Für eine neue ArbeiterInnenpartei eintreten

Die NR-Wahlen machen es deutlich:
John Evers

„Die SOV strebt die Bildung einer neuen ArbeiterInnenpartei und Bewegung in Österreich und Europa an” (aus dem Parteistatut der Sozialistischen Offensive Vorwärts). Die SOV ist die einzige Kraft in Österreich, die dieses Ziel verfolgt. Ein sinnloses Unterfangen angesichts von FPÖ-Wahlsiegen, gewerkschaftlicher Defensive und der Schwäche der Linken? Im Gegenteil: Selten zuvor war die Bildung einer solchen Partei so notwendig wie heute.
Sowohl bei der Einkommensverteilung, der Entwicklung des Steueraufkommens und der Arbeitslosigkeit haben in den letzten 10 Jahren Umverteilung von unten nach oben und eine Politik auf Kosten der breiten Bevölkerungsmehrheit stattgefunden. Begleitet wurde diese Entwicklung durch deutliche Rückschritte in der Lebenssituation z.B. von Frauen, Jugendlichen und MigrantInnen. Vollzogen wurde diese Politik von einer sozialdemokatisch geführten Regierung. Politisch profitieren konnte vom Unmut und Protest gegen die „Sparpakete” praktisch nur eine Kraft: Die FPÖ mit ihren rechtspopulistischen Sprüchen. Ihr aktueller Höhenflug ist nur ein weiterer Punkt in einer Entwicklung, die vor allem die SPÖ zu verantworten hat. Entscheidend ist auch die Tatsache, daß in Österreich - im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten- kein nennenswerter Widerstand von unten oder von Seiten der Gewerkschaften gegen Sozialabbaumaßnahmen stattfindet.
Einheitsbrei
Tatsächlich gehen die sozialen Konzepte der großen Parteien in die selbe Richtung. Steuer- und Abgabenentlastung für die Reichen und sparen bei den Armen. Die ÖVP etwa will die Lohnnebenkosten (also Arbeitgeberbeiträge mit denen bisher z.B. Sozialleistungen finanziert wurden) um 30 Milliarden senken, Klima ist für eine Reduzierung der Abgabenquote um 56 Milliarden und die FPÖ will durch die „Flat Tax” Steuergeschenke im Rahmen von über 150 Milliarden an die Besitzenden machen. Die Gegenfinanzierung umreißt z.B das SPÖ-Papier „Strategie für Österreich”: Sparsamkeit der öffentlichen Hand, Erhöhung der sozialen „Treffsicherheit”, Deregulierung und Entbürokratisierung, Reduktion des staatlichen Einflusses auf die Kernbereiche, Elitenbildung – alles Schlagworte, hinter denen sich weitere Sozialabbaumaßnahmen verbergen. Selbst die Grünen setzen auf die „Senkung der Lohnnebenkosten”, staatliche Unterstützung bei „Unternehmensgründungen” und den Abbau von „überholten Zunftmaßnahmen”. Keine der Parlamentsparteien versteht sich als Partei der ArbeitnehmerInnen. Keine dieser Parteien fordert auch nur die Rücknahme aller Sparmaßnahmen.

Österreich mitten drin

Die Entwicklung der politischen Landschaft in Österreich findet nicht im luftleeren Raum statt: Sie ist eine Widerspiegelung internationaler Trends und Tendenzen. Sinkende Wirtschaftswachstumsraten, steigende Arbeitslosigkeit, Sparpakete und Sozialabbau haben das Europa der 90er Jahre überall gekennzeichnet. Diese Entwicklung der „objektiven” Situation wurde von einem tiefgreifenden Wandlungsprozeß der traditionellen – v.a. sozialdemokratischen – ArbeiterInnenparteien begleitet. Politisch stehen diese Parteien der „neuen Mitte” inzwischen fest auf „neoliberalem” Boden: Die SPÖ verkündet auf Plakaten, daß nur neue Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen, Tony Blair setzt am letzten Labour-Party-Parteitag Talent und Einsatz mit persönlichem Wohlergehen gleich. Und die rot/grüne Koalition in Deutschland muß sich von der CDU/CSU sagen lassen, daß ihre Rentenpläne sozial unausgewogen wären. Die Sozialdemokratie heute steht für neoliberale Konzepte pur.

Wie ein Segel im Wind

Binnen weniger Monate, ja Wochen finden heute Wählerwanderungen statt, die es  bisher nicht einmal über Jahrzehnte hinweg gegeben hat. Die ersten konkreten Erfahrungen mit der Schröderregierung haben die ehemals roten Hochburgen im Ruhrgebiet mit einem Schlag zum Einsturz gebracht.
Die Nationalratswahlen 1999 brachten einen Erdrutsch der sich unter der Oberfläche schon lange abzeichnet: Lange schon krachte und kracht es in den Landesorganisationen. Jetzt erhielt die SPÖ mit unter 34% das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte. Nicht einmal sieben Prozent trennen sie noch von der FPÖ. Es ist der totale Zusammenbruch der SPÖ als ehemalige „ArbeiterInnenpartei”, der sich hier festmacht: Die Freiheitlichen erhielten soviele Stimmen aus der ArbeiterInnenklasse wie nie zuvor. Gleichzeitig verlor die SPÖ noch mehr an die „Nichtwähler”. Die ArbeiterInnenklasse hat heute keine Partei mehr, die sie als „ihre” (traditionelle) Partei ansieht.

Politisches Vakuum

Die Angriffe des Kapitals in den letzten Jahren auf die Säulen des Wohlfahrtsstaates – Pensionen, Bildung, Sozialversicherung und Gesundheitswesen – haben in breiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung Empörung hervorgerufen. Sie haben die Notwendigkeit einer politischen Kraft, die Unmut und Widerstand zusammenfasst und organisiert, deutlich aufgezeigt. In das Loch, welches die Sozialdemokratie hinterläßt, sind verschiedene politische Kräfte eingedrungen: Dazu gehören rechtspopulistische und auch faschistische Parteien, wie Berlusconi, die Lega Nord und die faschistische AN in Italien, verschiedene Abspaltungen der Neogaulisten und der Front National in Frankreich, die Republikaner und die DVU in Deutschland... Die Aufwärtsentwicklung dieser Kräfte war aber teilweise widersprüchlich und kurzlebig. Starke rechte Regierungen, etwa in Frankreich und Italien, die von der Krise und Ablehnung des alten politischen Systems profitierten, wurden durch Massenbewegungen zu Fall gebracht. Eine Sonderrolle stellt hier die Entwicklung der FPÖ dar. Die Freiheitlichen befinden sich seit Haiders Machtübernahme 1986 – trotz Skandalen, Richtungsschwenks und internen Krisen - praktisch ununterbrochen im Aufwärtstrend. Dieser Aufstieg ist Ausdruck einer besonderen Situation in Österreich: Einer Situation, in der sich - mit ganz wenigen Ausnahmen - auf keiner Ebene ein Angebot für die ArbeiterInnenklasse links von der SPÖ formiert hat.

Haupttrend: Polarisierung von links

Daß ArbeiterInnen in Zeiten der zunehmenden sozialen und politischen Polarisierung „rechts” wählen, ist keinesfalls der Haupttrend, wie dies etwa der österreichische Politologe Anton Pelinka unterstellt.
In vielen europäischen Ländern haben die Stärkung von Linksparteien und nicht von rechten Populisten die öffentliche Debatte bestimmt: „Rote Gespenster” wie die PDS in Deutschland, die RC in Italien und die KPF in Frankreich  gehen um. Sie haben zweifellos die Gesellschaft von links polarisiert, wurden und werden von ArbeiterInnen und Jugendlichen zumindest als ein Zeichen des Protests gegen die herrschenden Zuständen gewählt. Das Beispiel der FPÖ müßte allerdings für diese Parteien eine  „Rute im Fenster” darstellen. Politisch werden nämlich ein Großteil dieser Kräfte den radikalen Anforderungen unserer Zeit nicht gerecht: Sowohl die PDS wie die KPF sind dabei, einen massiven Sozialdemokratisierungs–Prozeß durchzumachen. Sie sind beide (auf Länder- bzw. Bundesebene) in Regierungsverantwortung und tragen Sparmaßnahmen und Privatisierungen mit. Die Gefahr einer solchen Politik sieht man in Sachsen-Anhalt: Die PDS sitzt dort der Regierung. Unmut und Protest drückte sich dort nicht mehr links sondern im bisher größten Erfolg für die faschistische DVU (über 12 Prozent bei den Wahlen 1998) aus. Das Vakuum, welches die Sozialdemokratie hinterläßt, kann heutzutage nicht durch „traditionelle sozialdemokratische” Politik gefüllt werden. Linke Realpolitik bedeutet heute, daß selbst das Halten des Status quo (also z.B. kein Sozialabbau) in vielen Fällen beinharte Konfrontation mit dem Kapital bedeutet. Weitere Umgruppierungsprozesse in der Linken stehen an: In Frankreich hat ein Bündnis links von der KPF den Sprung ins EU-Parlament geschafft. Viele Menschen die entäuscht waren über die Zustimmung der KPF zu m NATO-Krieg gegen Jugoslawien und den Privatisierungen der Regierung gaben dem Bündnis ihre Stimme.  In Irland stellt die Schwesterorganisation der SOV, die Socialist Party, einen Abgeordneten zum Parlament. In Italien spaltete sich die Partei der kommunistischen Neugründung (RC) in einen linken Teil der im wesentlichen die Mitgliederbasis repräsentiert und eine rechte Strömung rund um jene Ex-RC Parlamentsabgeordneten die den Sparkurs der Regierung unterstützen.

Wo setzen wir in Österreich an?

Der Aufstieg der FPÖ kann nur  durch den Aufbau einer Partei und Bewegung links von SPÖ und Grünen gestoppt werden. Wir fangen dabei nicht „bei Null” an: Es gilt auch, die positiven Entwicklungen der letzten Jahre hervorzustreichen: Neben vielen internationalen Beispielen gehört dazu auch die Tatsache, daß eine Kraft, die zumindestens „Kommunistische Partei” heißt, acht Prozent in Graz erhielt, ebenso wie die Entwicklung einer innergewerkschaftlichen Opposition im öffentlichen Dienst (KIV), die breite Jugendbewegung gegen das Sparpaket, 650.000 Unterschriften für das Frauenvolksbegehren. Bezeichnend ist allerdings, daß sich aus all diesen Ansätzen keine „neue Formation” - also eine neue linke oder sozialistische Kraft - entwickelt hat und auch kaum eine Strömung existiert, die diese Frage auch nur anreißt. Hier wurden damit große Chancen vertan. Eine gewisse Ausnahme bildet hier jene Gruppe, die sich aufgrund der Stellung der Grünen zum NATO-Krieg von den Grünen in Oberösterreich abgespalten hat. Sie stellt sich offensiv die Frage einer neuen linken politischen Kraft in Österreich und gibt sich offen gegenüber anderen Strömungen. Die SOV strebt mit solchen Kräften eine „strategische Partnerschaft” auf gleichberechtigter Grundlage an.

Breite Zusammenarbeit

„Die Zusammenarbeit und der gemeinsame Kampf mit allen linken, sozialistischen und revolutionären Kräften (ist) ein weiteres zentrales Element der Arbeit der SOV” (SOV-Statut). Die SOV hat in diesem Punkt schon in der Vergangenheit ein hohes Maß an Flexibilität und Bündnisbereitschaft bewiesen: Wir waren 1996 bereit, gemeinsam mit der KPÖ unter deren Namen (!) zu kandidieren. Wir haben aktiv mitgewirkt am Aufbau der „Unabhängigen GewerkschafterInnen” und gegen die einseitige Ausrichtung dieser Fraktion in der GPA auf die Grünen (leider erfolglos) gekämpft. Wir arbeiten nun solidarisch als zweite politische Kraft neben der KPÖ im Gewerkschaftlichen Linksblock und versuchen dort für eine Verbreiterung und kämpferische Veränderung Impulse zu setzen. In gewissen Fragen ist uns in den letzten Jahren auch sehr breite und erfolgreiche Bündnisarbeit gelungen: z.B. gegen die Abtreibungsgegner von „Pro Life”, sowie bei der Verteidigungskampagne für unser Mitglied Franz Breier jun., welcher vom ehemaligen Welser Bürgermeister Bregartner geklagt wurde.

Neue Praxis

In der Praxis besteht Zusammenarbeit allerdings immer weniger auf gemeinsamen Aktionen mit bestehenden politischen Organisationen, sondern in der Organisierung und Mobilisierung „neuer Schichten” – also Menschen, die bis jetzt noch nicht direkt politisch aktiv waren. Aufgrund der Struktur der SOV sind wir hier vor allem im Jugendbereich erfolgreich: Jugend gegen Rassismus (JRE) in Europa und die SchülerInnen Aktionsplattform (SAP) sind neue Organisationsformen für Jugendliche, die auf unsere Initiative zurückgehen. Unser Ziel ist es, ähnliche kämpferische Strukturen in anderen Bereichen – etwa bei Arbeitslosen, Frauen und MigrantInnen – mitaufzubauen bzw. zu initiieren. Es gibt viele Beispiele in Europa, wo solche Kräfte ohne die Initiative von revolutionären Parteien und Organisationen entstanden sind und sehr erfolgreich für die Interessen der jeweils Betroffenen eingetreten sind. Erfolgreich waren sie vor allem dann, wenn sie sich nicht um „Sachzwänge und Budgetkonsoldierung”, sondern um ihre unmittelbaren Interessen gekümmert haben. Eines der wichtigsten Beispiele dafür ist sicher die französische Erwerbslosenbewegung  AC, die Restaurants stürmt, Arbeitsämter belagert und Massendemostrationen organisiert. So radikal diese Bewegungen oft im Auftreten sind und waren: früher oder später stehen aber alle diese Formationen vor der Frage, welche weiteren Perspektiven ihr Kampf besitzt.

„Realistisch sein - das Unmögliche fordern”?

SozialistInnen müssen natürlich die konkreten Fragen unserer Zeit aufgreifen: Etwa den Kampf gegen die sogenannte Globalisierung  - also das Gegeneinanderauspielen von Standorten und Belegschaften. Gegen Arbeitslosigkeit und Rationalisierungsdruck durch die 30-Stundenwoche und weitere Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn. Gegen die „Sparlogik” der Bürgerlichen, durch ein Aufzeigen, auf welchen Konten das fehlende Geld liegt .... Aber jeder einzelne Punkt könnte nur gegen den erbitterten Widerstand des Kapitals durchgesetzt werden und würde im Grunde auch die Grenzen dieses Systems angreifen und überschreiten. Unternehmer, die menschliche Arbeitskraft nicht immer stärker auspressen können, sind nicht in der Lage, ihre Profitraten zu steigern. Eine radikale Umverteilung von oben nach unten bedeutet, daß sie bisherige und künftige Profite nicht lukrieren könnten, ein geschlossener Widerstand gegen die „Globalisierung” schränkt die Entscheidungsgewalt des Kapitals entscheidend ein. All diese Maßnahmen sind aber notwendig, um heute gegen Probleme (Arbeitslosigkeit, Reallohnverluste und Sozialabbau) wirksam vorzugehen. Es wäre unehrlich und unglaubürdig, nicht „auszusprechen, was ist”: Nämlich, daß nur eine sozialistische Gesellschaftsveränderung die Klammer und Perspektive sein kann, die für jede Bewegung, die sich für die soziale Rechte einsetzt, bieten kann. „Irrealpolitisch” sind jene, die glauben, im Konsens mit den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen, durch bessere Politiker oder bessere politische Konzepte den jetzigen Lebensstandard breiter Bevölkerungsteile sichern und eine sozial gerechte Welt herstellen zu können.

Neue ArbeiterInnenpartei jetzt aufbauen!

Die SOV ist die einzige Kraft, die in dieser Weise versucht, bestehende Ansätze von Widerstand mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden. Sie ist wie oben beschrieben die einzige Kraft, die offene linke Bündnisarbeit, eine neue politische Praxis mit dem Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei verknüpft. Eine neue ArbeiterInnenpartei wird in den kommenden Jahren in Österreich und international nicht alleine mit den Kräften der SOV (bzw. des CWI – unserer internationalen Organisation) aufgebaut werden können. Wir sind aber der Überzeugung, daß wir durch unsere jetzige Arbeit mit die Voraussetzungen und Erfahrungen schaffen, auf denen eine solche Partei aufgebaut werden wird. Die SOV sieht sich als offensives und derzeit einziges „Angebot” in dieser Richtung und wird versuchen, dieses auf möglichst vielen Ebenen politisch und praktisch zu formulieren. Die Angriffe und die Gegenwehr der kommenden Periode werden für viele Menschen noch stärker die Frage nach einer politischen Alternative aufwerfen. Es wird von der praktischen Rolle der vorhandenen sozialistischen Kräfte in betrieblichen Kämpfen, Jugendbewegungen, bei Wahlen und politischen Auseinandersetzungen abhängen, ob das „Projekt Neue ArbeiterInnenpartei” erfolgreich umgesetzt werden wird.

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