Schwarz-Gelb abschalten!

Deutschland nach Fukushima und den Landtagswahlen
Sascha Stanicic, CWI-Deutschland

„It"s the ecology, stupid“ - so könnte man in Anlehnung an den berühmten Wahlslogan („It"s the economy, stupid“) aus dem erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf Bill Clintons 1992 die Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz interpretieren. Die Grünen sind der einzige Wahlgewinner. Die FDP schmiert ab. CDU und SPD müssen Verluste und im Fall der rheinländ-pfälzischen CDU das, trotz leichter Gewinne, zweitschlechteste Ergebnis der Geschichte zu Erfolgen umfunktionieren. Doch hinter dem Wahldesaster für CDU, FDP und SPD steckt mehr, als nur die Umweltfrage.

Selten hat ein von den Regierungsparteien bis zum Exzess propagierter Wirtschaftsaufschwung diesen so wenig geholfen. Die von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle mit „Aufschwung XXL“ bezeichnete ökonomische Situation hat nämlich der Masse der Bevölkerung wenig bis nichts gebracht. Während die Banken- und Unternehmensprofite wieder sprudeln, legen die Löhne der Beschäftigten nur minimal bis gar nicht zu und wurde vor allem die menschenverachtende Leiharbeit ausgedehnt. Dass von den mit den Konzernen aufs Engste verknüpften schwarz-gelben Parteien keine Politik für ArbeitnehmerInnen zu erwarten ist und die Gewinne von heute nicht die Löhne und Arbeitsplätze von morgen sind, ist eine Erkenntnis, die aus den Köpfen von Millionen nicht rauszubekommen ist. Laufzeitverlängerung, Guttenberg-Skandal und Brüderles Ehrlichkeit in Sachen Wahltaktik haben die Entfremdung breiter Massen von den etablierten Parteien weiter gesteigert.

Die gestiegene Wahlbeteiligung zeigt wiederum, dass es keine Politikverdrossenheit gibt, sondern nur eine Parteienverdrossenheit. Die Bedeutung des Themas Atomkraft, der riesige Wunsch der Bevölkerung, aus dieser auszusteigen und die Selbstdarstellung von SPD und Grünen als Ausstiegs-Parteien haben dazu geführt, dass diesmal die Wahlen als etwas betrachtet wurden, was tatsächlich einen politischen Unterschied machen könnte – zumindest bei diesem einen Thema. Denn nach diesen Ergebnissen wird es für Merkel weitaus schwerer sein, nach Ablauf ihres dreimonatigen Moratoriums für die so genannten Altmeiler diese einfach wieder ans Netz zu schalten.

S21 und Atomkraft

Natürlich wurden die Wahlen von der Atomkraft-Katastrophe in Japan und der erst kürzlich von der Merkel-Regierung beschlossenen Laufzeitverlängerung für die deutschen Atommeiler dominiert. Hinzu kam in Baden-Württemberg das Thema Stuttgart 21, das seit über einem Jahr eine nicht enden wollende Massenbewegung in der Landeshauptstadt ausgelöst hatte. Der Wunsch, den Atom-Ministerpräsidenten Mappus abzuwählen überlagerte die Wahlen im Süden.

Die Grünen konnten gleich dreifach profitieren: erstens sind sie seit 2005 auf Bundesebene in der Opposition und auch nur noch in wenigen Landesregierungen vertreten. So konnten sie sich über Jahre ein Oppositionsimage geben. Zweitens haben sie sich geschickt an den Bewegungen gegen Atomkraft, Castor-Transporte und Stuttgart 21 beteiligt und konnten so ihr, schon verloren geglaubtes, Image als Bewegungspartei ein Stück weit wieder erlangen. Drittens haben die Grünen weiterhin so etwas wie eine Monopolstellung in den Augen der Bevölkerung auf das Thema Atomausstieg. Selbst 75 Prozent der baden-württembergischen SPD-UnterstützerInnen sahen bei den Grünen die größte Kompetenz bei diesem dominierenden Thema. Die von Schwarz-Gelb und den Atombossen ausgehandelte Laufzeitverlängerung war zudem ein Geschenk für die Grünen, das von der eigenen Verantwortung für die langen Laufzeiten, die aus dem rot-grünen Atomkompromiss – unter dem die jetzt vorübergehend abgeschalteten Meiler noch bis 2020 am Netz gewesen wären - hervorgingen, ablenkte.

SPD

Die SozialdemokratInnen haben in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz verloren. Der Hamburger Wahlsieg ist schon wieder vergessen, egal wie sehr die SPD-Spitze die Ergebnisse aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg als Erfolg darzustellen versuchen. Die Wahlen vom 27. März sind ein weiterer Beleg dafür, dass die SPD von der Masse der ArbeitnehmerInnen nicht mehr als „ihre“ Partei gesehen wird, sondern als eine bürgerlich-prokapitalistische Partei, wie alle anderen.

DIE LINKE

Für die Partei DIE LINKE muss das Wahlergebnis vom 27. März Anlass zu einer breiten Diskussion über ihre Politik und Strategie sein. Auch wenn die absoluten Stimmen durch die höhere Wahlbeteiligung gestiegen sind, ist das Resultat niederschmetternd und wirft die Frage auf, wie das möglich war. Sollte der rechte Parteiflügel versuchen, das Ergebnis dem linkeren Profil der Partei im Westen anzulasten, so wäre das nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch ein durchschaubares und peinliches Manöver. Angesichts der Stagnation bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt und den niedrigen Umfragewerten in Berlin gäbe es dafür auch nicht einmal eine faktische Basis.

Tatsächlich ist das Problem der Partei, dass sie eben nicht als kämpferische Partei des Widerstands und der sozialen Bewegungen wahrgenommen wird, sondern als die linke Partei unter den anderen Parteien, die genauso als Teil des parlamentarischen Parteiensystems gesehen wird und deren Gebrauchswert nicht einmal für die Teile der Bevölkerung deutlich wird, die sich zu zehn- und hunderttausenden an den Bewegungen gegen Stuttgart 21 und Atomkraft beteiligt haben. 34.000 LINKE-WählerInnen sind in Baden-Württemberg zu den Grünen gegangen – weil DIE LINKE das Thema Stuttgart 21 zu lange verschlafen hatte und in der Anti-Atom-Bewegung keine vorwärtstreibende Rolle spielt.

Natürlich waren die Rahmenbedingungen für DIE LINKE nicht einfach: die Grünen haben beim Thema Atomkraft einen historischen Bonus, es gibt zur Zeit wenig Kämpfe und Bewegungen zu sozialen und gewerkschaftlichen Themen. Aber wenn man nur als Korrektiv zu SPD und Grünen wahrgenommen wird und sich diesen immer wieder als Regierungspartner andient, dann muss sich für viele Menschen die Frage stellen, welchen Unterschied DIE LINKE denn real macht. Natürlich hat der Wunsch, Mappus in Baden-Württemberg abzuwählen, bei manchem potenziellen LINKE-Wähler dazu geführt, diesmal „auf Nummer sicher zu gehen“ und die Grünen zu wählen. Schließlich war der Einzug der LINKEN in den Landtag immer unsicher – und die Gefahr einer parlamentarisch „verschenkten“ Stimme hoch – und hätte ein solcher die Abwahl von Mappus evtl. sogar erschwert, weil dies für die SPD die Option einer Großen Koalition wieder eröffnet hätte. Das wurde aber durch Aussagen von LINKE-Politikern, es gebe nur einen Regierungswechsel, wenn DIE LINKE in den Landtag einzieht, auch noch ad absurdum geführt. Und das Ergebnis von Rheinland-Pfalz, wo die SPD zehn Prozent verloren hat und DIE LINKE kaum davon profitiert, zeigt, dass das Problem der Partei tiefer liegt.

Aussichten

So „historisch“, wie das Wahlergebnis von SPD und Grünen dargestellt wird, ist es nicht. Auch wenn die CDU in Baden-Württemberg zum ersten Mal seit 58 Jahren in die parlamentarische Opposition gehen muss. Schließlich werden weiterhin prokapitalistische Parteien eine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung umsetzen können. Einen Wendepunkt für die politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik stellt es trotzdem dar. Das Ende der Regierungszeit der Merkel-Westerwelle-Koalition könnte eingeleitet sein. Das ist gut so! Diese Regierung hat in der Masse der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung keine Basis mehr. Sie muss weg. Besser heute als morgen! Ein vorzeitiger Sturz der Bundesregierung würde zwar unter den gegebenen Bedingungen - angesichts der Tatsache, dass sie realistisch nur durch eine SPD-geführte Regierung ersetzt würde – nicht eine Regierung im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ins Amt bringen, aber die Ausgangsbedingungen für erfolgreiche Bewegungen und Kämpfe verbessern. Ganz einfach, weil ein Sturz einer Regierung das System insgesamt schwächt und die Erwartungshaltung an die neue Regierung enorm steigern würde. DIE LINKE sollte für eine Ende der schwarz-gelben Bundesregierung eintreten und gleichzeitig deutlich machen, dass sie nicht bereit ist zum Erfüllungsgehilfen für rot-grün zu werden. Nötig ist eine Regierung, die die AKW"s sofort abschaltet, einen gesetzlichen Mindestlohn einführt, die Krisenlasten nicht auf dem Rücken der Bevölkerungsmehrheit ablädt – eine Regierung, die konsequent die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit vertritt, bereit ist, sich mit den Banken und Konzernen anzulegen und einen Beitrag dazu leistet auf der Basis von Massenmobilisierungen den Kapitalismus zu überwinden. Eine solche Regierung wird es nur geben, wenn eine starke sozialistische Arbeiterpartei aufgebaut wird. Eine solche wird nur als Partei des Kampfs und der konsequenten Opposition gegen jede Form von Sozialabbau, Privatisierung, Arbeitsplatzvernichtung und prokapitalischer Politik aufgebaut werden können, so wie die SPD im 19. Jahrhundert zur Massenpartei der Arbeiterklasse wurde. Wenn DIE LINKE sich nicht so wandelt, dass sie zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer solchen Partei wird, könnten die Wahlergebnisse aus Mainz und Stuttgart für sie leider auch ein Wetterleuchten sein. Die Chancen sind aber da. Denn schneller als so mancher heute glauben mag, werden SPD und Grüne sich wieder als das entpuppen, was sie sind: prokapitalistische und etablierte Systemparteien, die eine unsoziale Politik gegen die Bevölkerungsmehrheit betreiben. Die Aufgabe der LINKEN ist es, dazu eine glaubwürdige sozialistische Alternative darzustellen und nicht, sich ihnen als Juniorpartner in bürgerlichen Regierungen anzubiedern.

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