ÖGB: Hunde, die bellen, beißen nicht

ÖGB-VerhandlerInnen-Konferenz bringt wenig Konkretes
Sonja Grusch

Laut ÖGB kamen am Dienstag den 18.9. über 900 BetriebsrätInnen und KV-VerhandlerInnen nach Wien Donaustadt zur „Ersten österreichweiten KV-VerhandlerInnen-Konferenz“. Das Logo der Konferenz war kämpferisch designend mit wehenden Fahnen, Megafon und den Umrissen einer kämpferischen Demonstrationen. Doch wer sich bei dem Event Informationen oder gar Diskussion über die nächsten Schritte erwartet hatte, wurde enttäuscht.

Exklusive Konferenz

Exklusiv war schon einmal der Zugang der Konferenz. Diverse bürgerliche Medien waren geladen und willkommen – ÖGB-Vorsitzender Katzian begrüßte diese auch explizit und ersucht sie lediglich um "faire Berichterstattung". Gleichzeitig versuchten übereifrige ÖGB-Beschäftigten (also streng genommen Angestellte der Gewerkschaftsmitglieder ohne politisches Mandat) linken GewerkschaftsaktivistInnen den Zutritt zu verwehren. Auch wenn das letztlich nicht gelang zeigt es doch von der Nervosität der Gewerkschaftsführung die Angst vor kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen hat. Sie wollten verhindern, dass kämpferische Initiativen mit den VerhandlerInnen diskutieren und eine alternative, eine kämpferischere Strategie vorschlagen können, bevor der offizielle Teil beginnt. Dabei hat doch die bisherige Strategie, nämlich die eigene Mitgliedschaft von Diskussionen und Informationen auszuschließen, nicht nur nicht funktioniert, sondern hat sich als schädlicher Rohrkrepierer herausgestellt!

Im Vorfeld, so erzählte uns ein als kämpferischer bekannter Gewerkschafter, wurde er extra ersucht, sich nicht in die Debatte einzubringen. Aber das war ohnehin nicht vorgesehen. Um kritische Stimmen zu vermeiden war gleich gar keine Diskussion vorgesehen. Vorsitzende von Teilgewerkschaften, SpitzenfunktionärInnen und handverlesene BetriebsrätInnen sprachen zu unterschiedlichen Aspekten des 12-Stunden Tages. Die „Informationspolitik“ des ÖGB wurde fortgesetzt: seit Monaten werden v.a. jene, die ohnehin schon dagegen sind wieder und wieder und wieder mit Informationen gefüttert, warum der 12-Stunden Tag schlecht ist. Nichts gegen gute Argumente, aber es ist davon auszugehen, dass die KollegInnen, die am 18.9. extra nach Wien gekommen sind wissen, warum sie gegen dieses Gesetz sind.

Wunschliste an das Christkind

Vorgestellt wurde dann ein breiter Forderungskatalog. Dieser umfasst zweifellos viele wichtige Punkte und spiegelt die unterschiedliche Ausgangssituation in den verschiedenen Branchen wieder. Es finden sich Punkte wie die „Verkürzung der wöchentlichen kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit“ ebenso wie „Altersgerechte Arbeitszeitmodelle“ und „zusätzliche Pausen bei Arbeitstagen über die 10. Stunde hinaus“. Doch spiegelt sich in vielen Forderungen wieder, dass man den 12-Stunden-Tag bereits als gegeben hinnimmt – obwohl man laufend zu Recht darauf hinweist, wie gefährlich und schädlich er ist.

Auf der Konferenz wurde über die Forderungen nicht diskutiert, dies sei – so die RednerInnen – im Vorfeld in den Gewerkschaften passiert. Auch hier wieder: eine Debatte unter FunktionärInnen hat vielleicht stattgefunden, doch es fand keine lebendige Diskussion in den Betrieben (das wäre z.B. bei den zahlreichen Betriebsversammlungen möglich gewesen wo es aber auch in den wenigsten Fällen Diskussionsmöglichkeiten gab) oder für Basismitglieder statt. Ein Teilnehmer der Konferenz meinte dann auch im Anschluss „wenn ich heute ein Buch gelesen hätte, hätte ich mehr für meine KollegInnen lernen können als hier, wo ich nur die Kulisse für die Gewerkschaftsspitzen machen sollte“.

Doch abgesehen von der Art, wie die Forderungen zustande gekommen sind könnte man immer noch sagen: Gute Forderungen. Das Problem ist aber, dass es keine gemeinsamen Forderungen gibt, für die gemeinsam gekämpft wird. Die Worte „Gemeinsam“ bzw. „Miteinander“ wurden zwar in den Reden häufig strapaziert, aber was das konkret bedeutet blieb bis zum Schluss unklar.

Über Solidaritätsaktionen für die MetallerInnen, die den KV-Reigen als selbsternannter „Schneepflug“ beginnen, wurde nicht gesprochen. Kein Wort darüber, wie sicher gestellt wird, dass sie einen ordentlichen Sieg bei den KV-Verhandlungen einfahren. Keine Silbe darüber, wie auch nur eine der Forderungen erreicht werden kann. Stattdessen hohle Phrasen darüber, dass man sich das „nicht gefallen lässt“ und sich was „zurück holt“.

„Gemeinsam“ meint offensichtlich auch im wesentlichen „österreichische“ Beschäftigte: nicht nur, dass die TeilnehmerInnen im wesentlichen „österreichische“ Männer waren (Frauen waren in der absoluten Minderheit, Menschen mit Migrationshintergrund kaum existent – was über den real exklusiven Zugang der Gewerkschaft an sich schon viel aussagt). Katzian fand es auch nötig, zu betonen dass man keine Arbeitskräfte aus dem Ausland holen solle. Angesichts der von der Regierung inszenierten rassistischen Debatten eine Aussage, die die rassistische Spaltung der in Österreich arbeitenden Menschen weiter vorantreibt! Und das de facto Akzeptieren des 12-Stunden-Tages (den man sich halt möglichst teuer „abkaufen“ lassen will) vergrößert die Spaltung innerhalb der ArbeiterInnenklasse weiter: Viele – und das sind v.a. Frauen – können schlicht und einfach keine 12-Stunden-Schichten arbeiten, sie werden damit noch stärker in die Teilzeitschiene gedrängt und die Einkommensschere geht weiter auf.

Plan- und Perspektivenlos

Grund dafür ist nicht nur die real schädliche Geheimhaltungsstrategie, die Katzian & Co. immer wieder als gefinkelte Taktik verkaufen (also die Geheimhaltung gegenüber der Mitgliedschaft mit dem Argument, man könne dem Gegner ja nicht vorab informieren). Grund ist auch, dass die Gewerkschaftsspitzen tatsächlich wenig Plan haben, wie sie mit der Tatsache umgehen, dass die Unternehmensseite einfach kein Interesse mehr an den sozialpartnerschaftlichen Ritualen hat. Katzian pochte in seiner Rede auf die Moral "Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand". Andere RednerInnen betonen, dass die Gewerkschaft bisher schon flexibel Regelungen für 12 Stunden zugestimmt haben, und kritisieren, dass sie jetzt nicht mehr mit verhandeln dürfen. Genau dass ist eines der Probleme, dass schon bisher Sauerei über Sauerei zugestimmt wurde – da muss man sich dann auch nicht wundern, wenn sich KollegInnen enttäuscht von der Gewerkschaft zurückziehen.

Kein Vertrauen in die eigene Strategie

Erinnern wir uns an den Kurs des ÖGB: Der12-Stunden-Tag wurde abgelehnt, Katzian hat auf seine Geheimhaltestrategie gesetzt. Über 100.000 kamen zur Demonstration am 30. Juni. Die Gewerkschaft hat nichts mit diesem Potential gemacht. Über zwei Monate passierte – zumindest für die absolute Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder – nichts. Am 1. September, als das Gesetz in Kraft trat, gab es gerade mal eine PR-Aktion der Gewerkschaft. Katzians Ansage „wir holen uns das bei den KV-Verhandlungen zurück“ ist eine „Strategie“ die mit dieser Gewerkschaftssführung von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Und so wurden dann auch schon in den Wortmeldungen betont, dass nicht alle Forderungen in allen KVs umgesetzt werden. Der gemeinsame KV-Kampf wurde also begraben, bevor er überhaupt begonnen hat!

Hoffnung auf eine politische Lösung

Das zeigt sich auch im „Zukunftsprojekt“ das Katzian mit sichtbarem Stolz präsentierte: Die „Initiative für ein modernes Arbeitszeitrecht“. Schon in seiner Einleitung betonte er, dass es ja auch UnternehmerInnen gäbe, die gegen das aktuelle Gesetz seien. Und überhaupt versucht sich die Gewerkschaftsführung als die besseren ÖkonomInnen zu präsentieren, die – wenn man sie nur mitreden lässt – ein viel besseres neues Arbeitszeitrecht mit entwickeln könnten, von dem alle profitieren würden. Diese Illusion ignoriert völlig die Tatsache, dass Unternehmen und Beschäftigte in einer kapitalistischen Welt gegensätzliche Interessen haben und es den Beschäftigten nicht besser geht, wenn es „der Wirtschaft gut geht“.

Die „Initiative für ein modernes Arbeitszeitrecht“ soll angeblich partizipativ sein – wer die Gewerkschaftsbürokratie kennt weiß, dass die Basis auch diesmal nicht wirklich etwas zum mitreden, oder gar mit entscheiden haben wird. Vor allem aber soll es eine „Politische Diskussion unter Einbeziehung aller Parteien“ geben. Was das konkret bedeutet? Katzian & Co. haben kein Vertrauen darauf, dass ihre Strategie es sich „bei den KV-Verhandlungen zurück zu holen“ funktionieren wird. Sie haben keine Idee, wie sie weitere Angriffe wie jene auf das Gesundheitswesen, Arbeitslose etc. zurück holen können. Also hoffen sie darauf, dass sie durch eine breitere Debatte in und um die Gewerkschaften für ein „modernes Arbeitszeitrecht“ Stimmung machen können. Stimmung die dann – wer hätte das gedacht – die SPÖ aufgreifen kann und so hofft, bei kommenden Wahlen zusätzlich Stimmen aus dem gewerkschaftlichen Lager zu bekommen. Die planlosen ÖGB-BürokratInnen wollen also die Gewerkschaftsmitgliedschaft zum SPÖ-wählen bringen anstatt endlich den notwendigen Kampf gegen die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse zu führen.

„ÖGB aufrütteln“ 

Der Lichtblick bei dieser Konferenz war die Initiative „ÖGB aufrütteln“ https://www.facebook.com/%C3%96GB-aufr%C3%BCtteln-2071512099764375/. Die SLP und „ÖGB aufrütteln“ kämpfen weiter gegen den 12-Stunden-Tag, und zwar sowohl gegen das Gesetz, als auch gegen Verschlechterungen auf KV-Ebene. Mit dieser Gewerkschaftsführung ist das zwar schwierig, aber in Branchen und Betrieben, wo sie KollegInnen nicht von den laschen Gewerkschaftsspitzen ausbremsen lassen, können diese und andere Angriffe abgewehrt werden. Bei der VerhandlerInnen-Konferenz verteilten BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen, die für demokratische Strukturen und einen kämpferischen Kurs eintreten Flugblätter, diskutierten, gaben Interviews und luden andere GewerkschafterInnen, die ebenfalls enttäuscht waren über diese „Konferenz“ ein, sich an der Vernetzung von GewerkschafterInnen zu beteiligen, die sich auch für einen Kurswechsel der Gewerkschaftsbewegung beteiligen wollen. Und es sind viele, die das wollen…