Weltwirtschaft: Wie lange steht das Kartenhaus?

Wolfram Klein, CWI-Deutschland

Meldungen über neue Rekorde an den Aktienbörsen dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass an den Weltfinanzmärkten eine ganze Reihe von Zeitbomben ticken: Hedgefonds, Immobilienpreis-Seifenblasen, Konsumentenverschuldung, US-Zahlungsbilanzdefizit – fraglich ist nicht, ob, sondern wann und in welchem „Gebäudeflügel“ zuerst das Kartenhaus einstürzt.

Ein Aspekt der Globalisierung der Weltwirtschaft seit den späten siebziger Jahren war eine Gewichtsverlagerung innerhalb der Wirtschaft von der Produktion hin zum Finanzsektor. In den fünfziger und sechziger Jahren strichen Finanzkonzerne zehn bis 15 Prozent der US-Konzernprofite insgesamt ein, inzwischen sind es 30 bis 40 Prozent. Dahinter steckt, dass die Profite weltweit durch die verschärfte Ausbeutung der Lohnabhängigen zwar anstiegen, aber anders als in den fünfziger oder sechziger Jahren wurde ein großer Teil der Gewinne nicht investiert, sondern damit spekuliert.

Einer der Gründe, warum das über viele Jahre gut ging war, dass der Rückgang der Inflation nach den siebziger Jahren mit einer gewissen Verzögerung zu einem Rückgang der Zinsen führte. Niedrige Zinsen führen aber tendenziell zu einem Preisanstieg bei Kapitalanlagen wie Aktien oder Grundstücken. Anders als bei den Warenpreisen gab es in diesen Bereichen eine ganz erhebliche Inflation.

Es entstand eine Seifenblase nach der anderen, deren Platzen die betroffenen Regionen und Branchen in schwere Krisen stürzte (zum Beispiel die „Tequila-Krise“, Asienkrise, Rubelkrise der neunziger Jahre, das Platzen der Dot.com-Seifenblase 2001), aber unter dem Strich wurde das Kartenhaus insgesamt immer größer, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle bröckelte oder zum Einsturz kam.

Hedgefonds

Hedgefonds sind in den letzten Jahren massenhaft gegründet worden, weil sie hohe Profite machten (und ihre Manager sich gigantische Gehälter gönnten). Unter der Überschrift „Die Billionen-Bombe“ schrieb der Spiegel: „Hedgefonds sammeln immer mehr Geld und spekulieren mit allem, was Profit bringt: mit Aktien, Devisen, Rohstoffen, sogar mit den Schulden anderer. Niemand weiß, welche Risiken sie eingehen. Darum sind sie selbst zum Risiko geworden, Experten warnen vor einem Domino-Crash“ (39/2006).

Inzwischen gibt es rund 9.000 Hedgefonds, die über eine Billion Dollar verwalten. Gemessen an den Finanzmärkten insgesamt ist das immer noch sehr wenig, aber wegen ihren hochriskanten Anlagestrategien können sie Turbulenzen an den Finanzmärkten erzeugen, die in keinem Verhältnis zu ihrem Anteil stehen. Das wurde 1998 deutlich, als der Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) Pleite ging und die US-Notenbank eine Rettungsaktion organisierte, um eine Katastrophe des Finanzsystems aufzuhalten.

Ein neues Beispiel ist Amaranth, der letzten Sommer auf steigende Erdgaspreise spekulierte. Brian Hunter, der das organisierte, bekam letztes Jahr 75 bis 100 Millionen Dollar Gehalt, weil der Hurrican Katrina neben New Orleans auch diverse Raffinerien zerstörte, die Preise stiegen und Amaranth machte ein Vermögen. Dieses Jahr blieben die großen Hurricane aus, die Spekulation mit dem Elend der Menschen ging schief. Im September verlor Amaranth sechs Milliarden Dollar, 65 Prozent seines Werts. Die Rettung von Amaranth war nicht so spektakulär wie die von LTCM, aber das Risiko nimmt zu, nicht ab. Je mehr Hedgefonds mit einander konkurrieren, desto mehr sinken ihre Profite auf Normalmaß und desto weniger können spektakuläre Gewinne solche Verluste ausgleichen.

Die Amaranth-Krise trat ein, obwohl inzwischen Hedgefonds in den USA behördlich beaufsichtigt werden. Dass Amaranth keine Folgen wie LTCM hatte, lag vor allem daran, dass es an den Finanzmärkten zur Zeit ruhiger ist als damals, als Währungskrisen in Südostasien, Lateinamerika und Russland einander folgten. Eine Hedgefonds-Krise in einem instabileren Umfeld kann wieder so gefährlich werden wie bei LTCM.

Derivate – „finanzielle Massenvernichtungswaffen“?

„Im heißesten Spiel der Finanzjongleure“, so der Spiegel, wird mit Derivaten, die Kreditrisiken absichern, gehandelt. Das Volumen dieser Geschäfte stieg auf 17 Billionen Dollar an. Der – nach Bill Gates – zweitreichste Mann Warren Buffet will lieber die Finger davon lassen und bezeichnet sie als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“.

US-Immobilienblase

Und einiges spricht dafür, dass das Umfeld wieder instabiler wird. Der Immobilienboom in den USA geht zu Ende. In den letzten Jahren hat der Höhenflug der Immobilienwerte für die Masse der Eigenheimbesitzer eine beträchtliche Einkommensquelle dargestellt. Immobilienbesitzer wurden in fünf Jahren auf dem Papier um fünf Billionen Dollar reicher. Dadurch erhöhte sich der Konsum trotz stagnierender Reallöhne. Das wurde realisiert, indem Eigenheimbesitzer die steigenden Immobilienpreise und niedrigen Zinsen für immer höhere Hypothekenkredite nutzten und auch Kreditkarten- und andere Schulden zunahmen. Der US-Konsum war der „Staubsauger“ der Weltwirtschaft, der die Exportüberschüsse von Ostasien und auch teilweise von Exportweltmeister Deutschland schluckte.

Verschuldung

Parallel zur privaten und Staatsverschuldung (zur Finanzierung von Aufrüstung, Krieg und Steuergeschenken für Reiche) gibt es eine wachsende Auslandsverschuldung der US-Wirtschaft wegen der regelmäßigen astronomischen Zahlungsbilanzdefizite. 2005 betrug das US-Zahlungsbilanzdefizit 717 Milliarden Dollar, sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP); für dieses Jahr wird ein Defizit von 790 Milliarden Dollar erwartet. In den letzten Jahren ist die US-Auslandsverschuldung auf 2,69 Billionen Dollar gestiegen.

Dieser Schuldenberg wurde durch den Kauf von US-Staatsanleihen durch ausländische, besonders ostasiatische, Konzerne und zunehmend Notenbanken ermöglicht. So halten sie den Dollarkurs hoch, um ihren Ländern weiter hohe Exporte in die USA zu sichern. Allein die Zinszahlungen an ausländische Eigentümer von US-Staatsanleihen betragen schon 1,1 Prozent des US-BIP. Statt ihrem Defizit brauchen die USA also eigentlich einen Exportüberschuss von 1,1 Prozent des BIP, um nur die Zinsen für ihre Auslandsschulden zu zahlen und sich nicht weiter zu verschulden.

Der Dollar vor dem freien Fall?

Der künstlich hoch gehaltene Dollarkurs ist einer der wichtigsten Gebäudeflügel des Finanzkartenhauses. Wenn er einstürzt, würde das nicht nur die internationalen Finanzmärkte, sondern auch den Welthandel erschüttern und Handelsströme umkehren.

Der Zeitpunkt einer Krise lässt sich nicht vorhersagen. Wenn die US-Notenbank auf die Abkühlung der US-Wirtschaft mit Zinssenkungen reagiert, könnte dem Kartenhaus sogar noch das eine oder andere Stockwerk hinzugefügt werden, bevor es einstürzt. Wenn die Wirtschaftsabschwächung aber zu Einbrüchen beim Konsum und bei den Profiten führt, können Wirtschaftsabschwung und Finanzkrise einander verstärken.

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