Ihr Europa? Unser Europa!

Jan Rybak

Für 21.–26. Juni rufen linke EU-ParlamentarierInnen auf Initiative von Joe Higgins (Abgeordneter für die irische Schwesterpartei der SLP) zu einer Aktionswoche gegen das Abwälzen der Krise auf den Rücken von ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen auf.

Eine neue Phase der Weltwirtschaftskrise

100.000.000.000 Euro. Das war die Summe, die innerhalb weniger Tage zur Verfügung stand, um Österreichs angeschlagene Banken zu retten. EU-weit waren es 2,9 Billionen Euro – 32,7% der Wirtschaftsleitung der 27 EU-Staaten. Zwar wurde nur ein Teil direkt an Banken ausbezahlt, aber die Folge ist die größte Staatsverschuldung seit Ende des 2. Weltkrieges. Das „Hilfspaket“ für Griechenland wurde innerhalb weniger Stunden von den europäischen FinanzministerInnen beschlossen. Sinn der Sache: das Überschwappen eines Staatsbankrotts auf andere europäische Länder zu verhindern. 750 Mrd. Euro stehen dafür im ganzen Euroraum bereit. Österreich beteiligt sich mit 2,3 Mrd. Dabei handelt es sich um neue Kredite. Die griechische Regierung zahlt ihre alten Schulden mit neuen ab. Dadurch wird das Gespenst des Staatsbankrotts nur für wenige Jahre verscheucht, um dann deutlich größer zurück zu kehren.

Das schwächste Glied der europäischen Kette

Das Gespenst des Staatsbankrotts spukt ausgehend von Griechenland in einer Reihe europäischer Länder. Die Defizite der „PIGS“ – Portugal (11,2%), Irland (14,3%), Griechenland (13,6%) Spanien (11,4%) – lassen ahnen, dass Griechenland nicht das letzte EU-Land war, das mit einer massiven Schuldenkrise konfrontiert ist. Auch Britannien und Frankreich haben eine gigantische Staatsverschuldung. Der EURO als gemeinsame europäische Währung ist in einer Existenzkrise. Die „traditionelle“ Methode einzelnen Nationalstaaten durch Geldentwertung Schulden abzubauen und die Wirtschaft anzukurbeln ist nicht mehr möglich.

Die KapitalistInnen in Europa haben sowohl gemeinsame, als auch entgegengesetzte Interessen: Gemeinsam wollen sie Stabilität, die Ausbeutung der europäischen ArbeiterInnen und eine Stärkung gegenüber den außereuropäischen Wirtschaften. Aber wenn der Kuchen kleiner wird – also in Krisenzeiten – haben sie auch widersprüchliche Interessen. Jedem ist das sprichwörtliche Hemd näher als die Hose. Der aktuell geschürte Nationalismus, den nicht nur die extreme Rechte, sondern auch ein breites Establishment betreibt hat daher auch eine doppelte Aufgabe: einerseits die eigene Bevölkerung abzulenken („die Griechen sind schuld“). Andererseits spiegelt er aber auch reale wachsende Spannungen zwischen dem Kapital einzelner Nationalstaaten wieder.

Die Spaltung zwischen dem französischen und deutschen Kapital in der Frage der „Rettung“ Griechenlands zeigt die Tiefe der Gräben auf, die im „vereinten“ Europa bestehen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel fordert relativ offen eine Verkleinerung der Euro-Zone auf die mitteleuropäischen Kernländer. Und als Antwort auf das Rettungspaket kauft Griechenland Waffen bei deutschen Firmen um mindestens sechs Milliarden. Die Krise stellt den Euro und auch das europäische „Integrationsprojekt“ infrage. Bereits im Vorwärts Nr. 90 (Februar 1999) hat die SLP anlässlich der Einführung des Euro als Buchwährung analysiert: „Der Druck auf die nationalen Regierungen einerseits und die unterschiedlichen nationalen Interessen andererseits sind starke Kräfte, die zu einem Ausscheren einzelner Staaten und damit einem de facto Scheitern des Euros führen können. Währungsunionen … waren in der Vergangenheit nie von Dauer … Sie alle funktionierten zwar in Perioden von Wirtschaftswachstum, brachen aber in Perioden von wirtschaftlicher Depression, von langsamen Wachstumsraten und steigenden sozialen Problemen auseinander.“ Aktuell sehen wir nicht nur „verlangsamte Wachstumsraten“ sondern die tiefste Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren.

Ein zweites Bankenrettungspaket

Es geht nicht um die „Rettung“ der griechischen Bevölkerung. Während diese mit den schärfsten Angriffen seit dem Ende der Militärdiktatur konfrontiert ist, sollen die Spekulationsgewinne europäischer und griechischer Banken gerettet werden. Die Europäische Zentralbank verleiht Geld mit einer Verzinsung von 1% an griechische und europäische Banken. Diese verleihen an den griechischen Staat dann das Geld mit Zinssätzen zwischen 5% und 6,5% weiter. Die Zahl der faulen Kredite in Griechenland ist mit 20% deutlich höher als der EU-Schnitt von 2-5%. Die europäischen Banken sollen um diese Kredite nicht umfallen – darum Milliardenzahlungen der EU-Mitgliedsstaaten. Dabei fürchten die europäischen Regierungen auch, dass hohe Verluste europäischer Banken in Griechenland zu einer neuen Welle der Wirtschaftskrise führen könnten. Drohend ist die Erinnerung an die Pleite von Lehmann Brothers, die der letzte Auslöser für die Finanz- und Wirtschaftskrise war. Eine weitere Kettenreaktion wird befürchtet.

Die Kapitalflucht aus Griechenland ist mit keinem europäischen Land zu vergleichen. Griechenland gilt heute für InvestorInnen als weniger attraktiv als Äthiopien. Die Angriffe der Regierung auf den Lebensstandard der Bevölkerung verunmöglicht jegliche Chance auf eine Erhöhung des Binnenkonsums. Die Folge ist die Zerstörung jeglicher Grundlage für einen Wirtschaftsaufschwung in den kommenden Jahren.

Wer lebt über wessen Verhältnisse?

Verbunden mit dem „Hilfspaket“ und den brutalen Angriff auf den Lebensstandard der griechischen ArbeiterInnenklasse und Jugend ist eine beispiellose Hetze nahezu aller Parteien und Medien hierzulande. Die Griechen seien gierig und faul und müssten darum notwendigerweise den „Gürtel enger schnallen“. Tatsache ist – nicht „die Griechen“ haben über ihre Verhältnisse gelebt, sondern die griechischen und europäischen KapitalistInnen. Griechische KapitalistInnen waren immer sehr erfolgreich ihr Kapital vor dem Fiskus zu schützen. Der Onassis-Clan hat den Großteil seines Vermögens nach Brasilien transferiert bzw. in einer Stiftung in Liechtenstein steuerschonend geparkt. Easyjet-Gründer Stelios Hajiloannou sitzt in London. Eine Ministerin musste bereits wegen der Steuerhinterziehung ihres Mannes (geschätzte 5 Mio.) zurücktreten. Die griechische Steuerstatistik illustriert das Ausmaß der unternehmerischen Steuerhinterziehung. Das offiziell genannte durchschnittliche Jahreseinkommen griechischer UnternehmerInnen wird mit 13.236 Euro angegeben. Das von ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen mit 16.123 Euro. Eine ähnliche Situation wie in Österreich: unselbständig Beschäftigte und PensionistInnen haben im Gegensatz zu UnternehmerInnen praktisch keine Möglichkeit zur Steuerhinterziehung. Trotzdem müssen sie zahlen – auch wenn die Schuld bei UnternehmerInnen und Regierung liegt. Wenn von Kronenzeitung bis FPÖ gegen „die Griechen“ gehetzt wird, ist das nicht nur widerlich und rassistisch, sondern geht auch an der Realität vorbei.

Die griechische ArbeiterInnenklasse und Jugend war schon vor der Krise mit einer unerträglichen sozialen Situation konfrontiert. Der Durchschnittslohn liegt bei 800 Euro/Monat. Die Mindestpension bei 280 Euro. Gleichzeitig sind die Preise (mit Ausnahme von den Wohnkosten) in den meisten Fällen sogar höher als in Österreich. Ein Liter Milch kostet etwa 1,20 Euro.

Die Arbeitslosigkeit ist in heute schon mit ca. 20% extrem hoch. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 40%. Deutlich ist: der Kapitalismus bietet den Menschen und vor allem der Jugend keinerlei Perspektiven auf ein anständiges Leben.

Sämtliche europäische Regierungen machen klar, wer ihrer Meinung nach für die Krise zahlen soll: die ArbeiterInnenklasse und Jugend. Das österreichische Finanzrahmengesetz für 2011 sieht Kürzungen von 1,474 Mrd. Euro bei den Pensionen vor. 1,686 Mrd. sollen bei den Krankenkassen gestrichen werden, 1,532 Mrd. bei den Familien. Angedacht ist die Streichung der 13. Familienbeihilfe. Der rigide Sparkurs bei den Universitäten kostet etwa die Uni Salzburg bis 2014 bis zu 20% ihres Budgets.

Es regt sich Widerstand

Die Schuldenkrise in Griechenland hat eine neue Periode der Weltwirtschaftskrise wie auch des Widerstandes dagegen eingeläutet. Gab es nach der ersten Krisenwelle noch Spielräume, so gibt es heute nur mehr Schulden. Daher wälzen die Regierungen die Zeche für die großzügigen Rettungspakete nun auf die ArbeiterInnenklasse ab.

Die griechische ArbeiterInnenklasse und Jugend hat den Angriffen der Regierung den Kampf angesagt (siehe Interview). Der Generalstreik am 5. Mai war der größte seit dem Ende der Militärdiktatur. Alleine in Athen gingen eine Viertelmillion Menschen auf die Straßen. Auch in Spanien und Portugal zeigt sich eine neue Welle von Kämpfen gegen die Angriffe der Regierung. Diese Welle der Proteste wird auch in jene Teile Europas überschwappen, die noch (!) nicht mit derartig brutalen Angriffen konfrontiert sind. Jedoch stellt sich in Griechenland, Spanien und Portugal ebenso wie im Rest Europas die Frage, wie solche Kämpfe gewonnen werden können. Bisher hat die Gewerkschaftsbürokratie überwiegend die Rolle des Vermittlers zwischen Regierung und UnternehmerInnen und der ArbeiterInnenklasse und Jugend gespielt. Anstatt Arbeitsplätze zu verteidigen, wurden Kurzarbeit und Aussetzungsverträge zugelassen. In Anbetracht der drohenden Kürzungs- und Belastungswelle ist eine echte Strategie zur Verteidigung sozialer Rechte dringend notwendig. Selbst GPA-djp Vorsitzender Katzian sieht ein, dass „Nur die Kraft der Argumente und Vernunft“ nicht ausreichen werden und wir uns „auf heftige Auseinandersetzungen einstellen“ (Interview Kompetenz 3/2010). Bisher hat sich die Gewerkschaftsführung allerdings nobel zurück gehalten. Die Initiative für eine europaweite Aktionswoche gegen das Abladen der Krise auf die Rücken von ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen bietet die Möglichkeit, international aktiv den Kampf gegen die Angriffe auf unseren Lebensstandard aufzunehmen.

Widerstand, Solidarität, Sozialismus!

Millionen Arbeitslose, verarmte PensionistInnen, Jugendliche ohne Chancen auf eine Zukunft. Das ist die Fratze, die der Kapitalismus in der aktuellen Krise europa- und weltweit zeigt. Vielen Menschen ist klar: So kann es nicht mehr weiter gehen. Die Regierungen, Banken und Konzerne haben den Menschen keinerlei Perspektiven anzubieten. Der Kampf gegen die brutalen Attacken der Herrschenden hat in Griechenland begonnen. Unzählige Menschen in Europa schauen heute auf Griechenland als ein Beispiel für entschlossenen Widerstand gegen die Angriffe der Herrschenden. Das Kapital ist international organisiert – wir müssen es auch sein. ÖGB ersucht die griechische Regierung um „soziale Ausgewogenheit“ der Sparpläne – die SLP und ihre Schwesterorganisationen in Griechenland, Portugal, Spanien und zahlreichen anderen Ländern kämpfen gegen jegliche Verschlechterungen. Nötig sind nicht fromme Bitten und Solidaritätsbekundungen, sondern gemeinsamer Kampf aller von der Krise betroffenen ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen und Jugendlichen gegen das Europa den Banken und Konzerne. Das bedeutet aber nicht, ein Zurück zu kleinen kapitalistischen Nationalstaaten, wie das von primitiven Nationalisten á la Strache propagiert wird. Unsere Antwort heißt: internationaler, gemeinsamer Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

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