Aufbruch und soziale Bewegungen

Aufbruch ist der größte Versuch, eine neue linke Formation in Österreich aufzubauen seit Langem. Seit bald einem Jahr treffen sich die Gruppen und es gibt unter den AktivistInnen viele Diskussionen zur politischen Ausrichtung, zur Frage des Aufbaus und zur Struktur von Aufbruch. Darüber, wo Aufbruch hin will/soll und wie wir dahin kommen, gibt es unterschiedliche Meinungen bzw. auch viel Unklarheit. Aber die Tatsache, dass hunderte Menschen genau darüber diskutieren und bereit sind, sich dafür einzusetzen, ist ein großer Fortschritt.

Aber die Gruppen wachsen längst nicht so schnell, wie es sich viele erhofft haben und es eigentlich nötig wäre, um die ständigen Angriffe von den diversen Regierungen von der Kommune bis zum Bund und von Seiten der Unternehmen abzuwehren. Dabei analysiert auch die SLP, dass es ein großes Vakuum auf der Linken gibt, das Aufbruch füllen könnte. Warum wächst Aufbruch also nicht so schnell, wie es nötig wäre?

Soziale Bewegungen waren und sind der Schlüssel für den Aufbau von linken Formationen wie „Podemos“ in Spanien oder „Die Linke“ in Deutschland. Auch Parteien wie „Syriza“ waren dann am stärksten, wenn sie sich auf eine soziale Bewegung stützen konnten. Das Aufkommen von sozialen Bewegungen ist natürlich nicht beliebig zu steuern, sondern das Ergebnis einer Stimmung und konkreter Ereignisse, die zum Auslöser werden:

Die Bewegung gegen die Agenda 2010 (Hartz IV) in Deutschland zum Beispiel entwickelte eine Dynamik, die nicht einfach vorhersehbar war. Bundesweit waren Zehntausende Teil der Bewegung, die vorher vielleicht noch nie politisch aktiv waren. Lokal brachten sich bestehende linke Gruppen, erfahrende GewerkschafterInnen und Andere natürlich auch organisatorisch und politisch ein (und das hat der Bewegung sicher auch geholfen), aber niemand kann behaupten, die Bewegung gestartet oder angeführt zu haben.

Am Anfang einer sozialen Bewegung steht immer auch ein spontanes Element. Natürlich gibt es Bedingungen, die das Aufbrechen sozialer Bewegungen wahrscheinlicher machen, wie eine politische Stimmung („die da oben sind doch alle korrupt“ oder auch „wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“) bzw. eine konkrete Bedrohung (Trump, 12-Stunden-Tag, Versuch, die Kollektivverträge abzuschaffen, Abschiebungen). Für Strukturen wie Aufbruch ist es daher besonders wichtig, sich laufend mit der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Situation zu beschäftigen und v.a. über die AktivistInnen eine Einschätzung der Stimmung in verschiedenen Bereichen (Jugend, PensionistInnen, MigrantInnen, Arbeitslose, Sozialbereich etc.) zu bekommen. Die SLP macht sich dazu regelmäßig Gedanken und veröffentlicht das Ergebnis unserer Debatten auch, zum Beispiel im Schwerpunkt der Dezember/Jänner Ausgabe des Vorwärts: https://www.slp.at/sites/default/files/zeitung/Vorwaerts%20254%20klein.pdf

Niemand kann den genauen Startpunkt einer Bewegung wie „UniBrennt“ oder die „Plattform25“ in der Steiermark exakt vorhersagen. Doch wir können uns so gut wie möglich darauf vorbereiten. Je mehr AktivistInnen in einem Bereich ihr (Lebens- oder Arbeits-)Umfeld haben, umso besser kann man die Stimmung einschätzen und so abschätzen, ob es zum Ausbrechen von Bewegungen kommen kann. Entsprechend kann man schon im Vorhinein programmatische Eckpunkte entwickeln und Strukturen anbieten sowie Initiativen setzen, die zu so einem Auslöser werden können.

Auch in Österreich gibt es Bedingungen, die das Aufkommen sozialer Bewegungen begünstigen oder auch erschweren. Tatsächlich gibt es auch hier immer wieder solche Bewegungen. Als 2015 Zehn- wenn nicht Hunderttausende in der Flüchtlings-Solidarität aktiv wurden oder wenn bis heute Dörfer oder Schulen gemeinsam für das Bleiberecht von NachbarInnen und KollegInnen kämpfen oder in der Steiermark über 1.000 Leute gegen den Bau des Muhrkraftwerks demonstrieren, sind das soziale Bewegungen. Und wenn wir von der SLP sagen, dass soziale Bewegungen die Heimat von Aufbruch werden müssen, meinen wir, dass AufbrecherInnen und Aufbruch als Ganzes Teil solcher Bewegungen sein sollte. Aufbruch selber ist dabei keine solche soziale Bewegung, sondern eine politische Organisation.

Von der Bewegung zur Organisation

Was aber ist die Aufgabe von Aufbruch in sozialen Bewegungen? Innerhalb einer Bewegung gibt es immer, ob ausgesprochen oder nicht, die Frage „wie machen wir weiter/wie können wir gewinnen?“. Eine politische Organisation wie Aufbruch sollte darauf immer Antwort-Vorschläge haben. Denn als Organisierte haben wir einen großen Vorteil: wir diskutieren regelmäßig gemeinsam über Politik, Methoden und Programme, was die Meisten normalerweise nicht tun. So bauen wir uns einen kollektiven Erfahrungsschatz auf, den wir sozialen Bewegungen zur Verfügung stellen können und sollten. Denn eines ist klar: Auch wenn am Anfang einer Bewegung immer ein spontanes Element steht, braucht sie, um längerfristig zu bestehen und erfolgreich zu sein, Organisation und Struktur. Es geht nicht darum, einer Bewegung Inhalte oder Konzepte überzustülpen, sondern sie anzubieten. Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden, nicht jeder Fehler muss wiederholt werden, dafür können positive Erfahrungen aus früheren Bewegungen gleich eingebracht werden. Denn nicht die Bewegung an sich ist das Ziel, sondern es stellt sich natürlich auch ganz konkret die Aufgabe, die Ziele einer Bewegung auch zu erreichen. Die Organisation, deren Vorschläge sich hier als erfolgreich zeigen, wird ernst genommen und wird stärker werden. Auch hier: nicht um der Organisation selbst willen, sondern als Werkzeug, um Angriffe zurück zu schlagen bzw. Verbesserungen zu erreichen.

Zunächst kommt Aufbruch da als Plattform ins Spiel, in deren Rahmen genau das auch stattfinden kann. Im besten Falle entwickeln sich die lokalen Gruppen angesichts einer Bewegung zu AktivistInnen-Treffen der Bewegung. Das passiert natürlich nur, wenn wir mit Flugblättern, Facebook usw. dazu einladen und auch zeigen, dass wir konkrete Vorschläge für das „wie weiter“ haben. So eine Plattform, die natürlich auch entsprechend stark sein muss, um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen, hat zum Beispiel in der Flüchtling-Solidaritätsbewegung 2015 gefehlt, um aus der politischen Stimmung eine politische Bewegung zu formen, die Fortschritte gegen FPÖ & Regierung hätte erkämpfen können. So blieb es bei der Riesen-Demo am 3.10.15 in Wien, die aber leider letztlich nichts erreicht hat.

Noch einmal deutlicher, weil es so wichtig ist: Aufbruch kann und soll soziale Bewegungen nicht „kontrollieren“ oder „übernehmen“, sondern Teil der Debatte über das „wie weiter?“ werden. Und als politische AktivistInnen dürfen wir das Selbstbewusstsein haben, der Bewegung nicht nur hinterher zu rennen, sondern ihr mit konkreten Vorschlägen auch zu helfen, eine Richtung zu finden. Das gilt auch uns besonders für gewerkschaftliche Proteste oder Proteste von Beschäftigten auch ohne oder sogar gegen die Führung der Gewerkschaften. Wir haben hier auch eine Verantwortung, diese Vorschläge zu bringen, denn eine gescheiterte Bewegung hat auch längerfristig negative Folgen.

Als politische Organisation ist es auch unsere Aufgabe, das „Große Ganze“ im Blick zu behalten. Wenn es einer Bewegung gelingt, das Muhr-Kraftwerk zu verhindern oder eine Abschiebung zu stoppen, ist das ein großer Erfolg und sollte gefeiert werden (was viel zu selten passiert). Aber wir wissen, dass jeder Erfolg schon morgen wieder rückgängig gemacht werden kann, wenn wir das nicht verhindern und als AntikapitalistInnen wissen wir, dass grundsätzlich etwas nicht mit diesem System stimmt. Egal ob eine Bewegung siegreich ist oder in einer Niederlage endet: Sie muss analysiert werden, die Lehren müssen gezogen werden – doch der Kampf muss weitergehen.

Als in Deutschland damals Zehntausende gegen Hartz IV auf die Straße gingen, haben sich nach einer Initiative von kämpferischen GewerkschafterInnen vor Allem aus der Gewerkschaft IG Metall diejenigen, die genau zu diesem Schluss gekommen waren, in der „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG)“ zusammengeschlossen, aus der später „Die Linke“ hervor ging. Diese Rolle könnte und sollte Aufbruch einmal in Österreich übernehmen.

Was tun bis dahin?

Die große Chance, die die WASG damals genutzt hat, bietet sich uns in Österreich noch nicht. Gerade weil wir nicht exakt vorhersagen können, woraus sich schließlich Bewegungen entwickeln werden, sollte Aufbruch also gerade auch bei den kleinen Protesten, die es gibt, von Anfang an dabei sein.

Die jahrelange Stillhalte-Politik der Gewerkschaften zum Beispiel hat inzwischen zu einem Brodeln unter der Oberfläche in vielen Branchen geführt. Von Zeit zu Zeit versuchen die Gewerkschafts-Bürokratien dann „den Dampf raus zu lassen“, also durch aufgesetzte, top-down organisierte Aktionen die wachsende Wut in den Griff zu bekommen. So zum Beispiel wieder bei den letzten Kollektiv-Vertrags-Verhandlungen für den Sozialbereich (SWÖ). Trotz allem war die Demo am 16.01. dazu in Wien ein Ort, um Angebote an die wütenden KollegInnen zu machen. Tatsächlich waren auch viele Aufbrechende dort, weil das wohl der Bereich ist, wo die größte Zahl an Aufbrechenden arbeiten. Wenn wir hier als Aufbruch aufgetreten wären und die Aufbruch-Beschäftigten in diesem Bereich schon vorher in ihren Einrichtungen mit konkreten Vorschlägen für diese KV-Runde aktiv geworden wären, dann hätten wir bei dieser Demonstration ein echtes Angebot an die KollegInnen stellen können: Vorschläge für das Wie-weiter und Einladungen zu Treffen, wo genau das diskutiert wird. Sicher nicht alle, aber zumindest ein paar hätten eine Einladung zu einem Aufbruch-Treffen wohl angenommen. Mit vielen AktivistInnen in dem Bereich können wir auch nicht nur darauf warten, dass es zu einer Bewegung kommt, sondern auch konkret in diese Richtung arbeiten.

Ausgearbeitete Kampagnen, wie wir sie in Aufbruch gerade für das Thema Wohnen planen, sind richtig, denn sie helfen Aufbruch bekannter zu machen und aufzubauen. Doch sie sind kein Ersatz für die Teilnahme an und die Vorbereitung auf soziale Bewegungen. Gutes Design, gutes Programm etc. sind wichtig, aber nicht ausreichend, um eine Organisation aufzubauen. Wenn wir mit einer tollen, durchgeplanten Kampagne neben real stattfindenden Bewegungen stehen, dann stehen wir eben daneben und werden Aufbruch nicht aufbauen.

Unendlich viel Zeit bleibt uns auch nicht, denn die Rechten werden immer stärker, die Armut in Österreich wächst. Wir können es uns nicht erlauben, die Chance einer sozialen Bewegung zu verpassen. Aufbruch-AktivistInnen sollten daher mit Flugblättern, Fahnen und Angeboten überall dort präsent sein, wo sich Widerstand regt. Das ist manchmal etwas mühsam, wobei praktisch auf allen Demos und Aktionen in Österreich im letzten Jahr auch AufbrecherInnen waren, nur eben oft ohne Material und damit unsichtbar. Wir können helfen, eine Bewegung stärker zu machen auch durch die Organisierung von Solidarität, durch die Vernetzung mit anderen Betroffenen mit anderen Bundesländern, BetriebsrätInnen etc. und der Organisierung von aktiver Unterstützung.

Auch sollten wir uns gemeinsam auf soziale Bewegungen vorbereiten, indem wir zum Beispiel historische oder internationale Bewegungen diskutieren und uns damit schulen. Solche Veranstaltungen sind auch eine Möglichkeit, die Diskussion über das „wie weiter mit der Bewegung“ in unsere Gruppentreffen zu holen.

Aufbruch hat durchaus das Potential, um die Chancen, die sich immer wieder auftun, zu nutzen: Aufbruch kann den Unterschied zwischen einer kurzlebigen Bewegung und einer Bewegung machen, die den unerträglichen Normalzustand beendet!