Sozialvereine: Outsourcing der Wohlfahrt

Privatwirtschaftliches Handeln erschuf einen Niedriglohnsektor und öffnete Unterfinanzierung Tür und Tor.
Jan Millonig, Krankenpfleger

Umfragen zeigen, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die „Sicherstellung einer adäquaten Gesundheitsversorgung“ als zentrale staatliche Aufgabe ansieht. Gleichzeitig haben immer weniger Menschen Vertrauen in die staatliche Versorgung und fürchten ohne private Vorsorge nicht abgesichert zu sein. Das drückt das Dilemma des heutigen Sozialstaates aus, der von der Arbeiter*innenbewegung hart erkämpft, doch der neoliberalen Offensive der letzten Jahrzehnte immer stärker zum Opfer gefallen ist.

Wo staatliche Unterstützung fehlt oder nur als reine Verwahrungsstätten mit schlechten Bedingungen vorhanden ist, haben sich, neben kirchlichen Organisationen, oft auch Betroffene und Fachleute selbst organisiert und eigene Strukturen geschaffen. Zum Beispiel ist die Lebenshilfe, einer der größten Träger in der Behindertenbetreuung, als Elternbewegung entstanden. Viele psychosoziale Netzwerke, wie promente oder EXIT-sozial, kamen ursprünglich aus der Psychiatrie-Kritik, in Opposition zum Wegsperren von Menschen mittels zweifelhafter Diagnosen. Heute kennen wir sie als Organisationen im Sozialbereich, zuerst neben der staatlichen Wohlfahrt und dann immer stärker von dieser beauftragt. Mittlerweile ist das österreichische Sozialsystem ohne die privaten Vereine mit rund 200.000 Beschäftigten nicht mehr denkbar.

Doch die „Selbstverwaltung“ hat nicht mehr so viel mit der Selbstorganisierung der Betroffenen zu tun, sondern wurde zum festen Baustein der neoliberalen Strategie der Regierenden. Der Staat agiert nur mehr als Auftrags- oder Fördergeldgeber, während die Verantwortung ganz auf die Vereine übertragen wurde und diese wie Unternehmen geführt werden. Es gibt Preise pro Betreuungsauftrag und wie beim Land Oberösterreich ein „Normkostenmodell“, das festlegt, wie viel was kosten darf. Dabei unterbieten sich die Träger aber immer stärker gegenseitig. So entsteht ein Konkurrenzdruck nach unten, der dazu führt, dass Beschäftigte oft nach zu niedrigen Verwendungsgruppen entlohnt, ältere Dienstnehmer*innen “zu teuer” und diverse Zulagen umgangen werden. Dadurch spart sich der Staat Millionen und kann sich bei der Umsetzung abputzen. Gleichzeitig verlangen die Landesregierungen aber immer höhere „Effizienzsteigerung“, „Strukturoptimierung“ und „Kostentransparenz“, bei immer niedrigerem Budget versteht sich.

Leider haben die Geschäftsführungen der Organisationen „bisher eher damit geglänzt, als Erfüllungsgehilfen einer maßlosen Ökonomisierung den Druck der Landesregierung unvermindert auf die Belegschaften zu übertragen“, wie Thomas Erlach (Betriebsrat bei EXIT-sozial) beschreibt. Und weiter: „Die Arbeitgeber haben unsere Proteste gegen Kürzungen unterlaufen, in dem sie verlauten ließen, dieses Kürzungsvolumen ohne Verschlechterungen beim Personal umsetzen zu können.“ Deshalb waren es oft die Beschäftigten, die gegen Kürzungen und für mehr Mittel auf die Straße gegangen sind.

Als Sozialist*innen kämpfen wir für eine vollumfassende staatliche Daseinsfürsorge. Es kann nicht sein, dass der Staat so eine sensible gesellschaftliche Aufgabe privaten Trägern und der Kirche überlässt. Wir wollen ein Sozialsystem aus einer Hand, doch mit vielen Gesichtern. Denn es geht nicht darum, die verschiedenen Ansätze und Strukturen abzuschaffen. Wir brauchen echte Selbstverwaltung statt einer privatwirtschaftlichen Betriebsführung und eine gesamtgesellschaftliche Planung statt Konkurrenz um Förderungen.

Das Sozial- und Gesundheitswesen muss in die Hände derer, die darin arbeiten, die es in Anspruch nehmen und der Gesellschaft, die ein Interesse am Wohl aller haben muss! Doch die Übernahme von Einrichtungen in die öffentliche Hand muss mit dem Kampf für mehr Budget und dem Aufbau demokratischer Strukturen verbunden werden. Die Kolleg*innen in den Betrieben sind die wahren Expert*innen und die Klient*innen wissen selbst am besten, was sie brauchen. Geschäftsführungen und Politiker*innen dürfen nicht länger über unsere Köpfe hinweg entscheiden. Lokale und bundesweite Planungskommissionen, bestehend aus gewählten Vertreter*innen der Beschäftigten, Betroffenen und Gesellschaft, sollen über die Höhe der Mittel und was damit passieren soll entscheiden.

In einem Staat, der dazu dient, den Kapitalismus zu verwalten; in einem System, wo Menschen mit Betreuungsbedarf und soziale Arbeit als reine Kostenfaktoren gesehen werden, wird so ein Konzept auf Widerstand stoßen. Deshalb kämpfen wir auch für eine sozialistische Gesellschaft, in der die Wahrung menschlicher Bedürfnisse, ein gesundes soziales Gefüge und die freie Entfaltung von allen gewährleistet ist. Profitinteressen stehen dem grundsätzlich entgegen.

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