Der Öffentliche Dienst, die Gesellschaft und der kapitalistische Staat

„Faule Beamte“, „Privilegienritter“, „Betonierer“ - Das Beamten-Bashing lässt kein Klischee aus.
Helga Schröder und Franz Neuhold

Der Öffentliche Dienst (ÖD) bildet eines der Hauptangriffsziele von Regierung und Kapital. Es geht angeblich um „Verschlankung“, „Bürokratieabbau“, „Effizienzsteigerung“. Tatsächlich geht es um Kürzungen im Sozial- und Bildungswesen und weitere Privatisierungen.

Der „Beamte“ ist ein selten richtig verwendeter Kampfbegriff. Fälschlicherweise wird damit meist der gesamte ÖD bezeichnet. Doch es gibt mittlerweile mehr Vertragsbedienstete als BeamtInnen. Vertragsbedienstete sind sozialrechtlich ähnlich Angestellten und das Dienstrecht der Beamten ist längst nach unten an das der Vertragsbediensteten angeglichen. Auch ist der ÖD ist in vielen Bereichen Vorreiter bei der Prekarisierung von Jobs. Das zeigt sich z.B. bei Kettenverträgen bei LehrerInnen oder der Umgehung eines Angestelltenverhältnisses z.B. bei AbfallberaterInnen oder in den Bundesmuseen. Privilegien gibt es wie in der Privatwirtschaft nur für eine kleine Schicht an der Spitze. Im ÖD sind großteils Menschen beschäftigt, die nicht dem Kernbereich des Staates (dem Repressionsapparat) angehören, sondern wichtige öffentliche Dienstleistungen erbringen. Sie arbeiten im Bildungsbereich, Gesundheitswesen, öffentlichen Verkehr oder im Sozialbereich. Sie alle sind lohnabhängig und betroffen von Sparmaßnahmen, Stellenabbau, Arbeitsdruck und Lohnkürzungen, Privatisierung.

Es geht um alle jene Bereiche, die nicht zum „Kern“ des ÖD gehören. Die revolutionäre Situation nach 1918 und besonders der Nachkriegsaufschwung und die spezielle Lage Österreichs im Kalten Krieg ermöglichte bzw. erforderte aus Sicht des Kapitalismus für einige Jahrzehnte ein Arrangement, das durch vergleichsweise hohe soziale Standards gekennzeichnet war. Der ÖD übernahm im Sozialstaat viele Aufgaben, die vorher nicht – oder in geringerem Umfang – vom Privatsektor geleistet wurden. Auch die „alten“ Verstaatlichten (VOEST, E-Wirtschaft etc.) wurden nicht im Interesse der österreichischen ArbeiterInnenklasse nationalisiert. Das Kapital war nach dem Krieg schlicht derart geschwächt, dass es nicht selbst übernehmen konnte. Zudem war die staatliche VOEST vor allem ein günstiger Zulieferer für die Privatwirtschaft. Hochqualitativer Stahl wurde weit unter Weltmarktpreisen an Unternehmen verkauft, um deren Profit zu steigern. All das bedeutet nicht, dass die ArbeiterInnenklasse kein vitales Interesse am Bestand dieser Verstaatlichten hat(te). Das lag aber vor allem an den besseren Arbeitsbedingungen und sicheren Arbeitsplätzen in den Betrieben.

Die Ursache für den Abbau im ÖD stellt die strukturelle Krise des Kapitalismus dar. In der Schwerindustrie und im Pensions-, Gesundheits- und Bildungswesen kann überschüssiges Kapital gewinnbringend angelegt werden. Daher gab und gibt es Ausgliederungen und Privatisierungen.

Gleichzeitig kommt es mittels Sparpaketen zu einer generellen Umverteilung von unten nach oben. Der Staat „muss“ bei den Ausgaben sparen, um dem Privatsektor unter die Armee greifen zu können. Als Vorwand für solche staatlichen Angriffe auf den ÖD wird gern die Lüge bedient, er arbeite ineffizienter als „die Privatwirtschaft“. Doch die Öffnung für privates Kapital bringt im Regelfall Leistungsverschlechterungen für KundInnen und schlechtere Arbeitsbedingungen für die (ex-)BeamtInnen.

Ein Merkmal des BeamtInnen-Standes ist die Definitivstellung (Pragmatisierung). Für diese Garantie verlangt der Staat jedoch volle Loyalität. Wer beamtet ist, unterliegt einem eigenen Dienstrecht einschließlich Disziplinarregelungen – z.B. gab es speziell im ÖD ein Streikverbot. Pragmatisierung bedeutet aber auch Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und Schutz vor der Willkür von Vorgesetzten. In diesem Sinne sind wir nicht für eine Aufweichung, sondern einen Ausbau des Kündigungsschutzes für alle Beschäftigten. Dies darf jedoch kein Freifahrtschein für korrupte BeamtInnen oder sadistische LehrerInnen sein, da die Kontrolle nicht den Vorgesetzten, sondern den MitarbeiterInnen und KundInnen unterliegen muss.

Die massiven Veränderungen im ÖD betreffen neben der Post z.B. die Universitäten, alle Bundesmuseen, das AMS und die Statistik Austria. Bei den Überresten der Post arbeiten über 17.000 Menschen. Weitere knapp 9.000 sind es in anderen Firmen und Dienststellen. Die dort Beschäftigten haben nichts mehr mit dem per Dekret auf Lebenszeit ernannten kaiserlichen Hofbeamten zu tun, der jederzeit bereit war, dem Staat treu in den Tod zu folgen. Im Gegenteil kann jeder mitverfolgen, wie seit langem die Rayons (die von den Postlern zu betreuenden Bereiche) immer größer und die Taschen immer mehr werden.

Auch die geforderte „Verwaltungsreform“ ist eine Mogelpackung. Unter dem „Privilegien“-Argument werden öffentliche Leistungen im Gesundheits- und Bildungswesen gekürzt oder privatisiert, Arbeitszeit von LehrerInnen erhöht, ÄrztInnen und Pflegende ins burn-out getrieben, PostzustellerInnen überwacht und zu sklavenartiger Arbeit gezwungen, Bahnbedienstete aufs Abstellgleis geschoben, etc. Die Leistungen werden dann von Privaten mit Riesenprofiten für die Unternehmen und miesen Löhnen und Arbeitsbedingungen für die Arbeitenden erbracht. Oder die Arbeit wird z.B. durch Kürzungen im Pflegebereich dann überhaupt unentgeltlich von Frauen gemacht. Im administrativen Bereich gibt es längst Aufnahmestopp, befristete Verträge und prekäre Beschäftigung. Das führt zu öffentlichen Aufträgen für private Beratungsunternehmen und Korruption. Denn es geht eben nicht darum, die überbezahlten Spitzen zu kürzen, sondern die Leistungen, die wir alle brauchen. Wie in der Privatwirtschaft bedeuten Strukturreformen stets, dass das Management teurer wird, die normalen Beschäftigten aber noch mehr arbeiten müssen.

Die Angriffe auf den Öffentlichen Dienst haben ein Ziel: Sozialabbau, der uns alle trifft.

In der Propaganda wird der Umstand ausgenutzt, dass wir alle früher oder später schlechte Erfahrungen mit der Verwaltung und ihrer Bürokratie machen. Behördenwillkür Einzelner gibt es natürlich; diese muss bekämpft werden. Doch an den strukturellen Problemen sind nicht die einfachen Beschäftigten schuld.

Denn der ÖD ist für die absolut überwiegende Anzahl der Beschäftigte alles andere als ein Paradies: befristete Verträge, prekäre Verhältnisse und Aufnahmestopp. Davon sind Leute in politisch besetzten hohen Positionen (auch wenn sie Vertragsbedienstete sind), ihre FreundInnen und AuftragnehmerInnen in Unternehmen und Führungskräfte des Repressionsapparates allerdings nicht betroffen. Privilegiert sind KarrieristInnen in hohen staatlichen Funktionen, unabhängig davon, ob beamtet oder nicht, und UnternehmerInnen, die von deren Aufträgen profitieren. Sie gehören unmittelbar der herrschenden Klasse an und sind Teil des korrupten Systems.

Um 1900 war das Verhältnis zwischen ArbeiterInnen und BeamtInnen durch einen strikten Interessengegensatz gekennzeichnet. Heute ist in vielen Fällen der ÖD ein dynamischer Teil von Protesten und Streiks. International tobt ein bedeutender Teil der Klassenkämpfe der letzten Jahrzehnte im ÖD. In ganz Südeuropa, insbesondere in Griechenland ist der ÖD eines der Hauptangriffsziele im Zuge der tiefen Krise. So ist es nicht verwunderlich, dass in den Massenprotesten diese Beschäftigten eine enorm kämpferische Rolle spielen.

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