunden werden.

Ken Loach

In den Filmen von Ken Loach pulsiert und vibriert es. Der Regisseur ist vor allen Dingen um Authentizität bemüht. Er ist darauf aus, Konventionelles, Künstliches zu vermeiden. Aus diesem Grund erhalten die Schauspieler auch kein Script vor Drehbeginn. Sie werden im Vorfeld nur mit dem Thema vertraut gemacht und es wird ihnen eine Ahnung von den Akteuren der Geschichte gegeben. Oft erhalten sie am Vorabend des nächsten Drehtages einen kleinen Auszug aus dem Drehbuch, oft nur ein paar Sätze, manchmal werden ihnen vor Beginn der nächsten Szene einige Stichwörter mitgeteilt. Ken Loach verspricht sich auch etwas davon, immer wieder mit anderen Schauspielern zusammenzuarbeiten. Dass Peter Mullan sowohl in „My Name is Joe“ als auch in „Sweet Sixteen“ mitwirkt, stellt die Ausnahme dar. In jedem Fall sind die Darsteller Cillian Murphy als Damien, Padraic Delanay als Bruder Teddy und Orla Fitzgerald als Sinead in diesem Film sehr echt und erfrischend.

„The Wind that Shakes the Barley“ markiert nach „Land and Freedom“ Ken Loachs zweiten historischen Streifen. In vielem knüpft der neue Film an das Meisterwerk vor zehn Jahren an. Leider gibt es jedoch einige Szenen (zum Beispiel das Fest nach dem Friedensvertrag oder die ganze Liebesgeschichte), die blass bleiben. Szenen, denen eine Idee, eine Aussage fehlt, Szenen, die keine Tiefe haben. Vielleicht wäre weniger mehr gewesen. Vielleicht hätte auf einzelne Handlungsstränge, Ereignisse und Situationen verzichtet werden können, um dafür an anderer Stelle zu verdichten.

Trotz Schwächen ragt „The Wind that Shakes the Barley“ nicht nur aufgrund seiner politischen Qualitäten, sondern auch künstlerisch aus dem Filmjahr 2006 heraus. Schließlich war sonst weitgehend Ebbe angesagt, sieht man von einzelnen Lichtblicken wie „Requiem“, „Brokeback Mountain“, „The Take“, „Lucy“ und „Off-Side“ ab.

„Twas hard the woeful words to frame

to break the ties that bound us

But harder still to bear the shame

of foreign chains around us

And so I said, “The mountain glen

I"ll seek at morning early

And join the bold united men,

while soft winds shake the barley.“

Robert Dwer Joyce