Freiwillige HelferInnen: Wo bleibt die Öffentliche Hand?

Ein Erfahrungsbericht aus der Notschlafstelle Dusika-Stadion Wien
Sedef Yavuz

Anfang September hat die Stadt Wien das Ferry Dusika Stadion im 2. Bezirk als Notunterkunft für Flüchtlinge geöffnet. Dabei wurde wenig geplant, es war keine Organisation, wie in anderen Unterkünften (z.B Caritas) vorgesehen. Wie in allen Stellen gibt es vor Ort eine Einsatzleitung, die die Verbindung zwischen dem Organisationsteam und dem sogenannten Krisenstab herstellen soll. Doch oft haben die selbst keine Infos. Die HelferInnen sind Studierende, Lehrlinge und Angestellte, die in das Team durch verschiedenste Zufälle hineingerutscht sind. Selbstverständlich sind das alle freiwillige HelferInnen, so wie ich, die ihre gesamte Zeit und Energie in die Planung und Schaffung gewisser Strukturen investieren.

Wir erhalten die Schlafstelle für rund 900 Menschen hauptsächlich durch ehrenamtliche Arbeit und private Spenden. Wir können nur darauf hoffen, dass sich regelmäßig Rechtsberatung und ÄrztInnen finden lassen, die z.B den Flüchtlingen Medikamente ausgeben dürfen. Natürlich benötigt man für die Kommunikation auch DolmetscherInnen. Aber auch diese Art von Hilfe müssen wir uns selber organisieren.

Diverse Dinge bekommen wir durch den Sanitätsstab gecheckt. So haben wir hunderte Wolldecken erhalten, oder auch einige Hygieneartikel. Wasser, Frühstück (Semmeln, Margarine und Honig) so wie warmes Abendessen, (für das wir allerdings kämpfen mussten!) werden täglich vom Bundesheer geliefert. Das ist aber auch schon fast alles, was wir von der Stadt zur Verfügung gestellt bekommen.

Der ÖGB (der nur wenige Meter entfernt seine Zentrale, den „Catamaran“ mit hunderten Beschäftigten, Kantine, Lager und Versammlungsräumen hat) stellt täglich ein paar MitarbeiterInnen und Lehrlinge frei, die uns dann ebenfalls für einige Stunden unterstützen. Das ist lobenswert und hilfreich, aber bei weitem nicht alles, was für den Gewerkschaftsbund machbar wäre.

Auch der Krisenstab hätte viel mehr Möglichkeiten um uns unter die Arme zu greifen, nachdem wir doch schon die direkte Arbeit vor Ort leisten. So könnten sie uns ein Notfallsbudget einrichten, auf das man zugreifen könnte, wenn wichtige Gegenstände, Lebensmittel oder Medikamente fehlen. Sie könnten uns Feldbetten statt Sonnenliegen bereitstellen. Oder ÄrztInnen bezahlen, damit wir den kranken Flüchtlingen fiebersenkende Medikamente aushändigen dürfen. Oder, oder, oder...

Kommen nicht genug Schuhe herein, dürfen wir dem Reisenden in ihren Flipflops bei winterlichen Temperaturen erklären, dass wir leider nichts haben. So passiert es auch, dass wir keine Jacken haben, oder dass wir ohne rechtzeitige „Vorwarnung“ durch die „Koordination“ und ohne ausreichende Vorbereitung 350 neue Gäste auf einmal bekommen. Da kann es schon passieren, dass wir nichts außer als Heringsfilet vom Bundesheer zum Essen haben.

Ich will nicht sagen, dass es bei uns im Stadion chaotisch oder schlecht organisiert abläuft. Diese Beispiele stammen eher aus Extremsituationen. Aber so furchtbar kann es tatsächlich werden. So erklärte eine der HelferInnen, dass sie diese Arbeit zwar gerne mache, sie sich aber von der Politik ausgenutzt und verraten fühle. Das sehe ich genau so wie sie. Ich fühle mich ausgebeutet. Die Organisation ist harte Arbeit, immer auf dem neuesten Stand zur Grenzsituation zu sein, bedeutet viel Recherche. Spenden zu sortieren, zu kochen, Schlafplätze vorzubereiten, den Menschen all ihre Fragen zu klären, und tausende andere Aufgaben zu erledigen, ist anstrengend.

Während ich diesen Bericht schreibe, erreichen immer mehr Freiwillige ihr Limit. Viele von uns haben ja auch noch „normale“ Jobs, Familie und Verpflichtungen – und Rechnungen die wir bezahlen müssen! Mittlerweile kommen weniger HelferInnen, auch die Sachspenden gehen verständlicherweise zurück, da den Menschen das Geld und die Energie ausgehen. Gleichzeitig behauptet Peter Hacker, der Flüchtlingskoordinator der Stadt Wien, dass es andere Menschen gibt, die unsere Arbeit übernehmen würden, wenn wir es nicht mehr schaffen. Als es zu einem persönlichen Gespräch mit ihm kam, nachdem er dem amerikanischer Botschafter zeigen wollte wie gut alles in Österreich abläuft, konnte er uns nicht sagen, wo diese Menschen denn seien. Denn ich hätte gerne mal wieder eine Pause. Sollte jedoch die Organisation wirklich nicht mehr können, würde das bedeuten, dass 900 Flüchtlinge einen Schlafplatz verlieren.

Diese „Drohung“ schien bisher übrigens der einzige Weg zu sein, um endlich mit den Verantwortlichen reden zu können, damit wichtige Fragen und Probleme geklärt werden.

Das darf und soll aber nicht die einzige Möglichkeit sein, um Druck aufzubauen. Die OrganisatorInnen der verschiedenen Unterkünfte müssen sich zusammenschließen und ein Netzwerk aufbauen. Gemeinsam können und werden wir viel mehr herausholen. Und zwar nicht mehr an unbezahlter ehrenamtlicher Tätigkeit, sondern endlich bezahlte Profis. Unsere Arbeit erspart Bund und Land tausende Jobs! Und wir dürfen uns vom Krisenstab nicht mehr länger auf der Nase herumtanzen lassen! In den Medien stellen sie sich als super organisiert dar, schmücken sich mit den Lorbeeren unserer Arbeit, doch vor Ort sind wir oft allein gelassen.

Zum Mythos des Sexismus

Ich würde noch gerne einer geläufigen Befürchtung, Behauptung oder schlichtweg Lüge etwas entgegenstellen: So hört man immer wieder die Behauptung, dass nur männliche Reisende da wären, die die Frauen hier nicht gleichberechtigt sehen würden. Da sie angeblich alle einer Kultur entstammen, in der Frauen als minderwertig gelten. Tja, dummerweise fühle ich mich hier in Österreich auch nicht gleichberechtigt. Ich weiß ganz genau, dass ich weniger Geld als meine männlichen Kollegen verdienen werde. Ich muss mir fast täglich idiotische Sprüche anhören, die meistens damit enden, dass mein Platz in der Küche sei. Davon gibt es noch etliche weitere Beispiele. Wenn ich nachts mit der U-Bahn alleine nach Hause fahre, muss ich damit leben immer wieder angemacht zu werden, ob ich will oder nicht.

Im Dusika-Stadion selbst werden nur die männlichen, allein reisenden Flüchtlinge untergebracht, für die Familien gibt es eine eigene Halle. Ich selbst helfe fast immer im Stadion aus, und hatte es in den letzten Wochen vermutlich mit mehreren hunderten Männern zu tun. In diesem gesamten Zeitraum wurde ich vielleicht so oft belästigt, wie an einem einzigen Abend in einem Club.

Hier wird also ein Bild gezeichnet, dass mit der Realität nicht viel zu tun hat.

Bisher habe ich dafür viele dankbare und aktive Menschen (auch viele Männer) kennengelernt, die mir in den Nachtschichten geholfen haben, Gemüse zu schneiden, oder die Wasservorräte nachzufüllen. Ich durfte mir schon manche Lebensgeschichten anhören, Fotos von Kindern, die noch in Syrien sind, ansehen, oder eben Videos, die auf einem Schlauchboot mitten im Meer gefilmt worden sind.

Die Flüchtlinge versuchen den HelferInnen etwas zurückzugeben, obwohl das nicht ihre Aufgabe ist. Essen, Kleidung, und ein warmer Schlafplatz sollten gerade in einem Land wie Österreich etwas selbstverständliches sein, und kein Privileg.

Und diejenigen, die der FPÖ-Hetze glauben, und Panik vor den angeblich Millionen männlichen, kriminellen Flüchtlingen haben, bitte ich doch einmal in unserer Family Hall vorbeizuschauen. Denn die ist voller Frauen und Kindern. Oft genug durfte ich selbst mit den Kindern spielen, oder Babys halten um den Eltern mal die Möglichkeit zu verschaffen, in Ruhe zu essen.

Viele Menschen haben Ängste, wenn es um die „Flüchtlingskrise“ geht. Die Ängste um Job, Wohnung und Zukunft sind berechtigt, doch Flüchtlinge sind hier nicht die Ursache der Probleme, und die Abschiebung von Flüchtlingen oder geschlossene Grenzen auch nicht die Lösung. Aber rechte HetzerInnen wie die FPÖ nutzen diese Ängste aus und verstärken sie durch Unwahrheiten.
Sehen wir einmal von dem Fakt ab, dass seit über einem Jahr klar war, dass viele Menschen flüchten werden. Sehen wir auch davon ab, dass die Festung Europa in Wirklichkeit nur einen kleinen Teil der Fliehenden aufnimmt. Wahr ist, dass nicht die Flüchtlinge für Kürzungen, unbezahlbare Mietpreise, oder die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich sind. Diese Situation wurden von den selben PolitikerInnen verursacht, die jetzt den Flüchtlingen nicht einmal das Mindeste gewährleisten wollen. Lassen wir uns nicht gegenseitig ausspielen, sondern schließen wir uns zusammen!