Sollen wir jetzt noch länger arbeiten müssen?

ÖGB & Arbeitszeitverkürzung: Forderung nach 35-Stunden-Woche nach 20 Jahren noch immer nicht umgesetzt
Sonja Grusch

“In den nächsten 4 Jahren wird es notwendig sein, die Arbeitszeitpolitik so fortzusetzen, daß die Ziele der sozialen Gerechtigkeit und des Schutzes verschiedener Arbeitnehmergruppen erreicht werden können. Allgemeingültige

Regelungen über neue Normalarbeitszeiten auf Basis eines Generalkollektivvertrages (bzw. Gesetzes) mit dem Ziel der 35-Stunden-Woche müssen angestrebt und verwirklicht werden.”

Dieser Antrag wurde am 11. Kongress des ÖGB, der von 5.-9. Oktober 1987 tagte, einstimmig angenommen. Vier Jahre später - das wäre 1991 gewesen - hätten wir also die 35 Stundenwoche haben sollen. Tatsächlich ist die Arbeitszeit seit 1975 generell nicht mehr verkürzt worden. Zwar gibt es einerseits eine Reihe von Branchen, wo eine kürzere Arbeitszeit (z.B. 38,5 Stunden) kollektivvertraglich durchgesetzt wurde. Andererseits gibt es aber eine steigende Anzahl von Beschäftigten, die selbst von einer 40-Stunden Woche nur mehr träumen können. Denn sowohl die durchschnittliche Arbeitszeit, als auch die kollektivvertraglich mögliche tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit steigt seit einigen Jahren wieder.

Stillstand seit 30 Jahren

Von 1945 bis 1975 kam es zu Arbeitszeitverkürzungen von 48 auf 40 Stunden/Woche. Zusätzlich wurde der bezahlte Urlaub verlängert und es wurde eine Steigerung der Reallöhne durchgesetzt. Und das war keine Periode, wo die österreichische Wirtschaft an “Wettbewerbsfähigkeit” eingebüßt hätte (soviel nur zu dieser häufigen Lügen der UnternehmensvertreterInnen).

Aber seit Mitte der 1970er Jahre verläuft die Entwicklung in eine andere Richtung. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verschlechterung und ihres staatstragenden und sozialpartnerschaftlichen Verständnisses hat sich der ÖGB in der Praxis von seiner Forderung nach Arbeitszeitverkürzung verabschiedet. Seit der Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre sind die Spielräume im Rahmen des Kapitalismus enger geworden. Oder anders gesagt: Der Kuchen ist kleiner – wer ein Stück davon will, muss härter darum kämpfen. Die neoliberale Offensive mit ihren Schlagwörtern “Flexibilisierung” und “Wettbewerbsfähigkeit” ist ein Ausdruck für diesen härter gewordenen Verteilungskampf. Der ÖGB hat sich selbst stets als staatstragende Organisation verstanden, die zum Wohle der gesamten Wirtschaft agieren soll. Nach dem Motto “Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut” war die ÖGB-Politik stets (mehr als) maßvoll.

Nichts gelernt

Die Arbeitszeitverkürzungen bis 1975 fanden mittels Generalkollektivvertrag für alle Beschäftigten statt. Seit 1975 hat der ÖGB auf branchenweise Arbeitszeitverkürzung gesetzt. Dies sei notwendig, um den Prozess an “die Verhältnisse in den einzelnen Wirtschaftszweigen anpassen zu können”. Zwar stellte der ÖGB selbst 1987 fest, dass diese Vorgehensweise zu einer Entsolidarisierung der Beschäftigten geführt hat und schwächere Beschäftigtengruppen dabei auf der Strecke bleiben, an der Praxis hat sich aber seither nichts geändert. Der Beschluss von 1987 wurde bis jetzt nicht umgesetzt. Es wurde ja noch nicht einmal ernsthaft versucht, ihn umzusetzen. Es gab keine große, kämpferische Kampagne für Arbeitszeitverkürzung, keine Streiks (wie z.B. in Deutschland), keine politische Bewegung, die der ÖGB initiert hätte.

Für den ÖGB ist die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung theoretisch aufrecht (und wurde z.B. am 15. ÖGB-Kongress 2003 auch erneut bekräftigt). Aber in der Praxis des ÖGB ist Arbeitszeitverkürzung kein Thema. Bei einer Veranstaltung der SLP zum Frauentag 2006, bei der es um Flexibilisierung und Arbeitslosigkeit ging, wurde das Verständnis der ÖGB-Führung zur Arbeitszeitverkürzung deutlich. Sylvia Ledwinka, die ÖGB-Bundesfrauensekretärin, meinte zur Frage von Arbeitszeitverkürzung es gäbe zwar eine aufrechte Beschlusslage des ÖGB zur 35-Stunden-Woche, aber “innerhalb des ÖGB keine Mehrheit dafür”.

Verschlechterungen wird zugestimmt

Tatsächlich hat der ÖGB in den letzten Jahren einer Reihe von Verschlechterungen zugestimmt. Und zwar sowohl auf gesetzlicher Ebene als auch auf kollektivvertraglicher. Dies gilt für die Abschaffung des arbeitsfreien 8. Dezembers für Handelsangestellte ebenso wie für die Arbeitszeitgesetz-Novelle 1997 sowie die jüngste Sozialpartner-Einigung zur Arbeitszeit. Eigentlich läuft es dabei immer gleich ab: Die UnternehmensvertreterInnen behaupten, eine “Flexibilisierung” wäre nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben/werden. Die Gewerkschaft stimmt Verschlechterungen für die Beschäftigten “ausnahmsweise” zu, bzw. gesteht sie im Ausgleich zu Verbesserungen (die aber in der Praxis die Verschlechterungen nicht aufheben) zu. Außerdem erklärt die Gewerkschaftsführung immer, in der Praxis würde das alles “eh nicht so schlimm” kommen. Das Gegenteil ist der Fall: Ausnahmeregelungen werden zur Regel, bisher illegale Schlechterstellugen für Beschäftigte legalisiert. Oder wie es der ÖGB selbst in seinen Texten zum ÖGB-Kongress 2003 schreibt: “In der Praxis hat sich herausgestellt,dass die Verlängerung der Normalarbeitszeit bei Arbeitsbereitschaft(§ 5 AZG) in vielen Bereichen in Wirklichkeit eine Ausdehnung der ständigen normalen Arbeitszeit auf bis zu 60 Wochen- bzw. zwölf Tages- oder Nachtstunden bedeutet.”

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