Comebackpläne der Regierung: Alles beim Neuen

Sonja Grusch

US-Präsident Biden hat den “US-Jobs-Plan”, die EU möchte einen “New Green Deal” und Österreich hat den “Comeback-Plan”. Dieser wurde am Dienstag den 20. April vom „Comebackteam“, bestehend aus Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Arbeitsminister Kocher (auf einem ÖVP-Ticket) der Öffentlichkeit vorgestellt. Zusammenfassend kann gesagt werden: eher bescheiden im Umfang, keine großen Würfe, wenig kreativ und ein Hauch Populismus in Richtung Mittelschichten. Auch fließt weiterhin der Großteil der Gelder in die Taschen privater Konzerne. Ein Aspekt der schon bei einer oberflächlichen Betrachtung ins Auge springt, ist, dass der Gesundheits- und Sozialbereich fast komplett leer ausgeht. 

Bescheidener Umfang

Während in den USA historisch hohe Beträge von Biden, aber auch schon vorher von Trump, zur Belebung der Wirtschaft eingesetzt wurden und werden ist das aktuelle österreichische Paket mit rund 4 Milliarden Euro recht klein. Zum Vergleich: im Budget 2021 wird mit knapp 100 Milliarden an Ausgaben (und rund 70 Milliarden an Einnahmen) kalkuliert, das Defizit wird heuer mit rund 30 Milliarden einen Rekordwert erreichen. Aber: mit dem “Schutzschirm” im Umfang von rund 50 Milliarden über mehrere Jahre hat die Regierung angesichts der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise durchaus größere Beträge locker gemacht. Bei den Comebackplänen hofft die Regierung auf weitgehende Finanzierung durch die EU, wieviel davon tatsächlich neue Maßnahmen sind, wieviel nur aufgewärmtes schon geplantes/budgetiertes ist, ist aktuell noch unklar.

Was ist geplant?

2020 wurden ca. 8,5 Mrd. Euro für den Krisenbewältigungsfonds ausgegeben, 5,5 Mrd. Euro für Kurzarbeit und 5,6 Mrd. Euro für Steuersenkungen bzw. Zahlungserleichterungen. Die jetzt bekannt gegebenen Pläne lassen sich im Wesentlichen in 2 Kategorien einteilen (mit Überschneidungen): 

  1. Mittel zur Modernisierung die das Ziel haben, der heimischen Wirtschaft im Internationalen Wettbewerb zu helfen: dazu gehören 107 Millionen für die Quantenforschung, 100 Millionen für Forschung im Bereich Wasserstoff sowie 172 Millionen für die Digitalisierung der Schulen. Auch die geplanten 890 Millionen für den Breitbandausbau gehören in diese Kategorie. Hier geht es nicht primär die Jobs, die durch die Ausbauarbeiten geschaffen werden, und auch nicht darum, dass wir alle besseres Netz zum Streamen haben, sondern dass ein besseres Netz allgemein notwendig für die Wirtschaft ist (unter anderem auch wegen dem durch Homeoffice explodierten Datenvolumen). 
  2. “Klassische” Infrastrukturmaßnahmen, viele mit einem grünen Mascherl, mit denen staatliche Nachfrage für u.a. den Bausektor erzeugt wird. Hierzu gehören u.a. 50 Millionen für “klimafitte Ortskerne”, 100 Millionen für den Austausch von Öl- und Gasheizungen, 35 Millionen für die kommunale Gebäude-Sanierung, 35 Millionen für die Gebäudesanierung im Kulturbereich und va die 850 Millionen für Mobilität (davon über 500 Millionen für die Bahn). 

Der große Posten “Investitionsprämie”, die neuerlich erhöht wurde, darf v.a. als Showeinlage gewertet werden: damit werden wohl v.a. Investitionen gefördert, die ohnehin stattgefunden hätten. Zusätzliche Investitionen werden so kaum stimuliert werden, diese scheitern ja schon bisher weniger am Geld (bei den historisch niedrigen Zinsen war Investieren nie so günstig!) sondern an den Perspektiven für ihre Rentabilität!

Grünes Mascherl

Einige der Maßnahmen dienen dazu, die österreichischen Kapitalist*innen finanziell dabei zu unterstützen, Umweltauflagen zu erfüllen. So gibt es von der EU neue Auflagen bezüglich Müllvermeidung, die nun mit dem 300 Millionen Kreislaufwirtschaftspaket staatlich gefördert werden. Ähnliches gilt für die 100 Millionen für De-Karbonisierung und die 50 Millionen für Biodiversitäts. Und wohl auch die 50 Millionen gegen Energiearmut werden, zumindest über Umwege, zur ökologischen Modernisierung der heimischen Unternehmen eingesetzt werden. Bei diesen Maßnahmen sei zu bedenken, dass hier staatliches Geld an private Unternehmen geht um Gesetze zu erfüllen - und zwar völlig unabhängig davon, wie groß die Gewinne der letzten Jahre waren, wie hoch die Rücklagen sind und natürlich unabhängig davon, wie die Arbeitsbedingungen sind.

Tatsächlich hat die Regierung hier das beste (oder aus unsererer Sicht eher das Schlechteste) aus beiden, der grünen sowie der türkis-schwarzen, Welt zusammengebracht: Geld für die Unternehmen und ein bisschen Grüne Symbolik das v.a. der eigenen Klientel (ländliche Bevölkerung, Kleinbürgertum) gefällt. Die nötigen wirklichen ökologischen Meilensteine fehlen gänzlich.

Neue Jobs?

Neben Wirtschaft und Verkehr war Symbolträchtig auch der neue Arbeitsminister teil der Präsentation. Tatsächlich sind auch 277 Millionen für Arbeitsmarktmaßnahmen vorgesehen (im Vergleich zu anderen Posten allerdings “überschaubar”). Geplant ist, in einem Jahr rund eine halbe Million in Beschäftigung zu bringen - aktuell sind ca. 440.000 Arbeitslos gemeldet und knapp 500.000 in Kurzarbeit. Von letzteren werden noch viele im Zuge einer kommenden Pleitewelle der rund 50.000 Zombifirmen ihren Job verlieren. Unter den Arbeitslosen auch fast 150.000 Langzeitarbeitslose, von ihnen will Kocher ein Drittel bis Ende 2022 “in Beschäftigung” bringen. Was hier geplant ist, ist noch weitgehend unbekannt. Angedacht sind Eingliederungshilfen, Lohnsubventionen (Firmen bekommen einen Teil des Lohns/Gehalts subventioniert wenn sie jemanden Anstellen bzw. reduzierte Sozialversicherungsbeiträge) sowie neue Stellen von der öffentlichen Hand und dem Gemeinnützigen Sektor. Durchaus möglich, dass hier alte/neue Modelle kommen, die im Bereich NGOs, Gemeinnützige und Kultur einige Jobs schaffen. Völlig offen ist allerdings noch, ob solche Maßnahmen mit gleichzeitigen Angriffen auf Arbeitslose - Stichwort: Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen - kombiniert werden. 

Klar ist: staatliche Beschäftigungsprogramme sind nicht geplant, sondern nur Infrastrukturprojekte, die bestenfalls vorübergehend Jobs schaffen. Bei den 100 Millionen für die medizinische Primärversorgung geht es nicht um mehr Personal im Spital, sondern vermutlich darum, v.a. im ländlichen Bereich Löcher zu stopfen die durch Spitalschliessungen entstanden sind. Das die Maßnahmen den erzielten Effekt haben, ist weitgehend ausgeschlossen, im Gegenteil wird hier auf die Heilungskräfte des privaten Marktes vertraut. Dabei wären gerade im Sozial- und Gesundheitsbereich massive Investitionen nötig, um eine ausreichende und menschenwürdige Betreuung und Arbeitsbedingungen zu schaffen, die die Beschäftigten auf Dauer auch schaffen. Das die Regierung hier trotz einer allgemeinen Stimmung für die “Held*innen” und die objektive Notwendigkeit keine Maßnahmen setzt zeigt, dass Blümel & Co. wahrscheinlich an dem Ziel von strukturellen Einsparungen in dem Bereich festhalten wollen und wir jede Verbesserung selbst erkämpfen müssen. 

Wird es funktionieren?

Selbst von bürgerlicher Seite her muss das Paket als wenig kreativ und wohl auch konservativ bewertet werden. Die Debatten unter Ökonom*innen weltweit verabschieden sich immer stärker von  neoliberalen Dogmen, die Regierungsmannschaft va der ÖVP aber hängt diesem Trend hinterher. Im Gegensatz zu hohen Direktzahlungen an Arbeitslose und Familien in den USA, die den Konsum sehr direkt ankurbeln, fehlen solche Maßnahmen weitgehend (abgesehen von kleinen Extra-Zahlungen an Familien und Arbeitslose). Natürlich ist die Ausgangssituation in den USA eine andere (neben der Größe und Dominanz der US-Wirtschaft und dem traditionellen schwachen Sozialstaat gibt es hier auch noch den Wirtschaftskrieg mit China). Und auch wenn solche Einmalzahlungen (Stichwort: “Helicopter-Geld”) zweifellos zu einer vorübergehenden Entlastung gerade bei Menschen mit niedrigem Einkommen führen würden, die Krise kann so nicht gelöst werden. Dass die Gewerkschaft, sonst Fan der Demokraten und von Keynesianischen Ideen, allerdings nicht einmal mit solchen Vorschlägen kommt sagt viel über den katastrophalen Zustand der Gewerkschaft aus, die sich den Bedürfnissen der kapitalistischen Wirtschaft mit Haut und Haar verschrieben hat und selbst nach jahrzehntelanger neoliberaler Propaganda gehirngewaschen scheint. 

Die Regierung hofft mit ihren Maßnahmen, über Infrastrukturprojekte und Unterstützung von Unternehmen Pleiten zu verhindern bzw. die Wirtschaft anzukurbeln. Überhaupt basiert das ganze Konzept auf dem Glauben, das sich “die Wirtschaft in Richtung einer Erholung” entwickelt, wie Finanzminister Blümel erklärt. Die Idee ist also: dem stotternden Motor einen Energieschub verpassen, damit er dann im Sog des Aufschwungs nach vorne  prescht. Nach dem Rekordeinbruch von 2020 (- 8,9% beim BIP), dem größten seit 1945, ist ein Wachstum mathematisch recht leicht zu erreichen, vom Erreichen auch nur eines Vor-Corona-Niveaus bei Beschäftigung, Lohnniveau und Wirtschaftsleistung sind wir aber noch weit entfernt, auch wenn insbesondere in der Industrie die Auslastung gut ist. Und weil die aktuelle Wirtschaftskrise durch Corona ausgelöst und verstärkt wurde, ihre Ursachen aber tiefer und struktureller liegen, wird die Erholung vorübergehend sein (was auch bei einer stärker keynesianischen Schlagseite nicht anders wäre). Die Pläne der Regierung sind also auf kapitalistischem Treibsand gebaut. 

Wer soll das bezahlen?

Bleibt also noch die Frage: wer soll das bezahlen? Die Idee, das eine künftige boomende Wirtschaft durch zusätzliche Steuereinnahmen die Staatskasse so füllen wird, dass die Schulden “schmerzlos” abgebaut werden können, kann getrost ins Reich der Märchen verwiesen werden. Dass Blümel & Co. gerne die neoliberalen Dogmen der letzten Jahrzehnte weiterführen würden und die Arbeiter*innenklasse zur Kasse bitten will, durch Sozialabbau z.B., ist offensichtlich. Allerdings gibt es massiven Unmut innerhalb der Bevölkerung über schon bestehenden Mangel und gerade Kürzungen bei den “Systemerhalter*innen” im Gesundheits- und Sozialbereich werden nicht ohne Widerstand über die Bühne gehen. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass auch ÖVP & Co. versuchen als populistisches Manöver zumindest einen kleinen Teil durch begrenzte Abgaben für Superreiche oder Konzerne reinzuholen.  Selbst bürgerliche Ökonom*innen und Politiker*innen debattieren weltweit darüber, dass auch Multis und Superreiche zur Kasse gebeten werden müssen. Dieser Paradigmenwechsel ist einer neuen Menschlichkeit der Herrschenden geschuldet, sondern dem sehr pragmatischen Verständnis, dass es besser ist, freiwillig ein paar Krümel abzugeben, um die Bäckerei zu behalten. Auch bei dieser Debatte hinkt Österreich hinterher, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht noch kommt. Das Verständnis darüber, dass eben doch manche “gleicher” sind, während andere die Hauptlast tragen, das ist auch im Zuge von Corona gestiegen.

Auf gewerkschaftlicher Seite setzt man in Österreich auf eher klassisch keynesianische Elemente, hofft durch staatliche Investitionen und eine vorübergehende staatliche Beteiligung Firmen und damit Jobs, zu retten. Die Performance des ÖGB zeigt die ideologische Totalkapitulation der Gewerkschaftsführung im Angesicht der tiefsten Krise in seiner Geschichte. Anstatt die staatliche Vollübernahme zu fordern von z.B. Firmen wie MAN, die Umstellung der Produktion sowie die Weiterführung unter Kontrolle und Verwaltung der Belegschaft, würde man sich schon mit stillen staatlichen Beteiligungen zufrieden geben. Also: der Staat zahlt, die Kapitalist*innen schaffen an und profitieren. Der Gewerkschaftsführung fehlt völlig das Verständnis für die Bedürfnisse, aber auch das Selbstverständnis der Arbeiter*innenklasse. Gerade in den “systemrelevanten” Bereichen haben (oft junge, weibliche, migrantische) Kolleg*innen im letzten Jahr erlebt, wie zentral ihre Arbeit ist. Ihre berechtigten Forderungen nach mehr Lohn und mehr Personal führt an der Basis zu Wut und auch Organisierung während die Gewerkschaft das weitgehend verschläft. Auch in der Industrie sehen die Beschäftigten, dass die Auftragsbücher teilweise voll sind, die Firmen aber dennoch kaum auf Corona-Sicherheit achten und die Lohnabschlüsse mager sind. Es ist absurd, wenn bürgerliche Ökonom*innen über die Notwendigkeit höherer Löhne sprechen und die Gewerkschaft z.B. aktuell beim Elektro-KV nicht bereit ist, hier einen ernsthaften Kampf zu führen. 

Die Frage, wer die Kosten der Krise bezahlen wird müssen ist keine im vorhinein fixierte. Die massiven öffentlichen Hilfsgelder nach der Krise 2007/8 und noch stärker aktuell zeigen, dass es keine “natürliche” Obergrenze für Staatsverschuldung gibt. Das Dogma “nachher müssen wir alle den Gürtel enger schnallen” wird heute nicht mehr so einfach durchgehen. Wer was zahlen wird, hängt vom Kräfteverhältnis zwischen “Kapital” und “Arbeit” ab. Als Sozialist*innen ist es unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass das Pendel zugunsten der Arbeiter*innen schwingt.