"Griechenland ist ein Vulkan, der brodelt!"

Interview mit dem griechischen Sozialisten Nikos Kanellis

Wie waren die Reaktionen aufs jüngste „Rettungpaket“

Es war für große Teile der Bevölkerung schlimm. Weil die Illusionen, dass die Krise bald vorbei wäre oder das die ersten Maßnahmen genug wären, waren zerstört. JedeR hat verstanden, dass alle Rechte der ArbeiterInnen, alle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zerstört werden. Sie haben die Herzstücke des Staates angegriffen. Das erste mal wird im Öffentlichen Dienst entlassen werden. Und zwar aus den den Schlüsselbereichen, nicht nur aus den halbstaatlichen Bereichen. Sie wollen in den nächsten Jahren im Öffentlichen Dienst um 150.000 weniger Beschäftigte haben. Teillweise werden sie das durch nicht-Nachbesetzung machen, aber sie planen auch Stellenabbau.

Sie wollen auch alles Privatisieren. Der größte Schock waren die Pläne zur Privatisierung der Elektrizität, die heute noch über 50% in Staatsbesitz ist, und beim Wasser. Die Griechen haben das Gefühl, dass sind unsere Sachen, die kann man doch nicht privatisieren!

Es ist schwer zu sagen was das 2. „Rettungspaket“ bringen wird, weil es so umfangreich sein wird. Gehälter und Pensionen werden reduziert. Im Sommer wird ein Gesetz verabschiedet, dass die Unis quasi in die Privatisierung drängt. Die Budgets der Unis werden gekürzt und sie müssen sich nun nach anderen Einnahmequellen umsehen. Schulen, Universitäten und Spitäler werden geschlossen. Der Lebensstandard von ArbeiterInnen und Jugendlichen wird neuerlich frontal angegriffen.

Die Löhne und Gehälter werden wohl dann um mindestens 30% niedriger sind. Die Regierung macht das raffiniert, über Kürzungen bei Zulagen bzw. Sonderzahlungen. Die Leuten waren wirklich wütend. Am Anfang dachte ein Teil „vielleicht war es ja unsere schuld, vielleicht sind diese Maßnahmen nicht nett, aber so werden wir das Problem lösen“. Aber jetzt sehen sie, dass das das eine Verarschung war.

Erstmals hat sich auch die Haltung zur EU geändert. Früher gab es ja große Unterstützung. Aber nun sehen immer mehr Leute, dass Merkel, Sarkozy und die Europäische Zentralbank uns nicht „retten“.

Wie ist die Situation von Jugendlichen?

Die junge Generation zwischen 25 und 30, für die ist es inzwischen „normal“, dass sie keinen regulären Job hat. Wir müssen während des Studiums arbeiten, in diversen Kellnereijobs etc.. Nun müssen viele mit Ende 20 zurück zu den Eltern gehen, weil sie es sich einfach nicht leisten können, allein zu leben. Eine junge Frau z.B. die Architekur studiert hat, hat in einer kleinen Fabrik als Möbeldesignerin gearbeitet. Sie hat 700.- verdient – als Werksvertragsnehmerin. Nach Steuern und Sozialversicherung sind ihr gerade mal 450.- geblieben. Zum Vergleich: für eine 50 m² Wohnung muss mensch ca 4-450.- pro Monat zahlen. Und nachdem sie ihren Job verloren hat, hat sie kein Arbeitslosengeld gekriegt. Jemand der 700.- verdient, mit fixer Anstellung, Sozialversicherung und Pensionsversicherung wird bereits als privilegiert gesehen.

Im Sommer ist die Bewegung nun abgeebt, was meinst du, kommt im Herbst?

Die Situation ist nicht stabiler als vor dem Sommer. Die Bewegung wird nicht einfach aufhören, es ist ein Vulkan, der brodelt. D.h. Nicht, dass es im September oder Oktober einfache eine Wiederholung der Bewegung der „Empörten“ auf den Plätzen geben wird. Aber wir haben letztes Jahr gesehen, wie sich sehr rasch nacheinander verschiedene Bewegungen entwickelt haben.

Im Februar und März die Bewegung „Wir zahlen nicht. Dann der Hungerstreik der 300 MigrantInnen, der Streik bei den Bussen, U-Bahnen etc. Es gab eine Reihe von Streiks bei den Medien, bei den Gemeindebediensteten und hier va in den unteren Einkommensschichten. Eine Bewegung hat begonnen, und schon beim Rückgang hat sich die nächste entwickelt. Wir wissen nicht, wo sich die Bewegung nun entwickeln wird.

Z.B. versuchen sie nun, neue Müllverbrennungsanlagen zu bauen – das ist ein recht profitables Geschäft in dieser Periode für die KapitalistInnen. Da könnten sich Konflikte auch um Ökofragen entwickeln, es wäre nur ein Ventil, wo sich die ganze Wut entladen könnten. Wenn sie wirklich alle Dinge des 2. „Rettungspaketes“ einführen, dann wird das zu Widerstand führen. Es ist das eine, es anzukünigen, und was anderes, es umzusetzen, also z.B. im Öffentlichen Dienst tatsächlich 150.000 Stellen abzubauen.

Auch der Bildungssektor kann ein Brennpunkt werden. Als sie sahen, dass die „Empörten“ nicht erfolgreich sein werden, haben sie beschlossen, alle Forderungen des Bolognaprozesses umzusetzen. Die Regierung nützt die Sommermonate dafür. Das kann sie, weil die Führung der diversen Gewerkschaften, der linken Organisationen, weil die nicht wirklich Proteste organisieren. In den früheren Bewegungen haben diese Führungen die Bewegungen wirklich verkauft und verraten: bei den Gemeindebediensteten, bei den Öffentlichen Busen und U-BahnfahrerInnen, bei den Beschäftigten der E-Werke, die über eine Woche gestreikt haben. Die Führungen haben die Arbeit des Gegners gemacht. Darum entstehen die wirklichen Bewegungen von unten, von der Basis. Für die kommenden Bewegungen werden wir das wohl auch so sehen. Die Basis der Gesellschaft wird versuchen, ihre eigenen Mittel und Wege finden um diese Angriffe zu stoppen.

In Griechenland gibt es nun seit zwei Jahren kämpfe und Bewegungen gegen die Angriffe. Sind die Menschen enttäuscht, haben sie das Gefühl es wäre zwecklos?

Es gibt große Widersprüche im Bewusstsein. Die Leute gehen raus, kämpfen – oft harte Kämpfe, tagelang - und verlieren. So geht die Moral natürlich auch runter – das war das Gefühl in der Gesellschaft wenige Tage vor dem Ausbruch der Bewegung der Empörten. Die Leute waren wütend, enttäuscht, die Leute waren gegen die Regierung, die EU etc.. Gleichzeitig meinten viele, wir erreichen eh nichts. Letztlich war das eine wichtige Kombination, viele haben das Gefühl, wir haben nun ohnehin nichts mehr zu verlieren, weil die Perspektive so furchtbar ist, also müssen wir kämpfen. Und die Leute haben auch Schlussfolgerungen aus den Kämpfen gezogen. Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen war, dass die eintägigen Streiks zu wenig bringen, dass es nichts bringt, nur einen tag zu streiken, zu demonstrieren und dann Heim zu gehen. Der Schluss ist, dass es was Radikaleres braucht. Eine andere Schlussfolgerung war, dass, wenn die Führung der Gewerkschaften und der großen linken Organisationen nichts tun, dann müssen wir es selbst tun. Warum nicht einfach eigene Komitees gründen, in den Plätzen um den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen. In der Periode in der Krise wie wir sie gerade erleben sind es diese Auf und Abs, die auch gefährlich sind.

Du meinst die Aktivitäten der extremen Rechten?

Ja, im Mai damals gab es harte Angriffe der FaschistInnen. Die Angriffe waren am helllichten Tag, sie haben ohne Angst angegriffen. Die Linke hatte Angst während dieser Zeit ins Zentrum von Athen zu geben. Das Gefühl in der Gesellschaft, es wird eh nichts passieren, das hat den Rechten genutzt. Als die Bewegung der Empörten dann begann, nur wenige Tage danach, wurden die FaschistInnen zurückgedrängt. Leider wächst die Basis der FaschistInnen auch ein bisschen, durch die weitgehende Verarmung einer Schicht, va auch unter Jugendlichen. Sie setzen in ihrer Propaganda auf die Frage der Kriminalität und schüren die Stimmung „es reicht, die dürfen uns nicht in unseren Städten töten“. (Anm.: Auslöser der Menschenjagd durch die Nazis war, das ein Grieche von „Ausländern“ bei einem Raub getötet wurde.) Na klar gibt es echte Probleme im Zentrum von Athen. Tatsache ist, Flüchtlinge haben nichts, sie werden in die Kriminalität gedrängt. Aber sie sind ja nicht schuld an der Krise!

Wenn Bewegungen in Serie scheitert – dann kann die Rechte gewinnen. Nea Dimokratia (quasi ÖVP-Schwester, Anm.) versucht nach rechts zu gehen um den Rechtsextremen das Wasser abzugraben. Massenpartei der extremen Rechten stehen zur Zeit nicht auf Tagesordnung, aber es gibt schon auch qualitative Veränderungen. Xrisi Avgi – die bekannteste neofaschistische Organisation – ist für viele gewalttätige Angriffe verantwortlich, v.a. im letzten Jahr in Athen. Sie haben auch „angeboten“ dass sie die Polizeiarbeit in Athen übernehmen nach den Angriffen. Sie waren gegen die Bewegung der Empörten. Programatisch setzen sie im wesentlichen auf Nationalismus und Rassismus, soziale Fragen greifen sie eigentlich nicht auf.

Angesichts der Fehler der Linken, welche Entwicklungen kann es da geben?

Zur Zeit gibt es keine eindeutigen Anzeichen für eine Rückkehr des Syndikalismus (Strömung in der Linken, die Parteien ablehnt und sich auf gewerkschaftliche Organisierung beschränkt, Anm.). Es gibt aber diverse linke Organisationen, va auch aus dem anarchistischen Spektrum, die kämpferische Gewerkschaftsstrukturen aufbauen. In einigen Gewerkschaften gibt es linke Führungen, das sind va. neuere Gewerkschaften, die haben sich teilweise in den letzten Jahren entwickelt. Aber die machen nur ihre Sachen, sie beteiligen sich an den großen Bewegungen, aber sie führen keinen Kampf im Dachverband für einen kämpferischen Kurs.

Das Wichtigste ist, dass die griechische Gesellschaft kocht. Es ist offen, in welche Richtung sie gehen wird. Auch obwohl die Führung die Bewegung nicht zum Sieg sondern zur Niederlage geführt - es hat sich gezeigt, das Leute immer und immer wieder rausgehen und kämpfen um ihren Lebensstandard zu verteidigen. Deshalb ist es wohl sicher, dass wir auch in der nächsten Periode große Bewegungen sehen werden, auch Explosion wie in Argentinien 2001 sind möglich.

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