Haiti: Desaster durch Kapitalismus verschlimmert

Banker streifen 100 Milliarden an Boni ein, während arme HaitianerInnen mit Folgen der Katastrophe ringen
Niall Mulholland, CWI

 

Die humanitäre Katastrophe die Haiti überwältigt hat ist unvorstellbar. Das schwere Erdbeben am 12. Januar hat viele tausende getötet, es gibt Schätzungen von bis zu 200000 Todesopfer und mehr. Die Slumbehausungen in Port-au-Prince, der Hauptstadt Haitis, sind wie Kartenhäuser zusammengefallen, wie auch öffentliche Gebäude, inklusive Schulen und Krankenhäuser.Viele tausende sind nach wie vor vermisst und noch mehr schwer verletzt.

Elektrizitäts- und Telefonleitungen wurden zerstört und nur ein Flughafen ist in Betrieb. Schätzungen zufolge brauchen 3 Millionen Menschen, die meisten von ihnen obdachlos, dringend Wasser, Nahrung, Kleidung, Unterkunft und lebensnotwendige Medikamente.

Das bitterarme Land hat nur wenige Ressourcen um mit der Katastrophe zurechtzukommen. Die Menschen müssen Opfer mit nackten Händen aus dem Schutt retten.

Tausende Leichen türmen sich auf den Straßen von Port-au-Prince, wie in einer grotesken Szene auf einem mittelalterlichen Schlachtfeld. Es gibt keine staatlichen Einrichtungen die die Toten in Würde begraben, die Lebenden aus den Trümmern retten oder sich um die Überlebenden kümmern.

Die Armen leiden am meisten

Viele HaitianerInnen suchen Zuflucht in Notcamps, die Berichten zufolge "gefährlich" und "unhygienisch" sind. Das Fehlen von sauberem Trinkwasser, essbaren Nahrungsmitteln und Sanitäranlagen bedeutet, dass Infektionen und Krankheiten sich leicht ausbreiten können. Das medizinische Personal ist überfordert. Die verletzten, besonders jene mit gebrochenen Knochen, müssen sich mit Amputationen abfinden oder sterben aufgrund eines Fehlens von medizinischer Grundversorgung.

Für die Reichen sieht die Sache anders aus. Ihre Villen in der "grünen, kühlen Vorstadt" von Petionville wurden meist verschont, und sie haben genügend Nahrungsmittelreserven (Washington Post, 18.1.2001). Internationale Rettungsleute berichten, dass sie zunächst zu Luxushotels geschickt werden, um TouristInnen zu bergen. Die Washington Post sagt voraus, dass die Reichen in Petionville einen großen Teil der internationalen Hilfsgelder erhalten werden.

ArbeiterInnen auf der ganzen Welt sind verständlicherweise erschüttert ob dieser humanitären Tragödie. Viele Menschen haben instinktiv großzügig gespendet. Verglichen damit sind die Beträge die die UN und die großen Weltmächte versprochen haben ausgesprochen mager. Die UN hat zunächst davon gesprochen 550 Millionen für Haiti zu mobilisieren - das ist ein lächerlicher Betrag im Vergleich mit den mehr als 100 Milliarden die weltweit dieses Jahr an Banker ausgezahlt werden. Die New Yorker Citigroup versprach 250000 Dollar an das Amerikanische Rote Kreuz für die Hilfe in Haiti zu spenden - ohne Zweifel als "gute PR" gedacht. Allerdings zahlt die Citigroup 2009 5,3 Milliarden Dollar an ihre ManagerInnen als Boni aus.

Gleichzeitig hat die langsame Reaktion der großen Mächte, und besonders der USA, dem reichen Nachbar Haitis, wachsende Frustration und Wut auf der ganzen Welt ausgelöst. Trotz der Rhetorik aus Washington ist in den ersten Tagen nach dem Erdbeben, als die Not am dringendsten war und die Menschen im Schutt noch am Leben waren, nur wenig Hilfe aus den USA in Haiti angekommen. Manche HaitianerInnen haben mit Straßenblockaden aus Leichen und Bauschutt ihren Protest ausgedrückt, wütend über die magere Hilfe aus den USA. Viele BewohnerInnen von Port-au-Prince haben alle Hoffnung auf Hilfe aus Übersee aufgegeben und sind zu Fuß auf das Land geflohen.

Die US-Regierung und die UNO haben wiederholt behauptet dass ihre peinlich späte und bescheidene Antwort auf die fehlende Infrastruktur und Koordination in Haiti zurückgeht. Obwohl diese Ausrede ohne Zweifel eine massive Übertreibung ist, war Haiti tatsächlich schon vor dem Erdbeben in einem schlimmen Zustand. Es ist das ärmste Land in der westlichen Hemisphäre und hat eine Geschichte als Opfer von zerstörerischen Naturkatastrophen. Aber wessen Schuld ist das? Es ist die schändliche Rolle des US-Imperialismus, gemeinsam mit einer Serie von korrupten Pro-US-Regimes die das Land in die Armut getrieben und so anfällig für Naturkatastrophen gemacht haben.

Das Erdbeben hat zwar 7.0 auf der Richter-Skala erreicht, das Ausmaß der humanitären Katastrophe geht allerdings auf Haitis Armut zurück. Das Land hat nur zwei Feuerwehrstationen und keine erbebensichere Häuser. Ähnliche Erdbeben haben in der benachbarten Dominikanischen Republik, wo die Auflagen für Bauten wesentlich schärfer sind oder im nahmen Kuba, wo das Katastrophenmanagement wesentlich besser koordiniert ist, viel weniger Zerstörung verursacht.

In Haiti leben 80% der Menschen unter der Armutsgrenze und das BIP per Kopf betrug 2009 nur 2$ pro Tag. Die Arbeitslosigkeit liegt bei unfassbaren 75%. Die Überlebensrate der Neugeborenen ist die niedrigste in der westlichen Hemisphäre. „Für viele Erwachsene sind Drogendealerei, Waffenhandel, Mitgliedschaft in Gangs, Erpressung und Kidnapping die einzigen Einkommensquellen,“ kommentierte der Guardian (15.01.2010).

Anstatt groß angelegte Hilfsprogramme nach Haiti zu senden, hat das Weiße Haus eine groß angelegte bewaffnete Intervention gestartet. Die USA rechtfertigt die Anwesenheit von tausenden US-Soldaten mit „weit verbreiteter Kriminalität“ in Haiti. Da Geschäfte geschlossen oder zerstört sind, ist dies die einzige Möglichkeit für viele, an Wasser oder Essen zu gelangen.

Bis jetzt haben sich laut Guardian (18.01.2010) „Warnungen dass Port-au-Prince in Anarchie abstürzen würde“ nicht bestätigt.

Humanitäre Hilfe oder bewaffnete Intervention? Militärische Manöver

Die „militärische Übernahme der Notmaßnahmen in Haiti“ durch die USA bedeutet, dass US-Militärflugzeugen im Flughafen von Port-au-Prince der Vorzug gegeben wurde, mit der Folge, dass Nicht-US-Flugzeuge mit Hilfslieferungen in die Dominikanische Republik ausweichen mussten. Dass hat einen wütenden Aufschrei von anderen Mächten mit Interessen in der Region provoziert, besonders von Brasilien und Frankreich. Der französische Außenminister warf der USA vor, den Flughafen als "Anhängsel von Washington" zu behandeln.

Aus Angst vor Massenunruhen und Protesten, da die Hilfslieferungen nur begrenzt bei den Betroffenen ankommen, hat die USA Truppen nach Haiti entsandt, um „Recht und Ordnung“ zu bewahren. Das könnte der Beginn einer US-Militärherrschaft sein – die Leidtragenden sind dabei die Menschen in Haiti – genauso wie die 9000 UNO-Soldaten vor dem Beben in Haiti eingesetzt wurden.

Angesichts der Tatsache dass die Obama-Regierung und andere Mächte in den entscheidenden Tagen nicht einmal die Grundversorgung für die haitianischen Massen zur Verfügung gestellt haben – wer kann da ernsthaft glauben dass sie die Ressourcen für den Wiederaufbau und die Modernisierung des Landes (inklusive einer Renovierung der Gebäude sodass diese erdbebensicher werden) zur Verfügung stellen werden? Die USA, die UNO und die NGOs aus aller Welt - die schon jetzt von HaitianerInnen nicht ernst genommen werden, da sie sehen, dass bis zu 50% der Spenden für Bürokratie drauf geht - werden in den Augen der Armen nur noch weiter diskreditiert werden.

Jahrzehntelang war Haiti von Armut, Arbeitslosigkeit und Militärdiktaturen geplagt (siehe unten). Nur die Massen von Haiti, unter Führung der ArbeiterInnenklasse, können einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Verarmung, Gewalt und Coups finden.

Heute ist es dringender denn je nötig, dass eine Alternative der armen Massen aufgebaut wird als Opposition zur kleinen reichen Elite. Das Erdbeben Desaster und das Versagen der großen Mächte, was Hilfslieferungen und ein ordentliches Wiederaufbauprogramm anbelangt, wird den haitianischen Massen auf brutale Weise die Notwendigkeit einer demokratischen Kontrolle der Ressourcen der Gesellschaft verdeutlichen.

Auf der Basis des Kapitalismus wird die große Mehrheit der Menschen in Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger, Slums und Analphabetismus verbleiben. Diese Existenz bedeutet, dass die Massen der Menschen weiter höchst verwundbar gegenüber Naturkatastrophen sind.

Die ArbeiterInnen und Armen in Haiti brauchen ihre eigenen unabhängigen Klassenorganisationen, Gewerkschaften und eine Massenpartei mit sozialistischem Programm, um für echten Wandel zu kämpfen und gleichzeitig an die ArbeiterInnen und Armen in der Karibik und den beiden Amerikas zu appellieren.

Die verhängnisvolle Rolle des Imperialismus

Die aktuelle Regierung von Präsident Rene Préval wird von großen Teilen der Bevölkerung als korrupt und schwach angesehen. Aber dieser Abstieg zu einem „gescheiterten Staat“ war weder unvermeidbar noch hat er etwas mit dem „nationalen Charakter“ der Haitianer zu tun, wie manche westlichen PolitikerInnen und Teile der Massenmedien uns weismachen wollen.

In den 1780ern, unter französischer Herrschaft, hat Haiti 60% des in Europa konsumierten Kaffees und 40% des in Europa konsumierten Zuckers exportiert. Vor mehr als 200 Jahren haben die schwarzen Massen die Sklaverei in Haiti abgeschafft und die Unabhängigkeit von Frankreich erkämpft, eine Bewegung, die die Massen in der Karibik und auf der ganzen Welt inspirierte.

Die Kolonialmächte und später die imperialistischen Mächte waren entschlossen, die Schwarze Republik scheitern zu sehen. Sie unternahmen daher eine Serie von Interventionen.1825 wurde Haiti vergattert enorme Reparationszahlungen zu leisten, die es bis 1947 bezahlte.

Die US-Marine besetzte Haiti von 1915 bis 1934. Zwischen 1957 und 1986 unterstützte die USA die berüchtigten Regime von „Papa Doc“ und „Baby Doc“ Duvalier, bis diese Erbtyrannei von einer Massenbewegung von ArbeiterInnen und Studierenden zu Fall gebracht wurde.

Instabilität

Eine Serie von höchst instabilen Regimes, die nur von kurzer Dauer waren, folgte. Leider gab es in diesen radikalen Bewegungen keine revolutionär-sozialistische Führung die die Machtfrage stellen hätte können, um den Kapitalismus abzuschaffen und die Forderungen der ArbeiterInnenklasse durchzusetzen.

Letzte Woche gesellten sich die Ex-US-Präsidenten Clinton und Bush zu Präsident Obama in seinem Versuch, zu beschwichtigen, indem er Hilfe für Haiti in seinem „Moment der Not“ versprach. In der Tat ein Moment der himmelschreienden Scheinheiligkeit, angesichts der Rolle, die Clinton und Bush während ihren Amtszeiten spielten. Sie vertieften Haitis Armut und die Korruption in diesem Land.

Jean Bertrand Aristide gewann die Präsidentschaftswahlen 1990 in Haiti, mit dem Versprechen die Armut auszumerzen und soziale Gerechtigkeit zu bringen. Aristides ursprüngliche Reformen waren bei den Armen beliebt, wenn sie auch angesichts dessen, was notwendig wäre um Armut und Arbeitslosigkeit tatsächlich auszumerzen, bescheiden anmuten. Dennoch wurde Aristide von der reaktionären reichen Elite aufs Heftigste abgelehnt.

US Interventionen

Aristide wurde daher 1991 von General Cadras gestürzt, kehrte aber 1994 an die Macht zurück, mit der Unterstützung von 20.000 US-Soldaten, nachdem die Clinton-Regierung mit dem vorhergehenden instabilen und aufsässigen haitianischen Regime die Geduld verloren hatte. Clinton sorgte dafür dass Aristide die Interessen der USA und die Herrschaft der haitianischen Elite nicht bedrohen würde.

2000 wurde Aristide wieder mit 90-prozentiger Unterstützung zum Präsidenten gewählt. Seine Unterstützung schrumpfte allerdings zunehmend, da er die Armut nicht abschaffte. Außerdem häuften sich Anschuldigungen der Korruption und des Wahlbetrugs.

Die Bush-Administration stellte sich dennoch gegen Aristide und blockierte internationale Hilfe nach Haiti. Die reaktionäre Opposition inszenierte 2004 einen Aufstand mit Unterstützung der US-Republikaner und Aristide wurde von US-Truppen aus Haiti „hinausgeleitet“.

Die Jahre nach Aristide waren geprägt von fortgesetzter Krise und Gewalt sowie einer Folge von wechselnden Premierministern. 2006, bei der ersten Wahl nach Aristide, wurde Rene Preval als Sieger der Präsidentschaftswahl verkündet. Nach der Aufstockung ausländischer Truppen (besonders aus Brasilien, das die Rolle eines Regionalimperialisten spielte) kam es zu Konflikten zwischen UN-Truppen und bewaffneten Gangs in Cite Soleil, eines der größten Slums. Im April 2008 zwangen Hungerunruhen die Regierung eine Preissenkung auf Reis anzukündigen.

Trotz der Selbstbeschreibung von Präsident Preval als „Held der Armen“ hat er nichts an der tiefen Armut in Haiti geändert. Die riesige Kluft zwischen der armen kreolisch-sprachigen schwarzen Mehrheit, die mehr als 95% der Bevölkerung ausmacht, und der französisch-sprachigen Minderheit der Mulatten, von denen 1% beinahe die Hälfte des Reichtums des Landes besitzen, bleibt unangestastet.

Ausbeutung

Die Handelspolitik der internationalen Institutionen des Kapitals haben Haiti in Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten, besonders aus den USA, gebracht. Die enorm gestiegenen Reis- und Nahrungsmittelpreise trafen die haitianischen Menschen 2009 sehr hart. Haiti zahlt pro Jahr 50 Millionen Dollar an Zinsen für seine Verschuldung. Letzte Woche, wurde Haiti vom IWF ein „Notkredit“ von 100 Millionen Dollar gewährt – allerdings unter der Bedingung dass im öffentlichen Dienst die Löhne nicht erhöht werden.

Vor dem Erdbeben hat Bill Clinton, UN-Sonderbeauftragter für Haiti, für noch mehr Sweat Shops geworben, von denen US- und kanadische Firmen und Haitis Elite profitieren würden.

Das CWI fordert:

  • Sofortiges Geld für Katastrophenhilfe und Wiederaufbau

  • Demokratische Kontrolle über Hilfsgelder und Notmaßnahmen sowie die Wiederaufbauprogramme durch gewählte Komitees von ArbeiterInnen, LandarbeiterInnen und Armen in jedem Bezirk und jeder Nachbarschaft

  • Für den Bau von guten, erbebensicheren Häusern, Spitälern, Schulen, Straßen und Infrastruktur sowie anderen lebensnotwendigen öffentlichen Ressourcen und Einrichtungen

  • Streichung der Auslandsschulden und Abschaffung der ungerechten Handelsauflagen

  • Staatliche Unterstützung für ums Überleben kämpfende Kleinbauern

  • Jobs und existenzsichernde Mindestlöhne für alle

  • Die Wirtschaft muss in Gemeineigentum überführt werden, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die ArbeiterInnenklasse

  • UN-Truppen raus aus Haiti - Schluss mit imperialistischer Einmischung!

  • Für den Aufbau von unabhängigen Gewerkschaften sowie einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnenklasse und Armen, mit sozialistischem Programm

  • Für ein sozialistisches Haiti, als Teil einer freiwilligen und gleichberechtigten sozialistischen Karibik-Föderation.