Scharons Sackgassenpolitik - Blutvergießen bringt den Nahen Osten an den Rand des Krieges

Zehntausende SozialistInnen und AktivistInnen auf der ganzen Welt feierten am Freitag, 8. März, den Internationalen Frauentag. In einem schrecklichen Kontrast dazu war er im Nahen Osten durch ein unglaubliches Blutvergießen gekennzeichnet, bei dem die Zah
CWI

Die Panzer, gepanzerten Fahrzeuge und schwerbewaffneten SoldatInnen der IDF (Israeli Defence Force = israelische Armee) stürmten die Flüchtlingslager auf der Westbank und im Gazastreifen, wobei Raketen aus Hubschraubern abgeschossen wurden und F-16-Kampfflugzeuge über ihren Köpfen ihre Kreise zogen. Zum Klang der explodierenden Granaten und mit grünen Strahlen von Waffen mit Lasersuchgeräten, die von Gebäuden reflektiert wurden, errichteten sie eine tödliche Feuermauer in einer Reihe von brutalen Operationen gegen eine aufgebrachte palästinensische Bevölkerung. In 24 Stunden wurden 44 PalästinenserInnen abgeschlachtet, einschließlich einem zehnjährigen Jungen, und ein IDF-Soldat wurde erschossen. Unter den Opfern waren Ärzte des roten Halbmonds, die von IDF-Streitkräften aufs Korn genommen wurden, wenn sie versuchten, Verwundete zu erreichen. Dies war die höchste Zahl an Opfern an einem Tag während der 17 Monate dauernden Intifada. Spätere IDF-Operationen waren die größten Militärmanöver seit der Invasion im Libanon 1982. Dies war keine Militäroperation als Teil eines „Krieges gegen den Terrorismus" durch das israelische Regime, sondern eine Kampagne des Staatsterrors gegen die PalästinenserInnen, die mit dem Rücken gegen die Wand einer überlegenen Feuerkraft gegenüberstehen.

Einen Tag später führten Selbstmordoperationen der Hamas und der Al-Aksa-Brigaden zum Tod von 12 israelischen ZivilistInnen in der Küstenstadt Netanja und einem vollen Café in Jerusalem. Über 84 Israelis wurden in diesen schrecklichen Angriffen verwundet.

Unglaublicherweise sagte Gideon Meir, ein Sprecher des Außenministeriums der reaktionären Scharon-Koalitionsregierung nach diesen Selbstmordanschlägen: „Arafat sucht heute Nacht einen regionalen Krieg und Israel wird das nicht zulassen" (The Observer, 10. März 2002). Scharon skizzierte in einer ähnlichen Stimmung das, was die „Strategie" seiner belagerten Regierung sein soll: „Wir sind im Krieg mit einem grausamen und blutdürstigen Feind. Wir müssen den Palästinensern Verluste, Opfer zufügen, so dass sie verstehen, dass sie durch den Terrorismus nichts gewinnen. Wir müssen sie schlagen und immer wieder schlagen, bis sie verstehen" (The Observer, 10. März 2002). Aber die PalästinenserInnen verstanden - sie hatten das Gefühl, dass die israelische Regierung die Absicht hatte die PalästinenserInnen zu besiegen, die Westbank und Gaza wiederzubesetzen und vielleicht eine Neuauflage von 1948 zu machen, als Hunderttausende PalästinenserInnen aus ihren Wohnungen vertrieben wurden als Ergebnis der Aktion der israelischen Militärkräfte. Aber sie zogen andere Schlussfolgerungen als die Scharonregierung erwartete. Mit dem Rücken zur Wand und der Bedrohung für ihre Existenz weigerten sie sich, sich einschüchtern zu lassen und wehrten sich.

Führende IDF-Offiziere kündigten vor dem Einmarsch in die Flüchtlingslager an, dass „alle Männer zwischen 14 und 45 sich friedlich ergeben sollten und bald wohlbehalten in ihre Wohnungen zurückkehren könnten. Wenn nicht, können sie verletzt werden." Tausende, die gefangengenommen wurden, bekamen die Augen verbunden und Handschellen angelegt, bevor sie weggebracht wurden. PalästinenserInnen haben geschichtliche Vergleiche zu den Ankündigungen gezogen, die die Nazis machten, bevor sie im Zweiten Weltkrieg in den jüdischen Ghettos in vielen europäischen Städten einmarschierten - besonders, weil in Tulkarem auf der Westbank den Festgenommenen eine Nummer auf den Arm geschrieben wurde, bevor sie in Gewahrsam genommen wurden. Doch Maßnahmen wie diese werden von allen Regimes angewandt, die versuchen, ein revoltierendes Volk mit militärischer Gewalt klein zu kriegen.

Ein richtiger Krieg?

Die letzten zwei Wochen waren die angespanntesten seit dem Beginn der „Al-Aksa-Intifada". Erneut stand die Region auf der Kippe zu einem richtigen Krieg - aber diesmal war sie viel dichter dran. Ein Angriff folgte mit wachsender Schnelligkeit und Intensität dem nächsten. Das israelische Regime war unfähig, die Flut der palästinensischen Vergeltungsangriffe aufzuhalten und trotz der überwältigenden Stärke seiner Waffen war es unfähig, die Lage zu kontrollieren. Arafat stand (zusammen mit den Führern seiner Sicherheitskräfte und dem Rest der Führung der Palästinenserbehörde) abseits und verhandelte ängstlich mit US-Außenminister Colin Powell, „die israelische Eskalation zu stoppen", während einfache PalästinenserInnen, die autonomen Tanzeem und Al-Aksa-Brigaden (die mit Arafats politischer Organisation Fatah verbunden sind) und die Hamas andere Taktiken anwandten, um sich den jüngsten IDF-Einfällen zu widersetzen. Wenn diese Lage länger fortbesteht, gibt es eine wirkliche Gefahr von weitverbreiteten und möglicherweise unkontrollierten Protesten der Massen in den arabischen Diktaturen des Nahen Ostens. Während dem ganzen IDF-Einfall in den Flüchtlingslager gab es tägliche Anti-US-Demonstrationen an der führenden Universität von Kairo gegen den Besuch von US-Vizepräsident Dick Cheney in Ägypten und gegen das Andauern der israelischen Militäraktion.

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina macht einen Prozess der „Libanonisierung" durch. Die IDF interveniert in nicht vertrautem und feindlichem Gelände, in dem sie das Kämpfen nicht gewöhnt ist - die Flüchtlingslager haben hohe Gebäude und Bevölkerungsdichte und enge Straßen, sie stehen einer extrem feindseligen Bevölkerung gegenüber, die nicht bereit ist, sich unterkriegen zu lassen oder aus ihren Häusern zu fliehen. Traditionelle Angriffsmethoden wie der Einsatz von Panzern sind nicht oft anwendbar. Die palästinensischen Milizen haben weniger ausgefeilte Waffen, sind aber sehr beweglich, motiviert und können nach Zusammenstößen schnell verschwinden, indem die örtliche Bevölkerung sie versteckt oder ihnen bei der Flucht hilft. Anders als im Südlibanon hat die israelische Armee keine Hilfstruppe, auf die sie sich in den besetzten Gebieten stützen kann. Nachdem sich die IDF-Generäle und die Scharon-Regierung auf eine Politik immer brutalerer Schläge verpflichtet haben, bringen diese Schwierigkeiten sie zu einer immer brutaleren militärischen Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung bei dem verzweifelten Versuch, Erfolge zu erzielen.

Libanonisierung

Wie ein israelischer Journalist in einem Artikel mit der Schlagzeile „Mein Herr, es ist der falsche Krieg!" kommentierte: „Der Kommandeur und seine Kollegen wären … gut beraten, ein gutes Buch über den Guerillakrieg zu lesen, zum Beispiel Mao Tse-tungs Abhandlung, die dem Guerillakämpfer sagt: Stell dich nie einer regulären Armee entgegen. Wenn die Armee angreift, verschwinde. Wenn die Armee nicht vorbereitet ist, greif’ an.

Zum Beispiel: Die Armee umzingelt Arafat in Ramallah - zerstöre einen Merkava-Panzer in Gusch Katif. Eine ganze Brigade fällt in Balata ein - schicke einen einzelnen Kämpfer los, der ein Team an einem Kontrollposten nahe Ofrah tötet. Eine Brigade greift Dschenin an - gehe ihr aus dem Blickfeld und sickere in der Atzmona-Siedlung ein.

Weil Stabschef Mofaz und seine führenden Offiziere den Charakter dieses Kampfes nicht mal verstehen, versagen sie … sie verwenden nach einander die Methoden, die schon in Algerien, Kenia, Südafrika, Vietnam und in Dutzenden anderen Ländern versagt haben" (Ha’aretz, 9. März 2002)

Die Gewaltspirale löste Entsetzen unter den diktatorischen Regimes im Nahen Osten aus. Es gab seit der Invasion des US-Imperialismus in Afghanistan zahlreiche Warnungen aus dieser Ecke, dass die Flutwelle der Wut der arabischen Massen auf die US-Regierung und die Rolle ihres Klientenstaats in der Region - Israel - ansteigt. Seit die Bush-Regierung klarmachte, dass sie Militäraktionen zum Sturz von Saddam Hussein im Irak beabsichtigt, wurden sie lauter. Eine Gallup-Umfrage in den arabischen Staaten am Vorabend von Vizepräsident Cheneys Besuch in der Region zeigte, dass 45 Prozent der Bevölkerung äußerst feindselig gegenüber der Rolle und den Absichten des US-Imperialismus in der Region waren. Diese Zahl stieg auf 70 Prozent als das Szenario eines tatsächlichen US-Angriffs gegen den Irak skizziert wurde.

Dies lag hinter dem letzten Friedensvorschlag von König Fahd von Saudi-Arabien. Selbst die US-Regierung, die durch ihre Außenpolitik im Alleingang charakterisiert ist, musste ihre frühere Haltung der Unterstützung für Israels Versuch zur Zerschlagung des Palästinenseraufstands aufgeben und gab ihr durch Colin Powell, eine der sogenannten „Tauben" in der Regierung, einen milden Tadel. Zum ersten Mal in der Geschichte unterstützte die USA eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, die über die „Vision eines neben Israel bestehenden Palästinenserstaates" sprach. Früher war die öffentliche Position der Bush-Regierung, die schreckliche Lage in Israel und Palästina zu ignorieren. Die „Änderung" im Ton ist nur ein Alibi und zielt zynisch darauf ab, Unterstützung unter reaktionären arabischen Regimes für eine Militäraktion gegen den Irak zu gewinnen. Wie Al-Rajah in Katar kommentierte: „Es scheint, dass die USA … wieder versuchen, ihr historisches Spiel mit den Arabern zu wiederholen. Sie versuchen, im Hinblick auf die zentrale palästinensische Frage die Wogen zu glätten und ihr Schweigen zu einem Angriff auf ein arabisches Bruderland zu erlangen" (13. März 2002)

Die Unfähigkeit des US-Imperialismus, des israelischen Kapitalismus, der arabischen Regime und der herrschenden Arafat-Clique, eine Lösung umzusetzen, die den äußerst bitteren nationalen Konflikt in der Region löst, führte zu einer qualitativ anderen Lage in Israel und Palästina. Der Manövrierraum für alle kapitalistischen Politiker verengt sich stündlich. Wichtige neue Merkmale treten auf, die die Möglichkeit eines allgemeinen Konflikts kurzfristig vergrößern.

Die Spirale des Blutvergießens - ein Gemetzel im großen Stil, in dem ArbeiterInnen, Jugendliche und die ärmsten Teile der Gesellschaft auf beiden Seiten der nationalen Spaltung die Opfer sind - hat einfache Menschen international entsetzt. Die Brutalität der IDF hat weitere Millionen empört. Es war nie klarer, dass die im Nahen Osten beteiligten kapitalistischen Politiker bloß zynisch ihre eigenen Interessen verteidigen. Die beteiligten politischen Eliten sind unfähig einen wirkliche Befreiung der palästinensischen Massen zu erreichen oder die Sicherheit und das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen der israelischen Bevölkerung zu garantieren. Sie wollen das auch gar nicht.

Es gab eine qualitative Steigerung im Ausmaß und der Intensität der IDF-Militäraktion. Die Entscheidung, in den Flüchtlingslagern einzumarschieren, angeblich auf der Suche nach „Terroristen", ist in Wirklichkeit eine Kriegserklärung an die palästinensischen Massen insgesamt und soll sie durch Terror zur Unterwerfung bringen. Es ist auch klar, dass die israelische Militärelite jedem israelischen Soldaten Grünes Licht gegeben hat, auf jeden bewaffneten Palästinenser ohne Warnung zu schießen. Das israelische Militär hat auch offensichtlich seine Praxis beendet, ihre palästinensischen Gegenstücke zu warnen, bevor sie Ziele der Palästinenserbehörde bombardieren. Dies erklärt den Anstieg der Todesziffern in letzter Zeit. Beide Entscheidungen reichen für sich genommen aus, einen viel größeren Konflikt zu entfachen, wenn ihre Wirkung zunehmend spürbar wird.

Verbissene Entschlossenheit

Die wachsende Brutalität der IDF-Aktionen bewirkte das Gegenteil des Beabsichtigten. Sie hat die palästinensischen Massen in Bewegung gebracht, die das Gefühl haben, dass ihre Existenz bedroht ist. Apathie und Demoralisierung, die vorher große Teile der palästinensischen Bevölkerung erfasst hatten, wurden durch eine verbissene Entschlossenheit ersetzt, um die eigene Existenz zu kämpfen. Die Verstärkung der IDF-Militäraktion in den Flüchtlingslagern nach der US-Ankündigung, sie würden den „Friedenbotschafter" Zinni in die Region schicken, empörte die PalästinenserInnen noch mehr. Sie betrachteten das als zynisches Manöver des israelischen Regimes, vor der Ankunft von Zinni Angriffe durchzuführen , so dass sie nach seiner Ankunft eine Show aus ihrem Rückzug machen konnten.

Als Ergebnis folgte niemand der Aufforderung der IDF an alle palästinensischen ZivilistInnen, die Gebiete der Flüchtlingslager zu verlassen, in die einmarschiert werden sollte. Tatsächlich zogen sich die Mitglieder der palästinensischen Milizen aus diesen Gebieten zurück, um ihre Kampfkraft zu behalten und anderswo Schläge gegen israelische Ziele zu führen. Dies stellt eine ungeheure Entwicklung im Bewusstsein dar. Es zeigt eine starke Identifizierung zwischen den palästinensischen Massen und den Milizen. Aber es zeigt auch an, dass die geschichtlichen Lehren in das Bewusstsein der einfachen PalästinenserInnen eingebrannt sind. 1948 terrorisierten israelische Paramilitärs Hunderttausende palästinensische ZivilistInnen und vertrieben sie aus ihren Wohnungen. Dies führte zur Schaffung der Flüchtlingslager, die es in vielen arabischen Ländern des Nahen Osten gibt und heißt unter den PalästinenserInnen Al Naqba - die Tragödie.

Diese Entwicklungen im Bewusstsein und eine gewisse Steigerung in der Moral ergeben sich auch aus der Entwicklung ausgefeilterer Taktiken des bewaffneten Kampfes auf Seiten der palästinensischen Milizen. Dies führte zusammen mit der verbissenen Entschlossenheit der PalästinenserInnen, um ihre Leben zu kämpfen, zu einer Zunahme der Zahl der getöteten israelischen SoldatInnen. Während der vergangenen 16 Monate der Intifada wurde pro getötete fünfundzwanzig PalästinenserInnen ein israelischer Soldat getötet. Jetzt ist das Verhältnis ein Soldat auf drei PalästinenserInnen. Im letzten Monat wurden 33 israelische Soldaten getötet - das ist eine höhere Zahl als jemals während des Libanonkriegs.

Am 14. Februar 2002 griffen Kämpfer der Al-Aksa-Brigaden einen Merkava-3-Panzer an und zerstörten ihn, der als Vergeltung für frühere Angriffe auf palästinensische Stellungen ins Palästinensergebiet geschickt worden war. In zwei Fällen wurden von Hamas hergestellte Kassam-2-Raketen aus dem Palästinensergebiet nach Israel geschossen. Ereignisse wie diese versetzen dem Prestige der israelischen Militärelite schwere Schläge. Es zeigt die Prioritäten der israelischen Militär- und politischen Elite klar, dass die Reaktion auf Angriffe wie diese viel brutaler ist als wenn Selbstmordattentäter zahlreiche ZivilistInnen in Israel töten.

Eine Reihe von Angriffen hat auf militärische Kontrollposten - über hundert, die jetzt Dauereinrichtungen sind - stattgefunden. Diese Kontrollposten sind mehr als alles andere die verhasstesten Symbole der Nach-Oslo-Herrschaft geworden. Ihr Vorhandensein bedeutet eine tägliche Demütigung, Misshandlung und Ermordung Tausender PalästinenserInnen. Die Kontrollposten, die ein palästinensischer Analyst als „Fabriken für Selbstmordattentäter" bezeichnet, haben deutlich gemacht, dass die Palästinenserbehörde kein zusammenhängendes Gebiet hat, sondern eine Reihe von geteilten und eingekreisten Bantustans. Die IDF nennt dieses Arrangement „Tigerfell" - die Westbank ist in 63 Landstücke eingeteilt und Gaza in sechs verschiedene Zonen. Kontrollposten erinnern die PalästinenserInnen täglich daran, dass sie in Gefängnissen leben, deren Wächter sowohl israelisch als auch palästinensisch sind. Die Kontrollposten wurden die Mittel, mit denen die Wirtschaftsblockaden umgesetzt und kollektive Bestrafungen durchgeführt werden. Sie kristallisieren die Erinnerung an das Leiden, das die PalästinenserInnen seit der Unterzeichnung des Osloer „Friedensabkommens" von 1994 hatten.

Die Gesellschaft zerfällt

Nicht nur die Infrastruktur der Palästinenserbehörde zerfällt als Ergebnis der Militärangriffe - auch die Gesellschaft. Hunderttausende PalästinenserInnen wurden seit September 2000 periodisch an der Arbeit in Israel gehindert. Das Embargo auf Exporte von palästinensischen Waren hat die Landwirtschaft schwer geschädigt, eine der Säulen der palästinensischen Wirtschaft. Die Zahl der Totgeburten hat sich verdoppelt und psychische Erkrankungen sind empor geschnellt. Über 65 Prozent der Bevölkerung in Gaza leben unter der Armutsgrenze. 400.000 PalästinenserInnen von 845.000 Erwerbspersonen sind seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Selbst der Lebensstandard von Mittelschicht-PalästinenserInnen wurde verheert, die Ersparnisse sind bei Null. Einer der wenigen Faktoren, der die Gesellschaft zusammenhält - und zwar ein starker Faktor - ist der Kampf für nationale Befreiung und gegen eine Wiederbesetzung. Diese Zahlen sind trockene Statistik. Aber hinter jeder Zahl steht ein Beispiel dafür, dass die palästinensischen Massen nichts zu verlieren haben und unbedingt eine Führung brauchen, die auf der Höhe ihrer Opferbereitschaft ist.

Arafats Versagen, während dem letzten Angriff irgendwie zu führen, hat seine Autorität weiter untergraben und umgekehrt die der Al-Aksa-Brigaden, von Hamas und den Tanzeem erhöht. Dies zeigt, was für eine gewaltige Fehleinschätzung der israelischen herrschenden Klasse die letzte Steigerung der militärischen Aktivität war. Viele Führer von Gruppen wie den Al-Aksa-Brigaden und den Tanzeem sind auch Mitglieder der Fatah - Arafats politischer Organisation. Es zeigt seine schrumpfende Autorität und den wachsenden Druck einfacher PalästinenserInnen an, dass Gruppen wie sie immer mehr an Selbstmordattentaten und Angriffen auf die IDF beteiligt sind. Aber dies bedeutet nicht, dass sie unter seiner Leitung stünden. Sie handeln autonom, bleiben aber in der Fatah, weil sie nicht wünschen, in offenen Konflikt mit Arafat und der Führung der Palästinenserbehörde zu geraten, solange diese Verbindung kein Hindernis ist, die Unterstützung in der Bevölkerung zu behalten.

Manche Berichte haben auf eine Zunahme der Unterstützung für Arafat hingewiesen. Dies stellt ein Sich-Sammeln gegen einen Feind dar, der die Absicht der Zerstörung der PalästinenserInnen zu haben scheint. Sie hat die Haltung der vielen AktivistInnen gegenüber seinem Verrat an den palästinensischen Massen nicht geändert. Sie fand nur wegen dem Hausarrest statt, den es während der letzten zwei Monate als Folge der IDF-Blockade seines Gebäudes in Ramallah in der Westbank gab. Die Haltung vieler PalästinenserInnen ist wohl gewesen, dass während der Blockade Arafat unter den selben Bedingungen gelitten hat wie die Mehrheit der Bevölkerung, ohne die Knie zu beugen.

Seine Weigerung, Zugeständnisse zu machen, hielt nicht lange an - als Gegenleistung für die Festnahme aller für die Ermordung des israelischen Tourismusministers für verantwortlich gehaltenen, hob die IDF die Blockade auf. Meinungsumfragen und Straßenproteste während der nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie kurzlebig die Zunahme von Arafats Popularität war, wenn er wahrscheinlich weiterhin Kompromisse mit dem US-Imperialismus und dem israelischen Regime macht. Vor den letzten Militäroperationen der IDF gab es eine Reihe von Demonstrationen vor den Gefängnissen der Palästinenserbehörde als Protest gegen Verhaftungen von PalästinenserInnen, die angeblich für „terroristische" Anschläge verantwortlich waren, durch die Behörde auf Anweisung des israelischen Regimes. In vielen Fällen verwandelten sie sich in Krawalle, die dazu führten, dass Gefangene befreit wurden - manchmal gewaltsam.

Wenn Arafats Autorität völlig zerfällt und Teile seines Sicherheitsapparats sich von ihm abspalten, werden Tanzeem-Führer wie Marwan Barghoutti auf der Westbank ihre Verbindungen mit Arafat beenden. Barghoutti ist einer der Führer, der auf verzerrte Weise den Druck unter den Massen und die Debatten über Taktik, die unter den AktivistInnen stattgefunden haben, zum Teil widergespiegelt haben. Es gibt Unterschiede in der Herangehensweise zwischen den palästinensischen Milizen. Hamas und Al-Aksa-AktivistInnen haben weiterhin Selbstmordattentate durchgeführt. Es zeigt die Verzweiflung der PalästinenserInnen an, dass Eltern von Selbstmordattentätern nach deren Tod sagen, dass sie wünschten, dass alle ihre Kinder auf diese Weise die Ehre hätten, Märtyrer zu sein. Die Selbstmordattentäter werden durch das motiviert, was sie als Heroismus sehen, und durch eine riesige Wut auf die vom israelischen Regime begangenen Gräueltaten. Massenwiderstand gegen bewaffnete IDF-Intervention ist eine Sache, aber Selbstmordattentate eine andere.

Das CWI meint, dass die Taktik von Selbstmordattentaten nicht richtig ist und das Gegenteil des Beabsichtigten bewirkt. Sie untergräbt nicht die Unterstützung der [israelischen] Bevölkerung für die militärische Kampagne des israelischen Regimes gegen die PalästinenserInnen, sondern treibt große Teile der Bevölkerung in die Arme der reaktionärsten Elemente der Gesellschaft. Sie untergräbt die Unterstützung für den palästinensischen Kampf für nationale Befreiung unter den ArbeiterInnen und Jugendlichen international. Sie führt zum Tod von AktivistInnen, die mit richtiger Taktik und Strategie jahrelang eine entscheidende Rolle im Kampf spielen könnten.

Rolle des bewaffneten Kampfes

Barghoutti hat eine etwas andere Herangehensweise. Früher rief er zu einer Wiederaufnahme des Massenkampfs der PalästinenserInnen auf, die das Anfangsstadium der Intifada kennzeichnete. Kürzlich argumentierte er für bewaffnete Selbstverteidigung und dass die Kontrollposten zu den Zielen des Kampfes der PalästinenserInnen gehören sollten. Unter den heute bestehenden Bedingungen haben die PalästinenserInnen keine Wahl als sich zu verteidigen - mit Waffen in der Hand. Aber welche Rolle sollte die militärische Taktik spielen und wie sollte sie geleitet werden? Es stimmt, dass die gegenwärtigen IDF-Operationen zeigen, dass die israelische herrschende Klasse keine militärische Lösung gegen die palästinensischen Massen erreichen kann. Aber die PalästinenserInnen können durch einen rein militärischen Kampf auch keine wirkliche nationale Befreiung erlangen. Die Fähigkeit des israelischen Regimes, militärisch einzugreifen, beruht letztlich auf den sozialen Grundlagen der israelischen Gesellschaft, das heißt auf der Unterstützung für ihre Aktionen unter der israelischen jüdischen Arbeiterklasse und Mittelschicht. Die Untergrabung dieser Unterstützung ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg wirklicher sozialer und nationaler Befreiung. Dies bedeutet nicht, dass die palästinensischen Massen ihren Kampf vertagen sollten, bis die Mehrheit der israelischen Jüdinnen die Notwendigkeit eines wirklichen palästinensischen Staates akzeptiert hat. Teil der Ziele des Kampfes sollte die Beschleunigung des Verständnisses unter israelischen jüdischen ArbeiterInnen und Jugendlichen sein, dass der israelische Kapitalismus Fortsetzung des Krieges in der Region und soziale und wirtschaftliche Verheerung für diejenigen bedeutet, die für die israelische herrschende Klasse kämpfen sollen. Die größte Waffe in den Händen der palästinensischen Massen ist die Entwicklung politischer Ideen und einer Strategie, die sowohl Massenopposition gegen die Besatzung organisieren als auch die soziale, wirtschaftliche und militärische Unterstützung für den israelischen Kapitalismus selbst unter den israelischen JüdInnen untergraben kann. Fragen von militärischer Strategie und dem Selbstverteidigungsrecht der PalästinenserInnen ergeben sich daraus.

Ein erfolgreicher Kampf würde einen Massenkampf der PalästinenserInnen unter der demokratischen Kontrolle gewählter Volks-Kampfkomitees bedeuten. Demonstrationen von Zehntausenden in den von Kontrollposten umgebenen Gebieten würden die vereinigte Opposition gegen die fortgesetzte Besatzung durch die IDF demonstrieren. Ein Element dieses Kampfes würde die Bildung von Selbstverteidigungskomitees erfordern, aber auch ihre Tätigkeit sollte unter der demokratischen Kontrolle der Massen sein. Durch den Einsatz von Lautsprechern, Flugblättern und Wandparolen könnten die AktivistInnen den in die Gebiete geschickten Wehrpflichtigen erklären, dass die israelischen jüdischen ArbeiterInnen und Jugendlichen zwei Möglichkeiten haben: entweder einen fortgesetzten Kreislauf von Krieg und Blutvergießen (in dem die PalästinenserInnen bis zum Ende kämpfen würden) oder einen Kampf für den Sturz des Kapitalismus in Israel und Palästina, dem echte und offene Verhandlungen zwischen gewählten VertreterInnen von beiden Seiten der nationalen Spaltung folgen würden, die ihre Beratungen auf die Anerkennung der nationalen, religiösen und ethnischen Rechte aller Beteiligten stützen würden und diskutieren würden, wie die Ressourcen der Region die Sicherheit und den Lebensstandard aller sichern könnten, die dort leben.

Aber selbst Führer wie Barghoutti werden nie diesen Weg beschreiten. Sie drücken zwar die Wut der palästinensischen Massen aus, sehen sich aber als die künftigen Führer eines palästinensischen Staates mit dem Reichtum, der Macht und dem Prestige, die eine solche Stellung bringt. Die Tanzeem-Führer wissen, dass die Entlarvung der Rolle des Kapitalismus in der israelischen Gesellschaft, ihr Fehlen an wirklicher Demokratie und die damit verbundene Klassenspaltung, dazu führen würde, dass sich die einfachen PalästinenserInnen sofort die selben Fragen über die Bedingungen stellen, unter denen sie leben. Sie verstehen auch instinktiv, dass die Übernahme eines ArbeiterInnen-Kampfprogramms in irgend einer Form auch eine Gefahr für die anderen arabischen Regime in der Region darstellen würde, von denen sie zum Teil Unterstützung haben wollen.

Das Paradoxe an der Lage ist, dass die Bedingungen für solch einen Ansatz trotz des reaktionären Charakters der Scharon-Regierung und des extrem hohen Gewaltniveaus nie günstiger waren. Die neoliberale Politik, die die einander folgenden Regierungen in Israel verfolgt haben, hat die Staatsunterstützung erschüttert, die es in den frühen Jahren des Staats gab. Über 70 Prozent der israelischen Bevölkerung fühlen, dass Scharon in sozialen und wirtschaftlichen Fragen die Erwartungen nicht erfüllt. Es gibt ein intensives Gefühl von Verrat unter der Mehrheit der israelischen Bevölkerung, dass während die Mehrheit ihre Leben in fünf Kriegen opfern musste, die korrupte Minderheit ihre Taschen mit einem ungeheuren Reichtum gefüllt hat. Wie Ha’aretz am ersten Jahrestag von Scharons Regierung kommentierte: "Scharon beendet sein erstes Jahr mit einem Land im Zustand des Rückschritts in den Bereichen Verteidigung, Wirtschaft, Politik und sozialer Wohlfahrt" (5. März 2002). Ein Anzeichen für das Ausmaß der Bitterkeit war der Umstand, dass zum ersten Mal in einer Lage von beinahe Krieg die israelischen ArbeiterInnen weiter gestreikt und gegen die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung demonstriert haben. Wie ein Gemeindeführer aus Sderot, einer israelischen "Entwicklungs"stadt - eine Schönfärberei für verarmte Städte, in denen sich neuankommende EinwanderInnen ansiedeln sollen - kürzlich kommentierte: "Armut betrifft uns viel mehr als Kassam-Raketen" (The Observer, 10. März 2002).

Während den letzten paar Wochen gab es eine deutliche Änderung in der Medienberichterstattung über die Ereignisse im Nahen Osten, die die veränderte Lage widerspiegelt. Vorher war die Presse voller Artikel, die die Schwäche von Arafats Stellung skizzierten. Jetzt ist Scharon in der Schusslinie. Das liegt am Zusammenbruch der Unterstützung für ihn in Sicherheitsfragen, die bedeutet, dass in den letzten zwei Wochen 49 Prozent der Bevölkerung das Gefühl haben, dass er keine Antwort in den Sicherheitsfragen hat. Die rechtere westliche Presse hat ihr Feuer auf Scharon gerichtet, weil er als jemand gesehen wird, der die Kampagne behindert, den Irak aufs Ziel zu nehmen.

Sabra-und-Schatilla-Mann

Zeitungen wie Ha’aretz haben ihm den Spitznamen "Sabra-und-Schatilla-Mann" gegeben und ihn vernichtend kritisiert, Artikel gedruckt, die erklären, dass selbst seine engsten Freunde glauben, seine Regierung sei mausetot und gaben einem Kommentar zu seiner Jubiläumsrede den Titel: "Der Löwe miaute". Das liegt ziemlich klar daran, dass seine Politik zur Unterdrückung der PalästinenserInnen nicht funktioniert hat und zu einer Zunahme der Selbstmordattentate geführt hat. Avischai Margalit, ein israelischer Kommentator, fasste die Stimmung in Israel kurz und bündig zusammen: "Ich glaube nicht, dass es einen rationalen Plan hier gibt, der irgendwo hin führt. Für die meisten Leute gibt es keine Alternative. Ich erinnere mich nicht, dass die Menschen jemals so deprimiert waren, auch nicht, als ich während des Unabhängigkeitskriegs ein Kind war und während der schlimmsten Tage in Jerusalem, als die Zukunft auf der Kippe stand" (Washington Post Service, 7 Februar 2002). Zum ersten Mal in der israelischen Geschichte haben jüdische Eltern ihre Kinder ermutigt, ins Ausland zu gehen, weil sie keine Zukunft für die nächste Generation sehen. Dies ist eine äußerst bedeutsame Entwicklung in einem Land, das in der Vergangenheit durch einen großen Nationalstolz gekennzeichnet war und dessen Existenz auf der Zuwanderung aus dem Rest der Welt beruhte.

Nirgends werden diese Fragen schärfer gestellt als von den 322 ReservistInnen, die einen Brief unterschrieben haben, in dem sie sich weigern, in den Besetzten Gebieten Dienst zu tun. Das Tempo, mit dem sich diese Bewegung entwickelte und die Sprache, die sie verwendet, ist auch ein Zeichen für die Stimmung unter breiten Schichten in der Gesellschaft. Es stimmt, dass im März 1978 eine Gruppe von Reserveoffizieren einen Brief unterschrieb, indem sie ein Ende des Regierungsabenteuers im Libanon forderte - der schließlich zur Bildung von Peace Now [Frieden jetzt] führte. Aber die Sprache, die diese ReservistInnen verwendet haben, ist viel schärfer, wie folgendes Zitat zeigt: "Wir, die wir wissen, dass die Gebiete nicht Israel sind und dass alle Siedlungen schließlich geräumt werden müssen, wir erklären hiermit, dass wir diesen Krieg der Siedlungen nicht weiter führen werden. Wir werden nicht mehr jenseits der Grenzen von 1967 kämpfen, um ein ganzes Volk zu beherrschen, zu vertreiben, auszuhungern und zu demütigen". Selbst VertreterInnen der Elitebrigaden haben riesige Zweifel bezüglich der jüngsten Einfälle in die Flüchtlingslager. In einem Artikel in dem Massenblatt Yedioth kommentierte ein Soldat der Golani-Brigade: "Sterben, um einen Gesuchten zu fangen? Wenn der erste Panzer seinen Motor anwirft, wird der Gesuchte weg sein. Warum sterben, um Häuser zu zerstören? Für jedes Haus, das fällt, wird Israel dreimal von Terroristen getroffen werden. Warum für Alarm sterben? Werdet ernst. Eines Tages, wenn wir gehen, werden sie mit der Überraschung des Jahrhunderts warten." (4. März 2002) Ein Militäranalytiker in der selben Zeitung beschrieb die IDF als "tölpelhafte Armee, die sich mühsam bewegt, und immer wieder das Bild von David gegen Goliath heraufbeschwört" (International Herald Tribune, 15. Februar 2002).

Es scheint, als ob die Scharon-Regierung die Lehren der ersten Intifada völlig vergessen hat - dass es keine dauerhafte militärische Lösung der palästinensischen Frage gibt. Dies liegt nicht nur daran, dass Scharon - oder andere Führer -dumm oder brutal sind, obwohl dies zweifellos ein Faktor ist. Es spiegelt den extrem begrenzten Manövrierraum wider, den Scharon hat. Bei einem verzweifelten Versuch, die herrschende Koalition zusammenzuhalten, macht er Zickzacks zwischen verschiedenen Politiken, befriedigt erst die reaktionären rechten Parteien und dann die Arbeiterpartei. Er glaubt auch - wie die Generäle - dass die Angriffe auf Israel das Prestige der Armee und daher langfristig ihre eigene Stellung untergraben. Diese einander widersprechenden Einflüsse haben seine Handlungen in den letzten Wochen geformt. Unter Druck hat er die Taktik hinter dem ganzen Friedensprozess ausgeplaudert, als er kürzlich sagte: "Es wird nicht möglich sein, eine Vereinbarung zu erreichen, bevor die Palästinenser hart getroffen werden. Jetzt müssen sie hart getroffen werden. Wenn sie nicht kräftig geschlagen werden, wird es keine Verhandlungen geben. Erst nachdem sie geschlagen worden sind, werden wir Gespräche führen können." (International Herald Tribune, 5. März 2002) Mit anderen Worten - schafft Fakten vor Ort, drescht die PalästinenserInnen in den Boden und dann geben wir ihnen ein paar Krümel. Das sind keine Friedensverhandlungen, sondern aufgezwungene Kapitulationsbedingungen.

Scharon ist selbst aus dem Blickwinkel der herrschenden Klasse auf dem Weg zu einer Katastrophe. Ein Interview mit Ami Ayalon, dem früheren Chef von Schin Bet (israelische Geheimdienste), kommentierte, "Jassir Arafat bereitete die Intifada weder vor noch löste er sie aus. Die Explosion war spontan, gegen Israel…und gegen die Palästinenserbehörde, ihre Korruption, ihre Ohnmacht …Der Friedensprozess ermöglichte es Arafat als Chef der nationalen Befreiungsbewegung und nicht als Kollaborateur von Israel erscheinen. Ohne das kann er weder gegen die Islamisten noch gegen seine eigene Basis kämpfen, die Palästinenser würden ihn anschließend auf einem öffentlichen Platz aufhängen" (Le Monde, 22. Dezember 2001)

Während Scharon vielleicht nicht darauf abzielt, Arafat zu stürzen oder zu ermorden, kann doch die Palästinenserbehörde zerfallen und Arafat stürzen als Gesamtergebnis der Angriffe. Manche extremen Reaktionäre haben früher Arafats Abgang ermutigt und hofften, dass ein Hamas-geführtes Regime ihn ersetzen könnte, so dass die IDF sie zerschlagen könnte, ohne sich um die internationale Reaktion zu sorgen. Es ist wahrscheinlich, dass das israelische Regime schon Diskussionen mit führenden Mitgliedern der Palästinenserbehörde wie Saeb Erekat oder den Sicherheitschefs Dahlan oder Rajoub hat in der Hoffnung, dass "Gemäßigte" wie diese Arafat folgen. Aber dies ist eine äußerst riskante Möglichkeit für Scharon. Wenn Arafat als Ergebnis der israelischen Aktionen verdrängt wird, könnte die Reaktion unter den Massen die Tanzeem-Führer an die Spitze der Führung bringen. Und selbst dies wird wahrscheinlich keine einfache Ersetzung Arafats durch andere Führer sein. Arafat hat überlebt durch das Manipulieren und Verstärken von Spannungen und Unterschieden zwischen seinen Gegnern und Untergebenen. Dies wird an die Oberfläche kommen, wenn er entfernt wird, und könnte dazu führen, dass die Spannungen in der Palästinenserbehörde möglicherweise zu Konflikten und Elementen von Bürgerkrieg führen.

Scharon hat unter Druck des US-Imperialismus angedeutet, dass er seine Forderung nach sieben Tagen Ruhe bevor er für neue Verhandlungen bereit sei, fallengelassen habe. Er hat einen Abzug der israelischen Kräfte aus den Flüchtlingslagern befohlen, gerade als Zinni, der US-Unterhändler, in Israel ankam. Kofi Annan, der Chef der Vereinten Nationen, drückte die Furcht vieler kapitalistischer Politiker international vor den destabilisierenden Wirkungen der jüngsten israelischen Einfälle aus, als er sagte: "Sie müssen die illegale Besetzung beenden. Sie müssen die Bombardierung ziviler Gebiete beenden, die Morde, die unnötige Verwendung tödlicher Gewalt, die Zerstörung und die tägliche Demütigung einfacher Palästinenser." Aber vielen einfachen PalästinenserInnen wird es schwer fallen, sich die "Vision eines palästinensischen Staates" vorzustellen, die der UN-Sicherheitsrat beschlossen hat, wenn sie gegenwärtig nur Blutvergießen in großem Umfang sehen können.

Die Position der Unterstützung der Bush-Regierung für ein hartes Vorgehen gegen Arafat hat sich nicht grundlegend geändert. Sie sind, was Israel betrifft, Gefangene ihrer Propaganda seit dem 11. September über ihren "Krieg gegen den Terrorismus". Wichtiger ist, dass die Republikaner bald vor wichtigen Halbzeitwahlen stehen, wo die jüdischen Stimmen für sie wichtig sein werden. Ihr Druck ist auch kalt kalkuliert, um den Weg für die Unterstützung der arabischen Führer bei der vorgeschlagenen Aktion gegen den Irak zu bereiten. Deshalb haben sie den Friedensplan des saudischen Kronprinzen Abdullah kühl unterstützt. Aber wahrscheinlich wird nur das Zugestehen wirklicher nationaler Befreiung und voller IDF-Abzug aus den Besetzten Gebieten die arabischen Massen zufrieden stellen. Dies wird kurzfristig sicher nicht passieren, nicht vor einem US-geführten Angriff gegen den Irak, und ist unmöglich, solange Kapitalismus und Imperialismus die Region beherrschen.

Eines der Merkmale der neunziger Jahre war der ungeheure Abscheu vor den Politikern unter der Arbeiterklasse international. In der neokolonialen Welt wurde diese Stimmung vertausendfacht, wenn es um die Rolle des US-Imperialismus in Afrika, Asien und Lateinamerika ging. Aber dieses Merkmal hat sein Spiegelbild in der ungeheuren Arroganz und dem Mangel an Verständnis des US-Imperialismus gegenüber den Massen in der neokolonialen Welt. Dies ist besonders in der arabischen und moslemischen Welt der Fall. Bushs Berater unterschätzen das Ausmaß der Wut, die es gibt und wie sie explodieren könnte, wenn die USA den Irak angreifen. Sie glauben, dass eine minimale Unterstützung für den saudischen Friedensplan in Worten während einem neuen "Wüstensturm" Ruhe erkaufen könne. Aber sie verstehen überhaupt nicht, dass die Weltlage völlig anders ist als die, die es zur Zeit des Golfkriegs 1991 gab. Man versteht allgemein, dass das Osloer "Friedensabkommen" im Gefolge des Golfkriegss entstand. Aber gerade die Erfahrung von Oslo und die wachsende Unterdrückung, die es gebracht hat, bedeutet, dass der selbe Vertrauenstrick nicht wieder gemacht werden kann. Ein Wirbelsturm von arabischer Wut erwartet den US-Imperialismus, wenn er eine Invasion im Irak versucht. Dies könnte eine ganze Reihe arabischer Regime mit Sturz bedrohen, wenn sie die Kriegsziele des US-Imperialismus nicht entschlossen ablehnen.

Saudischer Friedensplan

Der saudische Plan schlägt die Normalisierung der Beziehungen zwischen allen arabischen Ländern und Israel vor als Gegenleistung für den israelischen Rückzug auf seine Grenzen von 1967 und das Zugeständnis eines unabhängigen palästinensischen Staats mit seiner Hauptstadt in Ostjerusalem. Dies ist grundlegend das, was in den Camp-David-Gesprächen im Dezember 2000 angeboten wurde, als Bill Clinton einen letzten Versuch organisierte, eine Vereinbarung zwischen Arafat und Ehud Barak, dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten zu erzielen. Tatsächlich haben die Saudis in privaten Gesprächen schon vor jeden Verhandlungen in der Frage Jerusalem, der palästinensischen Flüchtlinge und Land mehr Zugeständnisse als Arafat gemacht. Damals weigerte sich Arafat wegen dem riesigen Druck von unten, das Abkommen zu unterschreiben.

Kronprinz Abdullah fürchtet einerseits die Folgen fortgesetzter IDF-Angriffe auf die arabischen Massen. Andererseits möchte er seine eigene Herrschaft innerhalb Saudi-Arabiens festigen und nach kürzlich durchgesickerten Presseberichten über Spannungen in ihren Beziehungen und wachsendem Druck der Saudis auf die USA, ihre Basen aus Saudi-Arabien abzuziehen, bei den USA Punkte sammeln.

Aber es ist fast unmöglich für die Scharon-Regierung, diesen Forderungen zuzustimmen. Es ist bei seiner geschwächten Stellung und vor dem Hintergrund des schlimmen Charakters der letzten 17 Monate Intifada unwahrscheinlich, dass Arafat solch ein Friedensabkommen den palästinensischen Massen verkaufen kann. Das höchste, was man kurzfristig erwarten kann, ist der Beginn von Verhandlungen, ein Waffenstillstand oder eine Verringerung des Ausmaßes der Gewalt.

Zwei extrem rechte Minister der Nationalen Union haben die Koalitionsregierung verlassen. Es ist möglich, dass Netanjahu, der frühere Likud-Führer und Ministerpräsident sich mit diesen Kräften verbündet, um eine Kampagne für die nächsten Wahlen entweder innerhalb oder außerhalb von Likud zu beginnen. Die Zerbrechlichkeit der Koalition wird täglich klarer. Eine starke Alternative mit starker Unterstützung gibt es gegenwärtig nicht. Es wäre unter den gegenwärtigen Bedingungen für die israelische herrschende Klasse verheerend, wenn Netanjahu wiedergewählt wurde. Aus diesem Grund könnte ein Kandidat wie Ami Ayalon, der frühere Schin-Bet-Chef, eine nicht mit der Beteiligung an der israelischen Politik befleckte Person, überzeugt werden, seinen Hut in den Ring zu werfen.

Ayalon befürwortet, was er den bedingungslosen Abzug der IDF nach Israel bei voller Anerkennung eines palästinensischen Staats nennt. Aber es ist leicht, von außen vorzuschlagen, was eine vernünftige Lösung des Problems zu sein scheint - selbst aus einem liberalen kapitalistischen Blickwinkel. Aber solch eine Politik umsetzen, wenn man an der Macht ist, ist eine ganz andere Sache wegen der Opposition der rechten reaktionären Kräfte in der israelischen Gesellschaft. Eine Forderung nach bedingungslosem IDF-Abzug könnte unter Bedingungen von fortgesetztem Blutvergießen in der israelischen Gesellschaft Schwung bekommen. Aber die Folgen dieses Handlungsverlaufs würde alle kniffligen Fragen an die Oberfläche bringen, die das Scheitern aller anderen Versuche einer Vereinbarung auf kapitalistischer Grundlage verursacht haben. Dies sind die Siedlungen, Jerusalem und die heiligen Stätten, die Besetzung des Golan und die Frage der Flüchtlinge. Jeder Versuch der Zwangsräumung der Hunderte Siedlungen würde, selbst wenn er anfänglich erfolgreich wäre, zu Racheangriffen auf PalästinenserInnen führen, die in Israel leben und den Weg für Elemente des Bürgerkriegs und die ethnische Säuberung der israelischen Gesellschaft bereiten.

Pufferzonen

Alles, was Scharon angeboten hat, ist die Schaffung von Pufferzonen, die das Annektieren von palästinensischem Gebiet beinhalten würde als Versuch, Selbstmordattentäter rauszuhalten. Dies könnte der erste Schritt zu einer einseitigen Trennung sein, in der die israelische Regierung erklären würde, wo die Grenzen eines palästinensischen Staats sein würden. Dies könnte nur erreicht werden durch einen vorherigen Einmarsch in dem palästinensischen Gebiet und seiner Besetzung, in dem manche israelische jüdische Siedlungen stehen, und die Räumung anderer. Wie das CWI vorher erklärt has, könnte das Ergebnis einer solchen Aktion eine balkanartige Lage in Israel sein mit der ethnischen Säuberung Hunderttausender israelischer PalästinenserInnen und einem bösartigen und blutigen Bürgerkrieg.

Die Grundlage jeder wirklichen Lösung für den Kreislauf aus Gewalt im Nahen Osten liegt in den armen BäuerInnen, ArbeiterInnen und Jugendlichen auf beiden Seiten der nationalen Spaltung, nicht in den korrupten kapitalistischen Politikern, die im Namen von Friedensabkommen Krieg führen. Der Sturz des Kapitalismus in der Region und seine Ersetzung durch einen sozialistischen palästinensischen Staat und ein sozialistisches Israel als Teil einer sozialistischen Konföderation der Region bleibt die einzige Antwort auf die düsteren Aussichten, vor denen sonst künftige Generationen in der Region stehen. Deshalb ist der Aufbau einer starken Arbeiterbewegung auf beiden Seiten der nationalen Spaltung in Israel und Palästina, die diesen Ideen verpflichtet ist, eine so dringende Aufgabe für SozialistInnen in der Region.

Das CWI kämpft für:

  • Den sofortigen Abzug der israelischen Armee aus allen Bereichen der Besetzten Gebiete - Gaza und Westbank
  • Schluss mit der Blockade palästinensischer Städte und Dörfer.
  • Für einen Massenkampf der PalästinenserInnen unter ihrer demokratischen Kontrolle, um für echte nationale und soziale Befreiung kämpfen.
  • Für die Errichtung von Basis-Volkskomitees, die die Grundlage für eine wirkliche Arbeiterführung bilden werden. Diese Komitees sollen zum Zweck der Verteidigung unter der demokratischen Kontrolle der Massen bewaffnet sein.
  • Ein Kampf der palästinensischen ArbeiterInnen und Jugend (in Gaza und der Westbank) gegen ihre doppelte politische und wirtschaftliche Unterdrückung durch den israelischen und palästinensischen Kapitalismus und für die Erhöhung ihres Lebensstandards.
  • Ein Ende der Verwendung israelischer SoldatInnen als Kanonenfutter durch die israelische herrschende Klasse und Armeegeneräle. Für das Recht aller Wehrpflichtigen und Reservisten, den Dienst in den Gebieten zu verweigern.
  • Für einen Kampf der israelischen PalästinenserInnen gegen den institutionalisierten Rassismus und ihre Behandlung als BürgerInnen zweiter Klasse.
  • Für ein Ende von Massenarbeitslosigkeit und Armut. Für eine massive Steigerung der öffentlichen Ausgaben in israelisch-palästinensischen Städten und Dörfern in Infrastruktur, Arbeitsbeschaffung, Gesundheit, Wohnungsbau und Bildung und für die Streichung aller kommunalen Schulden.
  • Für einen Kampf der israelischen Arbeiterklasse - jüdisch und palästinensisch - zum Sturz des Kapitalismus.
  • Für ein sozialistisches Palästina neben einem sozialistischen Israel als Teil einer freiwilligen sozialistischen Konföderation des Nahen Ostens mit garantierten demokratischen Rechten für alle nationalen Minderheiten.

CWI-Erklärung, 19. März 2002