Der Krieg wird zum Härtetest für die Herrschenden in Österreich

Sonja Grusch

Neben der oberflächlichen Propaganda angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Stimmen unter den Reichen und Mächtigen vielschichtiger. Je nach wirtschaftlichen Interessen ist die Tonlage unterschiedlich. Mit Solidarität mit den Menschen in der Ukraine hat das allerdings nichts zu tun. Insofern unterscheiden sich Regierung und FPÖ auch nicht wirklich.

„Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ (der deutsche Sozialist Karl Liebknecht 1914, während des 1. Weltkriegs)

Artikel: Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Sanktionen sind die wirtschaftliche Seite dieser Kriegsführung, an der sich auch das „neutrale“ Österreich beteiligt. Vordergründig geht es darum, die imperialistischen Ansprüche Russlands zurückzudrängen. Im Hintergrund geht es auch darum, den chinesischen Expansionsbestrebungen die Rute ins Fenster zu stellen. Die USA wollen europäische Staaten wieder stärker an sich bzw. die NATO binden, die europäischen Kapitalist*innen wollen Eigenständigkeit zeigen und sind doch in tiefen Abhängigkeiten gebunden. Das trifft besonders auf das österreichische Kapital zu, das in hohem Maß vom Außenhandel abhängig ist.

Die Herrschenden stehen getrennt auf Seite der Reichen

Deutschland ist bei weitem der wichtigste Handelspartner, doch bei den Einfuhren steht China an zweiter und Russland an zehnter Stelle, der Wert der Einfuhren aus den USA ist nur halb so groß wie jener Chinas und liegt nur knapp über Russland. Rohstoffe (Öl & Gas) und Halbfertigteile aus Russland und China sind notwendige Grundlage für die Produktion der Exportgüter. Nordamerika vereint 8,4% aller Exporte auf sich – aber Asien (also v.a. China) hat mit 8,8% überholt. Das alles macht die Sache für das österreichische Kapital kompliziert.

Das meint der Präsident der Bundeswirtschaftskammer Mahrer (ÖVP) wenn er sagt, dass die Sanktionen „nur mit einer Gehirnhälfte“ gedacht sind. Stets versuchten die Regierungen des kleinen Österreich zwischen den Mächten zu lavieren, um so die besten Deals für heimische Firmen herauszuholen und die eigene Position (v.a. am Balkan und in Osteuropa) auszubauen. Konfrontation mit Russland bedeutet massive Probleme mit Gaslieferungen (aktuell 87 % aus Russland), dramatische Energiepreise und teurere Produktion. Rund 2/3 aller Exporte sind Industriegüter bzw. energieintensive Rohstoffe wie Stahl. Es gibt also keine Autarkie, die heimische Wirtschaft braucht die Handelspartner. Daher stimmt die Regierung als verlängerter Arm dieser Interessen für EU-Sanktionen und importiert gleichzeitig weiter fleißig Gas aus Russland. Darum werden die Stimmen auch aus der ÖVP gegen Sanktionen immer lauter.

Persönliche Korruption und Freunderlwirtschaft sind hier nur ein Aspekt. Die Mitgliedsliste der Österreichisch-Russischen-Freundschaftsgesellschaft liest sich wie das Who-is-Who der politischen Spitzen (quer durch alle Parteien). Rund 650 Firmen sind bzw. waren in Russland aktiv. Die Verbindungen insbesondere der ÖVP zu den wichtigsten wie Raiffeisen, OMV aber auch Gazprom & Co. sind legendär. Auch SPÖler*innen mischen mit. Ganz zu schweigen von der FPÖ und ihrem Freundschaftsvertrag mit Putins Partei. Doch neben den finanziellen Vorteilen für Privatpersonen und Parteien geht es darum, dem österreichischen Kapital in der Ferne den Weg zu ebnen. Insofern geht es dann nicht nur um die Verbindungen zu Russland, sondern auch zu ganz vielen anderen Regimen. Die aktuellen politischen Konflikte spiegeln die unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen wider – das selbe gilt auch in der EU, in der die Konflikte über den Kurs ebenfalls zunehmen. Welcher Teil des Kapitals braucht stärker welche Verbindungen? Die Ideologie wird passend dazu zurechtgebogen, steht aber nicht an erster Stelle. Sie alle sind letztlich Diener*innen der selben Herr*innen: des Kapitals, das aber unterschiedliche National- oder sogar Clubfarben trägt.

Hohe Energiepreise haben nichts mit Solidarität zu tun 

Mit unterschwelligem Vorwurf titelte “Der Standard” bereits im Mai „Niedrige Preise sind Österreichern wichtiger als Solidarität mit der Ukraine“. Die Botschaft: Wer nicht bereit ist, die hohen Preise kritiklos hinzunehmen, ist unsolidarisch mit den Opfern des Krieges in der Ukraine. Hässliche Bilder sind diesmal explizit erlaubt, um diese Opferbereitschaft einzufordern.

Ende August, mit dem weiteren Ansteigen der Preise waren nur mehr 46 % für die Sanktionen, 40 % dagegen. Insbesondere die FPÖ versucht davon zu profitieren. Denn in ihr ist das populistische Element am stärksten, das staatstragende am schwächsten. Selbstverständlich ist es NICHT unsolidarisch, sich über hohe Energiepreise zu beschweren und dagegen zu protestieren. Die hohe Inflation macht die Reichen in Russland, der Ukraine und Österreich gleichermaßen reicher und schadet der Arbeiter*innenklasse überall, nur die Energiekonzerne auf allen Seiten profitieren. Wenn die Herrschenden hier „Solidarität“ einfordern, dann meinen sie, dass die Arbeiter*innen (überall) für ihre Profite zahlen sollen.

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Der deutsche Sozialist Karl Liebknecht hat 1915 während des 1. Weltkriegs gesagt “Der Hauptfeind steht im eigenen Land”. Gemeint hat er, dass der 1. Weltkrieg ein Krieg um die Interessen der verschiedenen imperialistischen Staaten bzw. ihrer herrschenden Klassen ist, bezahlt mit dem Blut der internationalen Arbeiter*innenklasse. Seine Aussage richtete sich auch gegen jene des deutschen Kaisers Wilhelm, der in tödlicher Umarmung in Richtung Sozialdemokratie sagte: “Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche". Auch im aktuellen Krieg geht es um imperialistische Interessen, jene Russlands, jene der USA, jene der verschiedenen europäischen Staaten und etwas weniger deutlich jene Chinas, und sogar jene der ukrainischen Oligarchie. Demokratie, Menschenrechte, Antifaschismus werden vorgeschoben, sind aber den Herrschenden auf allen Seiten in ihrer täglichen Praxis völlig egal. Die Kosten des Krieges sollen die Arbeiter*innen zahlen, durch höhere Preise, Aushebelung des Arbeitsrechtes und mit ihrem Leben. Auch Selenski & Co. wollen die Kosten des Krieges auf die Arbeiter*innen abladen, die Oligarch*innen kommen ungeschoren davon. Unter Ausnutzung des Krieges haben sie eine Reform des Arbeitsrechts durchgedrückt, die Beschäftigte bei Arbeitszeit, Arbeitsverträgen, Bezahlung, Urlaub etc. weitgehend rechtlos stellt. Die Reichen und Mächtigen auf allen Seiten aber bleiben an der Macht, wenn es keinen organisierten Widerstand der Arbeiter*innenbewegung gibt. Fehlt dieser, können rechte Hetzer das Vakuum füllen. Bei den 70.000, die Anfang September in Prag gegen die Teuerung und die Sanktionen demonstriert haben, waren wohl die wenigsten organisierte Rechte. Aber die Führung der Demonstration kam aus dem extrem rechten Lager. Das konnte passieren, weil die Arbeiter*innenbewegung in einem nationalen Schulterschluss erstarrt ist, anstatt gegen die Angriffe zu kämpfen. Ähnliches kann auch in Österreich drohen, wo die FPÖ die Themen Sanktionen und Teuerung verknüpft. Doch ihre Antwort ist nicht die Verstaatlichung der Energiekonzerne und die Besteuerung der Superreichen, sondern nur eine hohle “Neutralität”. Das zeigt, dass sie nicht für die Arbeiter*innen, sondern nur für einen anderen Teil des Kapitals steht, als die aktuell (noch) vorherrschende Position der Reichen und Mächtigen hierzulande. Sie kann ein Vakuum füllen, das die schwache Arbeiter*innenbewegung lässt, aber sie füllt es mit nationalistischen und kapitalismusfreundlichen Schein-Lösungen. Der beste Widerstand gegen Krieg, Teuerung und die extreme Rechte ist eine organisierte Arbeiter*innenbewegung, die die Ursachen all dieser Probleme nicht nur aufzeigt, sondern auch bekämpft.

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