Argentinische Grippe

Lateinamerikanisches Dominospiel
Wolfgang Fischer

Argentinien ist ein Beispiel, das die Folgen und das Scheitern des neoliberalen Modells weltweit verdeutlicht. Ein weiterer Aspekt der globalisierten Wirtschaft nimmt nun immer schärfere Konturen an: Nationale ökonomische Krisen zeigen auf Grund der Verflechtungen  und Abhängigkeiten von internationalem Kapital den Trend, sich mit rasanter Geschwindigkeit in anderen Ländern auszubreiten.

So führte etwa die „asian flu“ (asiatische Grippe), die Krise der südostasiatischen „Tigerstaaten“, ausgelöst durch die Instabilität der internationalen Finanzmärkten, in Folge zu massiven Krisen in Russland, Brasilien und Argentinien (1998). Die angespannte Situation der Weltwirtschaft bedeutet, daß für solche Ereignisse heute kaum noch „Spielräume“ vorhanden sind.
In den grössten Ökonomien Südamerikas - vor allem Brasilien und Argentinien - hat der neoliberale Boom der letzten Dekade sowie ein Explodieren der Auslandsschulden die Polarisierung zwischen den Klassen verstärkt. Mittelfristig wird die dort schon vier Jahre anhaltende Wirtschaftsrezession Argentiniens auch einen starken Einfluss auf den wichtigsten Handelspartner des Landes, auf Brasilien haben.  Schon jetzt sind die Auswirkungen in ganz Südamerika  sichtbar: „Die Krise in Argentinien bekommen jetzt mit voller Wucht die Nachbarländer des südamerikanischen Landes zu spüren. Hart betroffen sind vor allem Uruguay, Bolivien, Peru, Paraguay und Chile. Die Exporte nach Argentinien sind stark geschrumpft, die bisher zahlungskräftigen argentinischen Touristen bleiben aus“ (Kurier, 15.2. 2002).
Seit Mitte der 90er Jahre steht die herrschende Klasse der verschiedenen lateinamerikanischen Länder unter massivem Druck. Einerseits gilt es, ihre eigenen (kapitalistischen) Interessen zu verteidigen, andererseits sieht sie sich immer öfter mit Massenaufständen der Bevölkerung konfrontiert. Dies zeigt sich sehr deutlich seit dem Machtwechsel in Venezuela, bei dem 1998 General Hugo Chavez, ein radikaler kleinbürgerlicher Politiker in freien Präsidentschaftswahlen an die Macht kam. Chavez’ populistische Politik reflektiert vor allem die Radikalisierung  in den verarmten Mittelschichten, sowie deren Hass auf die Korruption und Imperialismus. Venezuela stellte das erste Glied der beginnenden Radikalisierung in Südamerika dar, mittlerweile haben die Proteste und Aufstände der Menschen in Argentinien ein qualitativ höheres Level erreicht. Auch in Venezuela dreht sich nun die Spirale aus Krise und Polarisierung weiter: Das Land hat Mitte Februar den Wechselkurs seiner Währung Bolivar freigegeben. „De facto bedeutet das eine Abwertung, der Bolivar war bisher laut Experten um 40 Prozent überbewertet“ (Kurier). Auch dieses Beispiel zeigt: Argentinien ist heute vom neoliberalen Musterknaben zum Dominostein geworden, der eine Volkswirtschaft nach der anderen in die Krise werfen könnte.

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