Kein Vertrauen in profitorientierte Gentechnik

Franz Neuhold

Das Problem ist nicht Gentechnik, sondern die Ausbeutung dieser Technologien für Kapital-Interessen.

66 Milliarden Dollar legte Bayer jüngst für einen anderen Konzern auf den Tisch, dessen Name für Dominanz im landwirtschaftlich-chemischen Sektor sowie Gentechnik steht: Monsanto. Eine einzige Zahl belegt seine Macht: er kontrolliert 70% aller genetisch modifizierten Saatgüter. Entscheidungen seiner Vorstandsetage haben dramatischen Einfluss auf Ernährung und (Über-)Leben unzähliger Menschen.
Das Thema Gentechnik ist verständlicherweise emotional stark aufgeladen. Leider stößt man allzu oft auf Unsinn, Halbwahrheiten oder glatte Lügen - und das keineswegs nur von glühenden BefürworterInnen und PR-Abteilungen. Wir lehnen die Beurteilung der Gentechnik auf der Grundlage Fortschrittsfeindlichkeit und religiöser Dogmen („Nur Gott darf das“) ab. Alles, was der Menschheit für eine nachhaltige und friedliche Entwicklung nutzt, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen zu haben, kann und soll erforscht, erprobt und umgesetzt werden! Eine Verbesserung der Ernährungslage infolge höherer und stabiler Erträge (unter anderem aufgrund gezielter Resistenzen gegen Schädlinge und Schadpflanzen) ist grundsätzlich zu begrüßen. Aber damit ist noch nicht geklärt, welche Wirkungen Gentechnik in einer zutiefst ungerechten und krisenbehafteten Gesellschaftsordnung hat und haben kann.
Das beginnt bei der Forschung, die keineswegs neutral oder objektiv ist, wenn Profitinteressen im Spiel sind. So werden Forschungsergebnisse, die den Konzernbossen nicht in den Kram passen, oftmals beiseite geschoben oder gleich gefälscht.
Wohin Geld und Energie gesteckt werden, zeigt dieses Beispiel: Monsanto „kämpft auch zunehmend mit Unkräutern, die sich seinem Pestizid widersetzen. … Monsanto begann (...) eilig damit, seine Hightechpflanzen gegen Pestizide anderer Hersteller zu immunisieren, um sie vor Überwucherung zu schützen.“ (Zeit.de) Im Kapitalismus zerstört der Konkurrenzkampf jegliche Ansätze fruchtbringender internationaler Kooperationen zum Nutzen aller.
Ein weiteres Thema ist die Verantwortung bei Unfällen und langfristigen Schäden. Dieser entziehen sich Unternehmen, wo immer es geht. Notfalls zögert ein Heer von AnwältInnen und LobbyistInnen die Zahlung von Schadenersatz und Strafen um Jahre bis Jahrzehnte hinaus. Schlagende Beispiele aus den letzten Jahrzehnten sind die katastrophalen Erfahrungen aus Kernenergie sowie der chemischen, Tabak- und Asbestindustrie. Bezüglich Gentechnik ist ähnliches zu erwarten.
Die wirtschaftlichen und politischen Eliten sind schnell dabei, Teilen der Bevölkerung das Recht abzusprechen, bei schwerwiegenden Fragen mitzuentscheiden. Teils wird dies damit begründet, dass diese Menschen schlicht unwissend seien. Mangelndes Wissen bezüglich Gentechnik und Medizin darf jedoch kein Vorwand für undemokratische Entscheidungen sein. Viele Menschen lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel jedoch ab, weil sie (zu Recht) kein Vertrauen in Konzerne wie Monsanto haben. Man will nicht das Versuchstier für Profite sein. Diese Skepsis hat nicht Fortschrittsfeindlichkeit oder „Dummheit“ zur Grundlage. Sie folgt aus den Missständen, die dieses Profitsystem unweigerlich erzeugt; mitunter ergänzt um oft unausgegorene Kapitalismus-Kritik.
Es bräuchte einen Prozess transparenter gesellschaftlicher Diskussion, in der die Rolle der Wissenschaft wäre, vollkommen unabhängig von Profit- und Konzerninteressen Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Prognosen abzugeben und diese laienverständlich zu vermitteln. Bedeutsame Entscheidungen müssen mit einem Maximum an demokratischen Strukturen getroffen werden, die weit über den bürgerlichen Parlamentarismus hinausgehen. Die Forschung bezüglich Möglichkeiten und Risiken der Gentechnik muss den Profitinteressen entrissen werden.
Die Lösung der Gentechnik-Frage steckt auch nicht im Entwurf „besserer“ Gesetze, die letztlich von Bayer-Monsanto & Co. ignoriert oder umgangen werden können. Jeder Konzern, dem Vergehen nachgewiesen wurden, und welcher der Gesellschaft Ressourcen und Wissen vorenthält, muss vergesellschaftet werden. Die Führung dieser Betriebe hat unter voller Kontrolle der Beschäftigten, zuständigen WissenschafterInnen, betroffenen KonsumentInnen sowie der interessierten Öffentlichkeit zu erfolgen. Es braucht die Aufhebung der geltenden Patentrechte und den Aufbau internationaler Technologie- und Forschungspools, zu denen alle Zugang haben. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine ausgewogene Beurteilung der Möglichkeiten und Gefahren stattfinden kann. Diese Maßnahmen sind, konsequent durchgezogen, mit dem Kapitalismus unvereinbar.
Ein entsprechender gesellschaftlicher Diskussions- und Entscheidungsprozess benötigt gegenwärtig nicht vorhandene Instrumente der Demokratie. Der bürgerliche Parlamentarismus, der von Lobbyismus und Korruption durchsetzt ist, muss ersetzt werden. Ein räte-demokratisches System mit Prinzipien wie jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit, Rechenschaftspflicht und Durchschnittslöhnen für FunktionsträgerInnen böte die nötigen Voraussetzungen. Welchen Platz gentechnisch veränderte Lebensmittel in einer solchen nicht-kapitalistischen bzw. sozialistischen Zukunft einnehmen, wird dann von Fall zu Fall entschieden werden.

 

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