Die Türkei nach den Anschlägen auf die Friedensdemonstration

Stellungnahme von Sosyalist Alternatif

Am 10.Oktober wurden Bombenanschläge auf die von mehreren Gewerkschaften organisierte Friedensdemonstration in der türkischen Hauptstadt Ankara, ausgeübt. Bisher starben mindestens 128 Menschen, hunderte wurden verletzt. Es ist der größte Anschlag in der türkischen Geschichte.

Viele Opfer liegen noch auf den Intensivstationen verschiedener Krankenhäuser und eine große Zahl der Leichen konnten noch nicht identifiziert werden. Diese Tragödie hat ein massives menschliches und politisches Ausmaß, das das Land in seinen Grundfesten erschüttert.

Zu der Demo am Samstag hatten der Dachverband der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst (KESK), der „Verband der revolutionären Gewerkschaften der Türkei“ (DİSK), der Verband der MedizinerInnen (TTB) sowie die Vereinigten Innungen Türkischer IngenieurInnen und ArchitektInnen (TMMOB) aufgerufen. Wenige Minuten, bevor der Protestzug startete, explodierte eine Bombe dort, wo AktivistInnen der linken pro-kurdischen Partei HDP (Demokratische Partei der Völker) sich versammelt hatten. Eine zweite Explosion ereignete sich nur etwa 50 Meter von der ersten, was noch mehr Tod und Zerstörung mit sich brachte. AugenzeugInnen, darunter Mitglieder von Sosyalist Alternatif (Schwesterorganisation der SLP in der Türkei), die den Ort des Geschehens schnell erreichten, berichteten von Szenen unvorstellbarer Grausamkeit.

Diese bestätigten auch Berichte, wonach die Polizei versucht hat, Erste Hilfe für die Opfer zu verhindern. Tränengas wurde in die Menge der Überlebenden und der Angehörigen der Opfer geschossen, KrawallpolizistInnen wurden zum Tatort geschickt noch bevor die ersten Rettungswagen ankamen. Hüseyin Demirdizen vom Verband der MedizinerInnen (TTB) sagte: „Während die ÄrztInnen der Medizinergewerkschaft zu Blutspenden aufriefen, behauptete die Regierung dass es kein Bedarf nach Blut gebe. Wenn die ÄrztInnen nicht schon auf der Demonstration gewesen wären, wäre die Zahl der Toten und Verletzten viel höher“.

Beinahe direkt nach dem Anschlag entschied sich das Regime dazu, Facebook und Twitter zu blockieren, ein durchschaubares Manöver um Berichte von unten zu verhindern und die von der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) kontrollierten Medien die Oberhand gewinnen zu lassen, die sofort linke Gruppen oder die PKK des Doppelanschlags bezichtigten.

Die erste Antwort von staatlicher Seite lässt überhaupt keinen Zweifel darüber, wie das Regime zu einem Ereignis steht, das nicht nur eine Tragödie ist sondern ein politisch geführtes Massaker. Was auch immer die genaue Rolle des Erdogan-Regimes bei diesem Anschlag sein mag: seine politische Verantwortung ist immens. Dieses Bombardement ist als Teil einer Strategie zu sehen, die eine anhaltende Eskalation und Provokation (dazu zählen auch physische Angriffe) von Seiten des Erdogan-Regimes gegen Linke und die kurdische Unabhängigkeitsbewegung beinhaltet. Die türkische Armee führt gerade einen brutalen Angriffskrieg gegen die PKK und die kurdische Unabhängigkeitsbewegung und hat dabei bisher hunderte Menschen getötet. Und obwohl die PKK bis zu den Wahlen am 1. November die Waffen ruhen lassen will, hat die türkische Armee PKK-Stellungen in der Südosttürkei und im Nordirak angegriffen und dabei viele Menschen getötet.

Niemand lässt sich vom Gerede der Terrorbekämpfung verwirren. Es wird hauptsächlich verwendet, um die massive Verfolgung der Linken und der pro-kurdischen Kräfte zu vertuschen, welche in den letzten Jahren extrem stark unter einer staatlichen Terrorkampagne gelitten haben. Auf der anderen Seite haben in den letzten Jahren dschihadistische Gruppen wie der IS und andere von der Komplizenschaft des türkischen Staates in ihren Syrien-Aktivitäten profitiert.

Enttäuschung und Wut

Aus der Trauer und Enttäuschung über die grauenhaften Anschläge vom Samstag wurde schnell und berechtigterweise Wut über die AKP-Regierung. Am Samstag demonstrierten in Istanbul und anderen Städten Zehntausende gegen die Regierung. Am Tag danach waren in Ankara ca. 10.000 Menschen auf der Straße auf genau dem Platz in der Nähe des Bahnhofs, auf dem die Anschläge stattgefunden hatten. Das drückt eine Stimmung von Trotz und Furchtlosigkeit aus. Bei den Begräbnissen einiger Opfer war eine tiefe Wut der Massen zu spüren, die wahrscheinlich nicht so bald wieder verschwinden wird.

Die vier linken Gewerkschaftsverbände haben zu einem 48-stündigen Generalstreik für Montag, den 12. und Dienstag, den 13. Oktober aufgerufen. Das ist ein sehr passender und unterstützenswerter Schritt, der von der Linken und der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung international unterstützt werden sollte. Ein Generalstreik, der die kurdische und türkische Bevölkerung im gemeinsamen Kampf zusammen bringen kann, ist die beste Antwort auf Erdogan und die Versuche seiner herrschenden Clique, das Blut arbeitender Menschen für ihre Teile-und-Herrsche-Politik auszunutzen und dadurch ihre Macht und die Profite der reichen Geschäftsbonzen, deren Macht sie verteidigen, zu stärken. Angesichts des völligen Versagens der Staats- und Polizeikräfte, die Menschen zu schützen, müssen linke und gewerkschaftliche Kundgebungen und Demonstrationen durch einen gut organisierten Ordnerdienst geschützt werden. Angemessene Selbstverteidigungsmaßnahmen, die alle nationalen Bevölkerungsgruppen einschließen, sollten in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ergriffen werden.

Das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) drückt seine vollständige Solidarität, sein Mitgefühl und Beleid all denjenigen gegenüber aus, die Opfer des Anschlags vom Samstag wurden, die Verwandte, FreundInnen und GenossInnen verloren haben. Der beste Weg, die Toten zu ehren, ist es den Kampf gegen das diktatorische Regime von Erdogan, gegen das kapitalistische System und die hinter diesem stehenden imperialistischen Mächte und für eine sozialistisch-demokratische Welt fortzusetzen. Lasst uns sicher stellen, dass dieser Streik erst der Anfang des Aufbaus einer massenhaften und vereinigten Arbeiter- und Jugendbewegung ist, die dieses zynische und mörderische Regime auf den Müllhaufen der Geschichte befördern kann.