Atomkraft abschalten – Atommafia enteignen – Kapitalismus abschaffen

Die globalen Folgen hat die Katastrophe in Japan?
Franz Neuhold, Georg Kumer und Karin Wottawa

"Die Energieversorgung der Zukunft liegt in der Kernenergie. In zwei Jahrzehnten werden nicht nur Autos, Flugzeuge und Schiffe mit atomaren Generatoren betrieben, sondern die gesamte Stromversorgung eines Landes wird über Kernkraftwerke sichergestellt." Das waren die Zukunftsaussichten der Atomindustrie in den 1950/60er Jahren, als die zivile Nutzung begann und in Werbespots der Bevölkerung eine unbegrenzte Energiequelle versprochen wurde. Seither gab es Sellafield, Harrisberg, Tschernobyl, Fukushima und eine lange Kette weiterer Störfälle in AKWS. 

Derzeit sind weltweit 443 Atomreaktoren in Betrieb, 62 weitere sind im Bau und 158 Anlagen in Planung. Bis 2050 gibt es Pläne zu einer Verdoppelung der Reaktoren. Die Motivation liegt in den der Atomindustrie rauschartige Zustände erzeugenden Gewinnaussichten. Der Reingewinn eines AKWs in Deutschland liegt bei mindestens einer Million Euro pro Tag. Dem werden alle Sicherheitsbedenken und v.a. die ungelösten Probleme der Endlagerung untergeordnet. Zusätzlich kommt oft die Verquickung von "ziviler" Nutzung und militärischen Interessen. Es gibt Reaktortypen, die besonders auf die Beschaffung von Material für Kernwaffen ausgerichtet sind. Und quasi als “Atommüllentsorgung” wurde z.B. Im Irakkrieg sog. „schmutzige“ (strahlende) Munition eingesetzt.

Am Beispiel Atomindustrie zeigt sich deutlich eines der Grundprinzipien des Kapitalismus: Egal, wie viele Menschen dabei sterben könnten oder für wie viele Jahrtausende die Umwelt verseucht wird, die einzige Erwägung, die wirklich zählt, ist der Profit. Die Atomindustrie ist Kapitalismus in reiner Form: die Profite sind Privat - Kosten und Risiko trägt die Gesellschaft.

Bis 230 Milliarden Extragewinne

Neben der Öl-Wirtschaft gehört die Atomlobby zu einer der mächtigsten Wirtschaftsgruppen. Sie beeinflussen bzw. kontrollieren politische Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund ist auch der „Ausstieg“ aus der Kernenergie durch die deutsche SPD-Grün-Bundesregierung von 2000 zu sehen. Geplant war, die deutschen AKWs über die nächsten zwei Jahrzehnte abzuschalten. Es ging jedoch nie darum, die AKWs so schnell wie möglich vom Netz zu nehmen. Der Zeitraum wurde so gewählt, dass die Atomwirtschaft ihre Kraftwerke so lange weiter betreiben kann wie diese profitabel sind. Nach einer bestimmten Zeit muss jedes AKW teuer modernisiert und gewartet werden. Die Restlaufzeiten wurden so ausgehandelt, dass die AKWs weiterlaufen, bis diese Investitionen in die Modernisierung nicht weiter aufschiebbar sind. Mit dem "Ausstieg aus dem Ausstieg", der von CDU/FDP 2010 beschlossen wurde, können noch zusätzliche 10 bis 20 Jahre Gewinn gemacht werden. Was das in Zahlen bedeutet, geht aus einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg hervor. Demnach können RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW, die vier Energiemonopolisten, die den deutschen Strommarkt untereinander aufteilen, sich auf zusätzliche 120 bis 230 Milliarden Euro freuen. Da wird schnell klar, warum Bedenken nicht viel zählen. Und so leisten sich die Atomkonzerne eine bunte Riege von bezahlten LobbyistInnen aus allen politischen Lagern, wie auch den ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), der auf EU-Ebene einwirken soll. Welch riesiges Reservoir für Korruption sich daraus ergibt, kann mensch sich leicht ausmalen.

Das Risiko trägt die Gesellschaft

Was sind die Risiken, die von der Kernenergie ausgehen? Unmittelbar betroffen sind die Menschen, die direkt neben einem AKW leben. Kernkraftwerke produzieren ganz "normal" radioaktive Emissionen. Im nahen Umkreis von AKWs wird ein erhöhtes Auftreten von Leukämie festgestellt. Viel größere Mengen Radioaktivität werden bei einem Störfall (GAU oder im Extremfall Super-GAU) freigesetzt. Es können riesige Mengen radioaktiv verseuchtes Material in die Umwelt gelangen und dort mit verheerenden Folgen in die Nahrungskette eingehen. Völlig ungeklärt ist die Frage der Endlagerung des strahlenden Atommülls. Und auch Förderung und Transport sind keineswegs risikolos.

Ob die Welt einen ähnlichen Super-GAU wie Tschernobyl in Fukushima erleben wird, steht zu Redaktionsschluss noch nicht fest. Schon jetzt sind die bekannten Folgen enorm: verstrahltes Trinkwasser, Essen und Meer. Was ein Super-GAU für Folgen hat, hat sich nach dem Unglück von Tschernobyl gezeigt. Die Internationale Atomenergiebehörte IAEO, in ihrer glänzendsten Rolle als Lobbyinstitution für die Atommafia, spricht von 4.000 Todesfällen. Eine russische Studie, die über 5.000 wissenschaftliche Publikationen zu den Folgen von Tschernobyl ausgewertet hat, kommt zum Ergebnis, dass bis 2004 985.000 Menschen durch die freigesetzte Radioaktivität und ihre Folgewirkungen gestorben sind (Chernobyl: Consequences of the Catastrophe for People and the Environment, New York Academy of Science, 2009). Die Gefahr, dass es zu so einer Katastrophe wieder kommen kann, wird von den Konzernen und ihren Regierungen in Kauf genommen.

Wirtschaftlicher und politischer Super-GAU als Folge?

Auch wenn fraglich ist, wie viel an der medialen Darstellung der japanischen Bevölkerung dran ist (diszipliniert und stoisch Erdbeben und Regierungskrisen trotzend): die Verhältnisse werden durch die Katastrophe und ihre Folgen durcheinander gewirbelt.

Wirtschaftlich stellen Erdbeben, Tsunami und Atom-Katastrophe ein enormes Risiko für die auf wackeligen Füßen stehende Weltwirtschaft dar. Die japanische Wirtschaft ist seit rund 20 Jahren nicht aus der Krise gekommen. Der wachsende Druck auf ArbeiterInnen (v.a. die prekär Beschäftigten) hat schon vor dem Erdbeben zum Anwachsen von Unmut geführt. Die Hoffnung, durch den Wiederaufbau einen Boom in Japan zu erzeugen, ist nur eine Seite der Medaille. Dem gegenüber steht die Flucht von japanischem Kapital aus z.B. den USA zurück nach Japan. Das gefährdet nicht nur die Wirtschaft in den USA, sondern führt auch zu einem Höhenflug des japanischen Yen. Das macht japanische Exporte teurer und stellt somit ein Problem für die japanische Wirtschaft dar. Völlig offen sind auch noch die Folgen auf den Immobilien-, Finanz- und Versicherungsmärkten sowie auf den weltweiten Börsen. Der Kurseinbruch an der Tokioter Börse kann möglicherweise dauerhaft an den internationalen Finanzmärkten (nach-)wirken und eine neuerlichen globalen Wirtschaftsabschwung einläuten. Unterm Strich wohl nicht Chance, sondern enormes Risiko für die Weltwirtschaft.

Dramatisch können auch die politischen Folgen sein. Die Anti-AKW-Bewegung hat enormen Rückenwind erhalten. Lobbyisten wie Schüssel stehen unter Beschuss. Die deutsche Regierung muss den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg verkünden. Das Vertrauen in Regierungen und internationale Institutionen wie die IAEO bricht zusammen und wird weiter schrumpfen, wenn neue, bisher geheim gehaltene Folgen der Reaktorkatastrophen bekannt werden. Das bietet die Chance, dass aus dieser Katastrophe auch etwas gutes entsteht – nämlich eine starke Bewegung, die wirkliche Veränderungen bringen kann.

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: