Der 1. Mai in der Türkei

Ein weiterer Aufschwung der ArbeiterInnenbewegung und massive Polizeiübergriffe in Istanbul prägten den 1.Mai
CWI-Türkei

Hunderttausende gingen am 1.Mai auf die Strasse. In Istanbul gab es massive Angriffe von Polizei und Regierung. Die türkische Linke debattiert über die Folgen des 1.Mai. Weitere Angriffe stehen bevor. Die kurdische Bewegung kämpft auch in der Phase des “Friedensprozesses” für die Rechte der KurdInnen. Mitten in diesem politischen Prozess, ist das CWI erstmals als eigen Gruppe in der Türkei aufgetreten.

Auch heuer stand der 1.Mai ganz im Zeichen des Aufschwungs der ArbeiterInnenbewegung. In Ankara folgten Zehntausende dem Aufruf der Gewerkschaften KESK (Öffentlicher Dienst), DISK und Türk-IS, verschieden linken Parteien und Gruppen. Auffallend waren die vielen jungen Menschen und die sehr kämpferische Stimmung. Neben verschiedenen linken Gruppen, hatte vor allem die kurdische BDP einen sehr großen und lautstarken Block. Zehntausende demonstrierten auch in Mersin, Antaliya, Ismir Adana, und im kurdischen Diyarbakir. In den letzten Jahren gab es kleinere Streiks und Aktionen. Obwohl größere Streiks (noch nicht) auf der Tagesordnung stehen, ist deutlich spürbar wie die ArbeiterInnenbewegung in der Türkei immer mehr an Boden gewinnt. Immer mehr, vorallem junge, Menschen gehen auf die Strasse und werden aktiv. Typisch dafür ist auch, dass sich die türkische Regierung gezwungen sah, den 1.Mai zum arbeitsfreien Staatsvertrag zu erklären.

Kämpfe um den Taksimplatz...

Überall verlief der 1. Mai friedlich - nur in Istanbul kam es rund um den Taksimplatz zu schweren Auseinandersetzungen. 2010 schaffte es die Linke seit langem erstmals wieder, auf dem historischen Taksimplatz zu feiern. 1977 wurde der 1. Mai von faschistischen Scharfschützen von den umliegenden Dächern angegriffen. 34 Menschen starben. Die Angriffe lösten eine Welle der Repression und der faschistischen Angriffe gegen die türkische Linke aus. Der Maiaufmarsch wurde verboten. Mit dem Militärputsch 1980 wurde die ArbeiterInnenbewegung endgültig illegalisiert und verfolgt. Auch nach dem Ende der Militärdiktaur war der Taksimplatz Jahre lang gesperrt. Noch 2009 gab es schwere Polizeiübergriffe gegen DemonstrantInnnen die versuchten, auf den Taksimplatz zu gelangen. 2010 und 2011 kamen Hunderttausende. Mit einem Meer an roten Fahnen und unzähligen Transparenten wurde der 1. Mai am Taksimplatz zu einem wichtigen Symbol für den Wienderaufschwung der ArbeiterInnenbewegung. Ein Symbol das, so denken zu Recht viele ArbeiterInnen, zerstört werden soll.

Im Vorfeld hies es von der Regierung, dass der Platz wegen Bauarbeiten nicht betreten werden könne. Tatsächlich gibt es nur bei einem kleinen Teil des Taksimplatzes eine Baustelle. Ein großer Teil des Platzes hätte problemlos genutzt werden können. Die OrganisatorInnen versuchten mit verschiedenen Vorschlägen und Verhandlungen mit den Behörden noch eine Genehmigung zu bekommen.

Selbst der Bezirksvorsteher des betroffen Stadtteils meinte noch am 29. April, die Baustelle problemlos absichern zu können. Als strammer CHP (alte kemalistische Staatspartei) Vertreter ist er sicher kein Freund der Linken. Schließlich wurde die Maifeiern am Taksimplatz endgültig vom zuständigen Governour verboten. Ganz offensichtlich ging es der Regieurng darum, die ArbeiterInnenbewegung einzuschüchterun und zu provozieren. Ein alter Arbeıter meinte wütend: "Der 1. Mai wurde wieder in Polizeigas getränkt. Wır können nicht feiern. Angeblich gibt es Baurbeiten. Würden Sie (die AKP –Regierung) auch die Pilgerfahrt nach Mekka verbieten, wenn dort Bauarbeiten wären?" Dieses Zitat bringt die Wut und die hohe emotionale Verbindung vieler linker ArbeiterInnen mit dem Taksimplatz auf den Punkt.

Heftige Angriffe der Polizei...

Wenn die Regierung glaubte, mit dem Verbot die Linke schlecht machen zu können, hat sie sich getäuscht. Denn viele Menschen in der Türkei verstehen nicht, warum etwas, das noch 2012 problemlos funktionierte, heuer zu grossen Polizeieskalation führt. Was am 1. Mai passierte, verstärkt den Eindruck des gezielen Angriffs auf die ArbeiterInnenbewegung. Mit Mitteln des Ausnahmezustandes wurde Istanbul auf die Auseinandersetzungen vorbereitet. 30.000 PolizistInnen wurden nach Istanbul verlegt. Zum Ärger vieler AutofahrerInnen wurde die Brücke über das Goldene Horn hochgezogen. Das letzte Mal geschah das am 12.9.1980, dem Tag des Militärputsches! Viele Menschen konnten nicht in den europäischen Stadteil, die Regierung hoffte so, viele DemonstrantInnen vom Taksimplatz abzuhalten. Um den Taksimplaz wurde großräumig abgesperrt. Personengruppen wurden wahllos eingekesselt und Tränengasgranaten in die Polizeikesseln geschossen. Jeder Marsch der sich dem Taksimplatz näherte, wurde ohne Vorwarrnung mit Tänengas und Wasserwerfern beschossen. Viele Menschen wurden verletzt, sechs mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Laut Polizeiangaben wurden 73 verhaftet. Wieviele davon noch in Haft sind ist unklar, laut türkischen Menschrechtsorganisationen wurden bis jetzt sechs entlassen.

Was viele Menschen besonders erzürnt ist die Tatsache, daß viele Polizisten die Tränengasgranaten nicht in die Luft schossen, sondern direckt auf Menschen zielten. So wurde einige Nebenstrassen vom Taksimplatz entfernt eine 17jährige Schülerin am Kopf getroffen und lebensgefährlich verletzt. Ihr Bild und ihre Geschichte ist auch zwei Tage nach dem 1. Mai in aller Munde. Hunderttausende bangen um ihre Gesundheit. Der Governeur von Istanbul versuchte die lebensgefährliche Polizeigewalt zu legitimieren in dem er Dilan als “Ein richtig radikales Mitglied einer millitanten Gruppe” bezeichnete.

Dilan ist eine junge linke Aktivistin die für ein besseres Leben auf die Strasse geht. Dilan ging mit ihrem Vater zum Maiaufmarsch. Dieser kämpft als entlassener Textilarbeiter für sein Recht. Auch der ehemalige Arbeitsplatz des Vaters hat hohen Symbolwert. Als Arbeiter erzeugte er dort unter schwierigsten Bedingungen, Kleider und Schuhe für bekannte wesentliche Marken wie Adidas. Gleichtzeitig ist der Fabriksbesitzer eine hoher Funktionär der türkischen Wirtschaftskammer. Nach einem Lohnkampf vor einenhalb Jahren, führen ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen eine Dauerkundgebung vor dem Werkstor ihrer Fabrik durch. Auch am 1. Mai wollten die ArbeiterInnen auf ihre Situation aufmerksam machen. Die Tochter wollte ihn dabei unterstützen und muss nun einen sehr hohen gesundheitlichen Preis dafür zahlen.

Erster öffentlicher Auftritt einer türkischen CWI-Gruppe

Mit der neugeründeten Gruppe “Sosyalist Alternatif” war das CWI erstmals als eigene Gruppe am 1. Mai in Ankara vertreten. Am Anfang der Kundgebung breiteten wir unser Material auf einer CWI-Fahne aus. Mit einem sehr erfolgreichen Zeitungsverkauf und einer Veranstaltung zur internationalen Arbeit des CWI, stellten wir uns vielen Menschen als neue Gruppe in der Türkei vor. Bei der anschliessenden Veranstaltung wurde auch lange über die Vorkomnisse am 1. Mai gesprochen. Als positiv schätzten wir ein, dass soviele Menschen zu den Aufmärschen am 1. Mai gekommen waren. Klar war auch, dass die Regierung versucht, den Taksimplatz als neue Touristen- und Einkaufsmetropole zu etablieren. Die Maifeiern sollen von dort verbannt werden um die Verbindungen zur Geschichte der ArbeiterInnenbewegung abzuschneiden. Als besonders fatal betrachten viele Linke, dass die türkische TKP mit einer eigenen Maifeiern im asiatischen Istanbulerstadtteil Kadıköy dieser Strategie entgegenkam. Für diese Aktion wurde sie auch von Regierungsvertretern gelobt. Traurig war auch, dass der Gewerschaftsverband DISK aus Angst vor Auseiandersetzungen noch am 1. Mai in der Früh seine Beteilgung an den Aufmärschen in Istanbul absagte. Und damit vieler seiner Mitglieder im Stich lies.

ArbeiterInnenbewegung muss sich auf weitere Angriffe vorbereiten...

Die Veranstaltungen lief in einer solidarischen und lebhaften Atmosphäre ab. Laufend gab es neue Berichte vom Taksim. Angesichts der Polizeirepression und die Eskalation durch die Regierung verlangt das CWI in der Türkei eine umfassende Aufklärung der Vorkommnisse durch eine unabhängige Untersuchungskommision die von GewerkschafterInnen und VeranstalterInnen von 1. Mai-Aufmärschen aus der ArbeiterInnenbewegung gebildet wird. Niemand darf für die Beteilgung an Aufmärschen und Protestaktionen zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, bestraft werden!

Noch immer sind viele Menschen in Haft. Sie müssen sofort freigelassen werden. Alle Untersuchen und Polizeistrafverfahren müssen sofort eingestellt werden. Die Regierung muss alle Verletzten entschädigen. In vielen türkischen Städten gibt es Proteste gegen die Polizeigewalt. Diese müssen verstärkt und ausgeweitet werden. Die Gewerschaften hätten die Aufgabe, die Proteste zusammen zu führen und mit Streiks ab dem 2. Mai diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Klar ist: Die Polizeiübergriffe waren eine Art Generalprobe für zukünftige Angriffe gegen die ArbeiterInnenbewegung. Offensichtlich hat die Regierung weitere Pläne in der Schublade.

Umso wichtiger ist es, dass die ArbeiterInnebwegung in die Offensivie geht. Ein Kampf gegen die immer schlimmer werdende Leiharbeit könnte hier ein wichtiger Schritt sein. Die Polizeiangriffe sind auch eine Warnung an die kurdische Bewegung! Wenn demokratische Rechte erkämpft werden sollen, müssen diese mit Leben erfüllt werden. Das CWI erneuert daher seinen Vorschlag an KESK, DISK, die kurdische BDB und andere linke Gruppen, eine große Konferenz zu organsisieren. Auf dieser Konferenz sollte ein Programm und ein Aktionsplan für die Rechte der KurdInnen und ausgearbeitet werden. Verbunden müsste dieser Kampf mit dem Kampf für gewerkschaftliche und ArbeiterInnenrechte für alle ArbeiterInnen – egal ob türkisch oder kurdisch - werden.

Der 1. Mai in der Türkei war vom Aufschwung der Linken und von Polizeirepression geprägt. Der ArbeiterInnenbewegung in der Türkei stehen stürmische Zeiten bevor. Auch wenn die Kräfte des CWI in der Türkei erst am Anfang stehen: wir werden aktiv in die kommenden Kämpfe eingreifen.