Ist Intelligenz genetisch bedingt?

Sarrazin über die Erbanlagen von MigrantInnen und Armen
Nihat Boyraz, CWI-Deutschland

In seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ behauptet Thilo Sarrazin, dass die Menschen aus islamischen Ländern und die gesellschaftliche „Unterschicht“, die Armen, aus genetischen (und kulturellen) Gründen eine niedrigere Intelligenz hätten, also dumm wären.

Da MigrantInnen und Arme auch mehr Kinder in die Welt setzen würden, dürften sie – so Sarrazin – nicht gefördert werden. Stattdessen solle der Staat Maßnahmen ergreifen, die es für die Oberschicht die ja mehr Intelligenz besäßen, attraktiver machen, stärker auf eigenen Nachwuchs zu setzen. Andernfalls würde die deutsche Gesellschaft verdummen. 50 bis 80 Prozent der Intelligenz sind angeblich genetisch bedingt und dadurch unveränderlich.

Was ist genetisch bedingt, was nicht?

Ein Gen ist ein Bestandteil der DNS (Desoxyribonukleinsäure), die in Form von Molekülen in allen Zellen eines Lebewesens enthalten ist. Durch die Gene werden bestimmte körperliche Merkmale an die Nachgeborenen weiter gegeben. Während die DNS die kompletten Erbinformationen enthält, enthalten einzelne Gene bestimmte Informationen, zum Beispiel darüber, wie wir aussehen, oder über Erbkrankheiten.

Eine wissenschaftlich allgemein akzeptierte Definition für Intelligenz gibt es gar nicht. Aber kurz gesagt versucht dieser Begriff die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zu bestimmen. So wie es Gene gibt, die bestimmen, ob wir blaue oder braune Augen haben, schwarze Haare oder blonde, gibt es aber kein Gen, das unsere Intelligenz bestimmt oder das bestimmt, ob wir auf die Hauptschule oder aufs Gymnasium gehen.

Intelligenz und äußere Bedingungen

Ein anderes Buch, das gerade für Aufsehen sorgt, stammt von Amy Chua. Die Autorin von „Die Mutter des Erfolgs“ ist Rechtsprofessorin an der Universität Yale in den USA und kommt aus einer chinesischen Einwandererfamilie. Sie hat zwei Töchter, die sie mit gnadenloser Disziplin, hartem Drill und Spaßverweigerung auf der ganzen Linie erzogen hat. Während sie mit ihrer Erziehungsstrategie insofern „Erfolg“ hatte, dass eine Tochter als Konzertpianistin in der Carnegie Hall auftrat, „scheiterte“ sie in der Hinsicht, dass die Töchter sie für diese Methoden immer wieder hassen.

Sarrazin lobte diese strenge Erziehungspolitik im Berliner „Tagesspiegel“ vom 29. Januar. Wobei das Beispiel in verzerrter Form eher zeigt, wie groß der Einfluss äußerer Bedingungen ist. Amy Chua investierte in ihre Kinder viel Zeit und Geld. Die ältere Tochter wurde Konzertpianistin, nicht wegen ihrer Gene, sondern weil sie immer und immer wieder üben musste. Natürlich sollten Kinder nicht gedrillt werden (was Sarrazin gerade gefällt), sondern ermutigt und im Sinn ihrer Interessen gefördert werden. Und genau das ist bei Hartz-IV-Familien heute ausgeschlossen. Wie wichtig die äußeren Bedingungen sind, zeigt sich jedenfalls schon, wenn man sie nur auf die finanziellen Möglichkeiten beschränkt: Wie weit soll man kommen, wenn man nur an die zehn Euro pro Monat für ein Hartz-IV-Kind denkt, die für den Sportverein oder den Musikunterricht reichen sollen?

Wiederkehr des biologischen Rassismus?

Diejenigen, die von sozialer Ungleichheit profitieren, versuchen immer, das ideologisch zu rechtfertigen. Das war früher so, das ist auch heute der Fall. Seit Beginn der Kolonialzeit haben die Großmächte die Ausbeutung anderer Kontinente mit der angeblichen Minderwertigkeit der dortigen Menschen begründet und diese Unterschiede an der Hautfarbe festgemacht.

Der Rassismus ist bis heute ein wichtiges Mittel der Herrschenden, die Arbeiterklasse zu spalten. Mit seinen pseudo-wissenschaftlichen Erkenntnissen einer genetisch bedingt niedrigeren Intelligenz bestimmter Menschen knüpft Sarrazin aber auch am biologischen Rassismus an, den seit dem Ende des Hitlerfaschismus kein Vertreter des bürgerlichen Establishments so offen vorgebracht hat.