2010: Krise und Gegenwehr, Rassismus von Rechts und Mobilisierung von Links

Eine Vorschau auf 2010 von Sonja Grusch.

Kurz zusammengefasst: die soziale Situation wird sich weiter verschlechtern, die Angriffe von Regierung und Unternehmen auf Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen werden immer frecher werden. Gleichzeitig wird sich die aufgestaute Wut über die soziale Ungerechtigkeit immer wieder entladen und zu Widerstand von Beschäftigten und Jugendlichen führen. Und: der Rassismus wird auch 2010 ein zentrales Thema der österreichischen Innenpolitik sein.

Große Überschrift: Wirtschaft & Soziales: (K)ein Silberstreif am Horizont

Ist sie nun vorbei die Krise oder nicht? Jeden Tag andere Informationen – meist so, wie es gerade passt. „Wirtschaft wächst wieder“ heißt es wenn die Regierung ihre Leistung preisen möchte. „Wirtschaft geht es ganz mies“ heißt es, wenn Unternehmen erklären warum sie „leider“ keine Lohnerhöhungen zahlen können. Tatsache ist, dass die eigentlichen Ursachen für die Krise nicht beseitigt sind. Selbst wenn es eine leichte Erholung geben sollte, so würde diese kurz und schwach sein und nur die Ouvertüre für einen folgenden, neuerlichen schweren Einbruch darstellen. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter und damit sinkt der private Konsum, der zurzeit eine der wichtigsten Stützen der Wirtschaft ist. Schon jetzt zittert der Handel vor den Einbrüchen im Weihnachtsgeschäft. Daran wird auch eine Ausverkaufs-Welle rund um den Jahreswechsel nichts ändern. Und auch im Wintertourismus wird deutlich dass die Menschen einfach weniger Geld zur Verfügung haben. Die Wirtschaft glaubt ihre eigenen rosa-gefärbten Prognosen nicht, was sich in immer noch sinkenden Investitionen ausdrückt. Das bedeutet: Das Schlimmste ist nicht vorbei, das dicke Ende kommt noch.

"Die Mehrheit hat noch nicht für die Krise bezahlt." (Industriellenvereinigung, SN 5.11.2009)

Bei den Kollektivvertragsverhandlungen (KV) die mit den MetallerInnen begonnen haben, aber auch in den kommenden Monaten von anderen Branchen geführt werden, geht es den Unternehmen darum, die Lohnkosten zu drücken: also weniger Arbeit für weniger Geld oder mehr Arbeit fürs selbe Geld. Ersteres heißt Kurzarbeit, zweiteres längere Durchrechnungszeiträume. Die IV fordert Durchrechnungszeiträume von bis zu sieben (!) Jahren, d.h. in der Praxis ein völliger Wegfall von Überstundenzuschlägen – die aber im momentanen System gerade bei niedrigen Einkommen oft überlebenswichtig sind. Wer die KV-Verhandlungen verfolgt, fragt sich manchmal, warum die UnternehmensvertreterInnen so auf der „Flexibilität“ herumreiten, wenn sie in der Praxis meist ohnehin nicht genutzt wird. Hier geht es um eine längerfristige totale Aushöhlung von gesetzlichen Arbeitszeitregelungen mit dem Ziel einer für die Betriebe optimalen Ausnutzung der Arbeitskraft.

Anfang des Jahres werden auch die Auswirkungen der „Mindestsicherung“ deutlich werden. Eine Maßnahme, die für viele eine Reduzierung ihres ohnehin spärlichen Einkommens bedeuten und den Druck auf Arbeitslose erhöhen wird. Menschen die bisher Sozialhilfe bekommen haben, bekommen nun die „Mindestsicherung“ - müssen dafür aber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Es wurde damit ein weiteres Instrument geschaffen, um Menschen den Bezug gerade dieser Mindestsicherung, die sie so dringend brauchen, zu sperren. Bei steigender Arbeitslosigkeit wird der Druck auf Arbeitslose insgesamt steigen, das AMS „muss“ Ausgaben kürzen – also Vorwände suchen, um den Bezug zu sperren. Es wird auch versucht, das Kräfteverhältnis im Betrieb zugunsten des Managements zu verbessern. In IV-Sprache heißt dass dann „betriebliche Sozialpartnerschaft“. Gemeint ist damit, dass nicht Kollektivverträge bzw. die Gewerkschaft die Interessen der Beschäftigten verteidigen, sondern man sich das „auf betrieblicher Ebene ausmacht“. Die Verhandlungsposition eines einzelnen Beschäftigten oder auch eines Betriebsrates in einem Einzelbetrieb, wo mit Kündigungen gedroht wird, ist denkbar schlecht – auf diese Erpressungspolitik setzen IV & Co. Eine Politik, die übrigens auch von der FPÖ gefahren wird: Der RFW – „der Ring freiheitlicher Wirtschafter“ - fordert Notgesetze Kraft derer in Betrieben ohne Einfluss der Sozialpartner (also der Gewerkschaft) und der Politik (also Arbeitszeit-, ArbeitnehmerInnenschutz- und Lehrlingsschutzgesetze) Vereinbarungen getroffen werden dürfen. Und „der ÖGB kann kein Verhandlungspartner für die Wirtschaft sein, die GPA solle aus dem täglichen Wirtschaftsleben verschwinden“.

Weg mit dem teuren Sozialstaat

Die zweite Ebene der Angriffe wird der Abbau des ohnehin schon löchrigen Sozialstaates sein. Der Sozialstaat ist ein mühsam erkämpftes und mit den Beiträgen von ArbeitnehmerInnen und ihren Familien aufgebautes System, dass soziale Katastrophen abwenden soll. Die ArbeiterInnenbewegung hat den Sozialstaat als zentrales Ziel formuliert, weil sie jenen Menschen, die vom Kapitalismus ausgespuckt werden weil sie nicht rentabel sind – die Alten, Kranken, Behinderten, Arbeitslosen,... - ein menschenwürdiges Leben ermöglichen will. Nein, 2010 wird der Sozialstaat nicht vollständig abgeschafft werden. Aber er wird weiter ausgehöhlt werden. Am Ende des Prozesses steht – wenn er nicht verhindert wird – eine miese Minimalversorgung für die Masse und teure Zusatzversicherungen für jene, die es sich leisten können. Und zwar in allen Bereichen: bei der Bildung, der Gesundheit, den Pensionen. Die Deutsche Gesundheitsreform zeigt, wohin es gehen soll (siehe Seite 2).

Die langen Wartezeiten für Normalsterbliche unterstreichen, dass es eine 2-Klassen-Medizin gibt. 2010 werden wohl weitere Leistungen der Kassen gestrichen werden. Mit der Verordnung von Gesundheitsminister Stöger, H1N1-erkrankte Personen nicht im Spital sondern Zuhause unter Quarantäne zu stellen und durch eine Person betreuen zu lassen, zeigt die Richtung: Frauen, bleibt Zuhause, pflegt eure Angehörigen, das entlastet das Gesundheitswesen.

Auch bei den Pensionen wird Einsparungspotenzial geortet. Beginnend mit einer medialen Hetze gegen die „gierigen Alten“ wird die Anhebung des Pensionsantrittsalters diskutiert. Die Rechnung ist einfach: wenn gleichzeitig bei den Arbeitslosen gekürzt wird, spart das dem Staat Geld. Es gibt dann zwar auch nicht mehr Jobs, dafür aber weniger (teure) PensionistInnen und mehr (billigere) Arbeitslose. Und natürlich noch die „Verwaltungsreform“. Ein Dauerbrenner der Politik ist die Kürzung von Verwaltungsausgaben. Gemeint sind damit natürlich nicht die hohen PolitikerInneneinkommen. Oder die Ausgaben für ministeriale Dienstwägen, Empfänge und Ähnliches. Gemeint sind Personalabbau und Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst. Auch dazu wieder Hetze gegen die „teuren, faulen Beamten“. Die Angriffe auf die LehrerInnen sind hier nur der Anfang. Aber: die Kürzung der Verwaltungsausgaben bedeutet z.B. weniger Finanzbeamte um die Steuerhinterziehungen der Unternehmen zu ahnden, weniger LehrerInnen und größere Gruppen in der Kinderbetreuung. Verwaltungsausgaben, das sind die Beschäftigten bei den Sozialämtern die sich um immer mehr Bedürftige kümmern müssen, Stellen beim Jugendamt, die bei Gewalt in der Familie helfen sollen...

Es reicht

2009 sah die größten Jugendproteste der letzten Jahrzehnte: 60.000 SchülerInnen haben im Frühjahr in mehreren Schulstreiks erfolgreich gegen die Verlängerung ihrer Arbeitszeit gekämpft. Das Herbstsemester begann an den Universitäten mit einer Welle von Hörsaalbesetzungen. In einer Reihe von Großdemonstrationen haben österreichweit zehntausende Studierende auf die Missstände an den Universitäten hingewiesen und „Freie Bildung für Alle“ gefordert. Zentraler Kritikpunkt ist die zunehmende Verkommerzialisierung der Bildung. Also dass sich Lehrinhalte und -methoden daran orientieren, was die Wirtschaft braucht. Und die braucht keine umfassend gebildeten, selbstständig denkenden, kritischen Menschen, sondern Fachidioten, die brave Rädchen im System sind. Die Wirtschaft braucht TechnikerInnen und keine SoziologInnen, PolitikwissenschafterInnen oder HistorikerInnen. Den Studierenden ist der Kragen geplatzt. 84% müssen neben dem Studium arbeiten, und trotzdem leben rund 50% der Studierenden unter der Armutsgrenze. Weil sie arbeiten müssen und weil es an den Unis zuwenig Raum und oft auch zuwenig Lehrveranstaltungen gibt, dauert ihr Studium länger als geplant. Und dann dürfen sie sich noch als „Bummelstudenten“ beschimpfen lassen.

Fans des Kapitalismus sind inzwischen zur kleinen Sekte geworden

Die Proteste der Studierenden haben breite Unterstützung in der Bevölkerung. Viele sind einfach froh darüber, dass sich endlich wer wehrt. Denn dass es reicht, dass findet wohl inzwischen die Mehrheit der Menschen. Laut einer BBC-Umfrage finden in Deutschland gerade mal 16%, dass der Kapitalismus ein gut funktionierendes System sei, weltweit sogar nur 11%. Auch in Österreich wächst die Unzufriedenheit. Kein Wunder, wenn fast 40.000 Jugendliche einen Job suchen. Auf jede offene Lehrstelle gibt es mehr als fünf Lehrstellensuchende. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter an, die Kurzarbeit reduziert das Einkommen von ganzen Familien dramatisch und rettet keine Jobs. Im Gegenteil werden die Jobs dann nach Auslaufen der Kurzarbeit trotzdem abgebaut. Ein Siemens-Beschäftigter der angesichts des Stellenabbaus anonym bleiben möchte meint: „Es treibt mir die Zornesröte ins Gesicht, wenn ich zusehen muss, wie Millionen Euro an Förderungen von der öffentlichen Hand an Siemens fließen, während hunderte höchstqualifizierte Techniker, Physiker, Mathematiker abgebaut werden! Zwar wird gegenüber Medien von der Schaffung von 200 Arbeitsplätzen schwadroniert, aber es ist doch bekannt, dass diese Forscher nur in eine neue Abteilung verschoben wurden.“ In Linz sind tausende Menschen vom Quelle-Konkurs betroffen, zehntausende werden wegen anderer Betriebsschließungen ihre Arbeit verlieren. Aber weil das AMS die Kurzarbeit finanziert, wird bald kein Geld mehr da sein – und über Leistungskürzungen bei den Arbeitslosen diskutiert werden. Wer eine „zumutbare“ Arbeit nicht annimmt (Fahrzeit 3 Stunden pro Tag, miese Bezahlung, keine Betreuung für die Kinder), der verliert das Geld vom AMS. Gleichzeitig besitzt laut Statistik jedeR von uns 52.298 Euro. Sie haben das wohl nicht, und die meisten die sie kennen ebenfalls nicht. Die reichsten 10 Prozent haben mehr als die Hälfte des privaten Geldvermögens - noch ohne Immobilien.

Die Banken bekommen Milliarden aus unseren Steuergeldern, aber wer sein Geld in eine private Pensionsversicherung gesteckt hat, muss Kürzungen hinnehmen. Rund 560.000 Menschen in Österreich haben Anspruch auf eine zusätzliche Firmenpension – sie werden nur einen Bruchteil davon sehen. Aber beim Management kann „leider nicht in bestehende Verträge eingegriffen werden“. Das macht zu Recht wütend.

Es gibt Arme, weil es Reiche gibt

Wachsende Armut und wachsende Ungleichheit bedeuten schlicht: sozialer Sprengsatz. Wenn der eigene Lebensstandard halbwegs passt, lässt sich leichter akzeptieren, dass es manche gibt, die unverschämt reich sind. Aber wer trotz Arbeit arm ist, wer den Job verliert und nicht weiß, wie die (schon wieder gestiegene) Miete bezahlen, wer sich darüber hinaus noch per Medien ausrichten lassen darf, dass sich „Leistung lohnt“, dem reicht es irgendwann. Das spüren auch die Gewerkschaften. Unter dem Druck der Studierendenproteste und wegen des wachsenden Drucks aus den Betrieben hat die Gewerkschaft GMTN bei den KV-Verhandlungen sich – für ihre zahmen Verhältnisse – kämpferisch gegeben (aber letztlich ein mieses Ergebnis akzeptiert). Neben den diversen KV-Verhandlungen gibt es den monatelangen Konflikt bei den DruckerInnen um einen neuen KV und den Offensiv-Kampf der KindergärtnerInnen. Der „Kindergartenaufstand“ ist eine Basisinitiative von PädagogInnen und AssistentInnen, die sich gegen die steigende Arbeitsbelastung wehren. Sie fordern bessere Bezahlung, kleinere Gruppen und bessere Ausbildung, um eine gute Betreuung für die Kinder gewährleisten zu können. Es ist – wie bei den Studierenden – ein Protest aus Verzweiflung über die Zustände und ein offensiver Kampf für Verbesserungen. Und die Studierenden haben mit ihrem Kampf binnen kürzester Zeit Zugeständnisse erreicht. Zu wenig, aber das hat vielen Mut gegeben und gezeigt, dass sich Widerstand rechnet! Die Gewerkschaft war – zumindest zum Teil – gezwungen die Proteste zu unterstützen. Dieser Basisinitiative werden andere folgen.

Proteste werden zunehmen

Der Mythos vom „gemütlichen Österreicher“ der sich alles gefallen lässt und sich nicht wehrt, hält sich trotzdem – bemerkenswerter Weise gerade unter Linken. Und doch ist es eben nur ein Mythos. Die fehlende Tradition von Klassenkämpfen ist ein erschwerender Faktor, weil die Erfahrung fehlt. Aber sie ist längst kein absolutes Hindernis mehr. So wie „die Jugend“ nicht unpolitisch ist, sind „die ArbeiterInnen“ nicht brav. In den Studierendenprotesten ist es zu einem recht intensiven Schulterschluss zwischen Studierenden, Lehrenden und ArbeiterInnen aus anderen Branchen gekommen – das ist eine neue Qualität, die sich 2010 fortsetzen wird und die Spaltungsversuche der Herrschenden systematisch untergräbt. In den kommenden Protesten werden sich neue Strukturen entwickeln, werden Beschäftigte selbst aktiv werden. Sie werden umso erfolgreicher sein, je demokratischer sie organisiert sind, dh je mehr die Beschäftigten selbst entscheiden und organisieren. Die Gewerkschaftsführung wird zunehmend zu Getriebenen der Basis werden und in Folge davon wird es personelle und inhaltliche Brüche innerhalb der Gewerkschaftsbewegung geben. Kämpferische KollegInnen, die heute noch keine Funktionen haben, werden in Bewegungen eine zentrale Rolle spielen, werden Verhandlungsergebnisse in Urabstimmungen überprüfen lassen und können den ÖGB grundlegend verändern – zu einer echten Kampforganisation.

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