Von den seltsamen FreundInnen Rosa Luxemburgs

Über das Andenken an eine große marxistische Revolutionärin und Theoretikerin
Fabian Lehr

Kommenden Jänner jährt sich die Ermordung Rosa Luxemburgs durch Freikorpseinheiten auf Befehl von Friedrich Eberts SPD zum 96. mal. Da wird die große Revolutionärin wieder von allen möglichen politischen Lagern vereinnahmt werden. Oft wird Luxemburg als "vernünftige, gute Linke" den russischen Bolschewiki als "unvernünftigen, diktatorischen Linken" gegenübergestellt. So wird der Eindruck erweckt, als ob sie eine linksliberaler Demokratin gewesen sei. Als Begründung wird dafür meist die nach ihrem Tod veröffentlichte Schrift "Zur russischen Revolution" herangezogen. Darin übte sie Kritik an einigen Maßnahmen Lenins und der jungen bolschewistischen Regierung, besonders an der Unterdrückung der oppositionellen Presse. Aber erstens geht aus diesem Text ganz und gar nicht hervor, dass Luxemburg das Konzept einer sozialistischen Revolution durch eine disziplinierte proletarische Klassenpartei abgelehnt habe. Im Gegenteil: Sie erkennt ausdrücklich die welthistorische Bedeutung dieser ersten erfolgreichen sozialistischen ArbeiterInnenrevolution an. Zweitens hat sich Luxemburg, als sie an der Spitze eines Revolutionsversuchs in Deutschland stand, als echte Revolutionärin intuitiv genauso wie Lenin verhalten und als eine der ersten Maßnahmen die Redaktion der sozialdemokratischen Zeitung besetzen lassen, von wo aus Desinformation und Hetze gegen die KommunistInnen verbreitet worden war.
Ihr ganzes Leben und Wirken war geprägt vom Kampf gegen den Reformismus, der sich in der sich damals noch als marxistisch verstehenden SPD breitzumachen begann. In "Sozialreform oder Revolution?", das bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat, legt Luxemburg 1899 dar, dass Kapitalismus mit menschlichem Antlitz eine Illusion ist. Sie zeigt, dass die wirtschaftlichen Gesetze des Kapitalismus dafür sorgen, dass alle auf parlamentarischem Wege errungenen Verbesserungen bei Lohn, Pension, Arbeitslosengeld usw. zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind. Sie beweist, dass sie für sich genommen nicht zum Sozialismus hinführen und jederzeit von den KapitalistInnen wieder zurückgezogen werden können, sobald eine der unvermeidlichen Krisen ihnen deren Finanzierung zu schwer macht. Für Luxemburg steht fest: MarxistInnen müssen soziale Reformen unterstützen, aber diese können niemals die notwendige Revolution der ArbeiterInnen ersetzen. Nur diese ist in der Lage, den Kapitalismus zu überwinden. Eine Partei, die diese Grundtatsache marxistischer Theorie nicht verstehe, höre auf, sozialistisch zu sein und werde zu einer den ArbeiterInnen feindlichen liberalen Kraft. Diese Gefahr sah sie schon damals für die SPD, in der Eduard Bernstein und seine ideologischen Verbündeten den revolutionären Marxismus entsorgten und propagierten, die Partei solle sich nur für friedliche Reformen im Rahmen des bestehenden politischen Systems einsetzen. Mit ihren Befürchtungen sollte sie nur allzu Recht behalten: Die Sozialdemokratie unterstützte zuerst den imperialistischen Weltkrieg, schoss anschließend die nach ihm ausbrechenden proletarischen Aufstände nieder und verabschiedete sich schließlich ganz von der marxistischen Theorie.
Kompromisslos stellt Luxemburg fest: Eine marxistische Partei gehört an die Spitze der proletarischen Revolution und unter keinen Umständen in eine Regierung mit bürgerlichen Parteien. Umso skurriler ist es, wenn sich heute SozialdemokratInnen auf Luxemburg berufen, denen eine proletarische Revolution fern, pfründenreiche Regierungsbeteiligungen aber nah sind. Ebenso absonderlich ist die Vorliebe vieler AnarchistInnen für Luxemburg. Mit pauschaler "Anti-Partei-Politik" hatte Luxemburg nichts zu tun. Stattdessen betonte sie immer wieder den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Kampf um parlamentarische Präsenz, die für MarxistInnen von hoher agitatorischer Bedeutung sei, und der für MarxistInnen inakzeptablen Regierungsbeteiligung mit bürgerlichen Parteien. Auf die Frage "Sozialreform oder Revolution?" antwortet Luxemburg: "Sowohl als auch."
Schon ein oberflächlicher Blick auf ihr Werk und Leben zeigt, dass es trotz ihrer Differenzen mit Lenin z.B. bezüglich der Nationalen Frage lächerlich ist, wenn sie ausgerechnet von jenen ideologischen Strömungen für sich in Anspruch genommen wird, die sie ihr Leben lang in Wort und Tat bekämpft hat. Befremdlich ist es auch, wenn heute NeostalinistInnen meinen, Luxemburg für sich reklamieren zu können: Ausgerechnet Stalin, der 1917 für eine Fusion (!) mit den linksreformistischen Kräften in Russland plädiert hatte, verunglimpfte Luxemburg in einem Aufsatz als antibolschewistische „Trotzkistin“ (Im beleidigenden Sinne, wie StalinistInnen diesen Begriff verstehen). Während Trotzki die großen Verdienste Luxemburgs als Theoretikerin und Revolutionärin immer gewürdigt hat, wurde sie in der stalinistischen Sowjetunion meist totgeschwiegen oder als Pseudo-Marxistin diffamiert.
Das Andenken an Rosa Luxemburg gehört rechtmäßig den klassenbewussten ArbeiterInnen der ganzen Welt. Und ganz sicher nicht BürokratInnen sozialdemokratischer oder stalinistischer Art.

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