Die „Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa“

Über eine alte Losung, ihre Aktualität und Perspektiven jenseits von kleinstaatlichen Kuschelkapitalismus-Phantasien.
Jan Rybak

Die EU nennt als ihre Errungenschaften: „ein halbes Jahrhundert Frieden, Stabilität und Wohlstand, ihren Beitrag zur Steigerung des Lebensstandards und die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung.“ (europa.eu) Nun scheint zumindest die Sache mit der gemeinsamen Währung sich nicht als derart große „Errungenschaft“ herauszustellen. Die Krise der EU tritt an den Rändern auf und droht das wichtigste ökonomische Band, die gemeinsame Währung, zu zerreißen. Während manche von der „europäischen Partnerschaft“ enttäuscht sind und andere zum kleinstaatlichen, scheinbar harmonischen Kapitalismus der 70er zurück wollen, schlagen Sozialisten und Sozialistinnen ein völlig anderes Konzept einer echten europäischen Einigung vor: Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Während des 1. Weltkriegs, als nationalistische Hetze Europa und die ArbeiterInnenbewegung gespalten hatte, stellten SozialistInnen dem europäischen Krieg die Forderung nach einer Vereinigung Europas entgegen. Während einige sich vorstellen konnten, Frieden, Demokratie und europäische Vereinigung auf kapitalistischer Grundlage schaffen zu können, stellte u.a. Lenin die Frage nach dem ökonomischen Inhalt: „Ist jedoch die Losung der republikanischen Vereinigten Staaten von Europa […] völlig unanfechtbar als politische Losung, so bleibt doch noch die sehr wichtige Frage nach dem ökonomischen Inhalt und Sinn dieser Losung. Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus […] sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.“ (Lenin, Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, 1915). Er betonte, dass unter kapitalistischen Bedingungen, also solange die private Aneignung von Profit im Zentrum des ökonomischen Handelns stehe, eine europäische Einigung im besten Falle eine Einigung über die Aufteilung der Kolonien, der Herrschaftsgebiete und über die gemeinsame Unterdrückung der ArbeiterInnenklasse sein könne.

Eine echte europäische Einigung kann nur auf sozialistischer Grundlage erfolgen. Nach der russischen Revolution nahm die neu gegründete Kommunistische Internationale die Forderung nach der europäischen Einigung auf sozialistischer Grundlage in ihr Programm auf (Stalin strich sie 1928). Die russische Revolution wurde von den Bolschewiki nie als einzelner isolierter Akt betrachtet, sondern als Auftakt für eine europa- und weltweite Revolution, die den Kapitalismus überwinden und eine internationale, demokratische, sozialistische Gesellschaft erreichten sollte. Lenin in einer Rede: „Unsere Rückständigkeit hat uns vorwärtsgetrieben, und wir werden untergehen, wenn wir uns nicht so lange zu behaupten verstehen, bis wir eine mächtige Unterstützung durch die aufständischen Arbeiter der anderen Länder erhalten.“ (Lenin, Rede im Moskauer Sowjet, 1918)

Was hat das alles mit heute zu tun? Die ArbeiterInnen und Jugendlichen Europas, insbesondere an den Rändern, sind heute den fürchterlichsten Angriffen seit Jahrzehnten ausgesetzt. Manche „Linke“ wünschen platt den Austritt aus dem Euro und die Rückkehr zum kleinstaatlich organisierten, scheinbar besseren, Kapitalismus. SozialistInnen sehen das Problem im ökonomischen System Kapitalismus und arbeiten auf dessen Sturz hin. Das würde u.a. bedeuten: keine Rückzahlung der Schulden, Verstaatlichung der Banken und der wichtigsten Wirtschaftssektoren unter demokratischer Kontrolle durch Bevölkerung und Beschäftigte, demokratische Planung der Wirtschaft nach gesellschaftlichen Bedürfnissen, etc.

Dass sich die griechische ArbeiterInnenklasse, wenn sie diesen Weg beschreiten sollte, brutalen Angriffen von Seiten des Kapitals im In- und Ausland, der EU und vielleicht sogar der Armee ausgesetzt sähe, liegt auf der Hand. Alleine könnte ein revolutionäres, sozialistisches Griechenland schlicht nicht überleben. Aktive Solidarität der ArbeiterInnen und Jugendlichen Europas für Griechenland wäre notwendig. Diese Form der Solidarität muss letztlich revolutionär auf das eigene Land bezogen sein. Ein sozialistisches Griechenland, neben einem sozialistischen Spanien, Portugal, Italien, Irland, etc. könnte die Grundlage für eine völlige Neuordnung Europas darstellen. Eine sozialistische Vereinigung wäre nicht nur die einzige Möglichkeit, revolutionäre Veränderungen in den einzelnen Ländern abzusichern, sondern darüber hinaus ein Startpunkt, um auf internationaler Ebene das kapitalistische System der Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden.

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