Südafrikanische Metallarbeitergewerkschaft bricht mit dem ANC

Historische und mutige Entscheidung der NUMSA
Erklärung der „Workers’ and Socialist Party“, die vor kurzem erst von Streikkomitees der Bergleute, Basisinitiativen und dem „Democratic Socialist Movement“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Südafrika) gegründet wurde

Der Sonder-Gewerkschaftstag der „National Union of Metalworkers of South Africa“ (NUMSA), der anlässlich der 2014 im Land anstehenden Parlamentswahlen abgehalten wurde, wird als bedeutendster Kongress seit der Gründung des Gewerkschaftsbundes COSATU 1985 in die Geschichtsbücher eingehen. Im Zuge ihres außerordentlichen Gewerkschaftstags vom 13. bis 16. Dezember 2013 haben die NUMSA-Delegierten den kühnen und historischen Beschluss gefasst, alle Verbindungen zum regierenden ANC zu kappen. Damit werden nun auch alle finanziellen sowie logistischen Unterstützungsleistungen, die dem ANC sonst immer zuteil wurden, eingestellt. Der ANC wird folglich ohne die Unterstützung der größten und politisch einflussreichsten Einzelgewerkschaft des COSATU in den Wahlkampf 2014 ziehen. Und weil NUMSA auch unter den Mitgliedern der anderen COSATU-Mitgliedsgewerkschaften – selbst bei denen, die eindeutig prokapitalistische Vorstände haben – großen Zuspruch genießt, bedeutet dies, dass dem ANC wahrscheinlich nicht nur die Stimmen der 340.000 NUMSA-Mitglieder verloren gehen, sondern womöglich auch die von mehr als einer Million weiterer Angehöriger der COSATU-Einzelgewerkschaften. Der ANC wird aus den Wahlen im kommenden Jahr merklich geschwächt hervorgehen. Das Albtraum-Szenario, das die ANC-eigenen WahlkampfstrategInnen an die Wand malen, wonach die Partei unter die 50 Prozent-Marke fallen könnte, scheint nicht mehr gänzlich auszuschließen.

Das Schockereignis von Marikana kommt nun also auch auf der politischen Ebene zur Geltung. Im August 2012 erschoss die Polizei in der Nähe dieser Bergbaustadt 34 streikende Bergleute, was die Grundfesten des politischen Konsenses der Nach-Apartheid-Ära ins Wanken brachte. Alles, was im Zuge der CODESA-Verhandlungen (mit denen die Apartheid 1994 letztendlich zu Ende ging; Anm. d. Übers.) noch so geschickt eingefädelt worden war, stand plötzlich zur Disposition. Um einen Buchtitel des politischen Kommentators Allister Spark zu bemühen, der sich darin mit den Perspektiven befasst, die sich dem Land nach CODESA bieten, kann man sagen, dass Südafrika heute ein anderes Land ist. In den letzten 20 Jahren war die Arbeiterklasse Südafrikas wie ein politischer Gefangener in einem riesigen Gefängnis eingesperrt. Doch die Gitterstäbe sind aufgebrochen worden und der Prozess der Emanzipation der größten gesellschaftlichen Klasse hin zur politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse hat mit Nachdruck begonnen.

Hinzu kommt, dass die NUMSA auch ihre finanziellen Beiträge für die „South African Communist Party“ (SACP) einstellen und damit die politische Beziehung zu dieser „ideologisch bankrotten“ Partei (so die Worte des NUMSA-Generalsekretärs, Irvin Jim) beenden wird.

Die Wut der Delegierten und ihr Gefühl, von der ANC- und der SACP-Führung verraten worden zu sein, kam im Laufe dieses Sondergewerkschaftstags voll und ganz zur Geltung. KeinE einzigeR DelegierteR hat zu irgendeinem Zeitpunkt während des Kongresses ernsthaft dafür argumentiert, den ANC weiterhin zu unterstützen. Nach Ansicht der NUMSA-Mitglieder ist eines sonnenklar: Beim ANC und der SACP handelt es sich um Parteien der kapitalistischen Klasse. Alles, was sie in den vergangenen 20 Jahren getan haben, ist eine Beleg dafür. Die nächste von der ANC geführte Regierung, die das neoliberale „National Development Programme“ in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen wird, wird sich bewusst gegen die Beschäftigten richten. Sie verdient es mithin nicht, die Unterstützung der Arbeiterklasse zu bekommen.

Zum gegenwärtigen Stand der Entwicklungen hat es die NUMSA unterlassen zu entscheiden, 2014 eine andere Partei zu unterstützen. Es wurde einfach wiederholt auf das Recht der NUMSA-Mitgliedschaft hingewiesen, individuell und gemäß der jeweiligen Überzeugung eine Wahlentscheidung zu treffen. Die NUMSA hat sich allerdings dafür ausgesprochen, eine „united front“ (dt.: Einheitsfront) nach dem Muster der „United Democratic Front“ der 1980er Jahre ins Leben zu rufen, um den Kampf der Beschäftigten und Basisgruppen miteinander zu vereinen. Gleichzeitig will man mithelfen, eine „Bewegung für Sozialismus“ auf den Weg zu bringen. In ihrem Offenen Brief an die NUMSA hat die „Workers’ and Socialist Party“ (WASP) zur Gründung eines sozialistischen Gewerkschaftsnetzwerks aufgerufen, um die Spaltungen in der Arbeiterklasse und die bisherige Lähmung im gemeinsamen Kampf, die auf die Krise im COSATU zurückzuführen ist, überwinden zu helfen. Außerdem haben wir zu einer Versammlung im Sinne der Einheit der Arbeiterklasse aufgerufen, um einen Schlachtplan für die Kämpfe der Massen zu entwickeln. Angesichts der NUMSA-Entscheidung, eine „United Front“ und ein „Movement for Socialism“ gründen zu wollen, betrachten wir unsere Appelle als weitestgehend angenommen.

In Anbetracht der in wenigen Monaten anstehenden Parlaments- und Provinzwahlen haben wir die NUMSA allerdings auch aufgefordert, „ihren Platz in der Führung der WASP einzunehmen“. Die WASP ist gegründet worden, um die Kämpfe der Beschäftigten, der Wohnviertel und Gemeinschaften sowie der jungen Leute miteinander zu vereinen. Sie hat eine demokratische und föderale Struktur, was es der NUMSA erlaubt hätte, unter dem Schirm der WASP mit eigenen KandidatInnen anzutreten, die in autonomen Verfahren der NUMSA hätten aufgestellt werden können. Auf diese Weise hätte die NUMSA ihren Widerstand gegen den „National Development Plan“ ins Parlament tragen können, was die Kämpfe, die in den Betrieben und Kommunen erst noch anstehen, enorm befördert hätte.

Beim außerordentlichen Gewerkschaftstag der NUMSA hat der Vorstand Kriterien festgelegt, die jede politische Partei erfüllen muss, um in den Genuss politischer Unterstützung zu kommen. Mit der Annahme des Vorstandsberichts sind auch diese Kriterien von den Delegierten bestätigt worden. Wir sind der Ansicht, dass die WASP eben diesen Kriterien entspricht. Die WASP ist aus den Kämpfen der Bergleute heraus entstanden und gründet sich selbst auf die Arbeiterklasse. Die WASP steht für die Verstaatlichung der Bergwerke, Banken, kommerziell geführten landwirtschaftlichen Betriebe, Fabriken und anderer Großunternehmen auf Grundlage der Kontrolle dieser Betriebe durch die jeweiligen Beschäftigten. Das betrachten wir als Teil des Kampfes für eine sozialistische Gesellschaft. Die WASP ist eine durch und durch demokratische Organisation.

Zur verabschiedeten neuen politischen Strategie gehörte auch, dass die NUMSA-Führung den Auftrag erhielt, „aufmerksam nach einer Partei Ausschau zu halten, die sich dem Sozialismus verschrieben hat und in Zukunft bei Wahlen kandidieren wird“. Aus diesem Grund wiederholen wir unseren Aufruf an die NUMSA, ihren Platz in der Führung der WASP einzunehmen und unter dem Schirm der WASP eigene KandidatInnen aufzustellen sowie diese bei den Wahlen 2014 zu unterstützen. Das wäre ein entscheidender Schritt, um die neue „Bewegung für Sozialismus“ aufzubauen.

Auch wenn die Positionierung der NUMSA zu den Wahlen 2014 durchaus ihre Schwächen hat, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, welch monumentale Verschiebung in der politischen Landschaft ihre Entscheidung einläutet. Das Auseinanderbrechen des politischen Konsenses nach 1994 wird jetzt energisch vorangetrieben. Damit wird auch der Weg eingeschlagen in Richtung der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Die Entscheidung der NUMSA hat den Prozess beschleunigt, den die Bergleute 2012 begonnen haben. Und indem sie verstanden hat, dass die veränderte politische Situation nach den Ereignissen von Marikana einen außerordentlichen Gewerkschaftstag erforderlich machte, hat die NUMSA eben diesen Prozess auf eine höhere Bewusstseinsstufe gehoben.

Die Delegierten begrüßten auf ihrem Kongress auch Überlebende und Familienangehörige der Opfer des Blutbads von Marikana und sammelten unglaubliche 200.000 Rand (~14.000 Euro) für die Angehörigen der Ermordeten. Diese Summe wird von den Beschäftigten der Investmentgesellschaft der NUMSA und dieser Gesellschaft selbst noch auf den Betrag von 500.000 Rand aufgerundet. Die Bedeutung, die man auf dem NUMSA-Gewerkschaftstag dem Kampf der Bergleute aus dem Jahr 2012 und dem Blutbad von Marikana beigemessen hat, zeigt, dass die NUMSA die Rolle der BergarbeiterInnen anerkennt, welche sie als Vorhut der Arbeiterklasse gespielt haben. Sie haben sich aus dem Gefängnis der „Tripartite Alliance“ (Bündnis zwischen ANC, Gewerkschaftsbund COSATU und „Südafrikanischer Kommunistischer Partei“, SACP; Erg. d. Übers.) befreit. Die massenhafte Austrittswelle aus der Bergarbeitergewerkschaft „National Union of Mineworkers“ (NUM) fand zeitgleich mit dem Abbruch der politischen Beziehungen zum ANC statt. Genau aus diesem sich abzeichnenden Konflikt heraus ist die „Workers´ and Socialist Party“ entstanden. Und die NUMSA hat sich mit ihren aktuellen Entscheidungen nun voll und ganz dem Kampf angeschlossen, den die Bergleute begonnen haben.

Die NUMSA hat in Richtung der Bergleute und weiterer Beschäftigtengruppen ein klares Signal ausgesendet: Sie wird die KollegInnen anderer Branchen nicht der prokapitalistischen Irreführung der jeweiligen Gewerkschaftsspitzen ausliefern, die weiterhin am ANC festhalten. Irvin Jim erklärte, dass die NUMSA „Beschäftigte nicht länger abweisen wird“. Das ist der offene Bruch mit der Politik des COSATU, der da lautet: „Eine Gewerkschaft, eine Branche“. Jim bedauerte sogar, dass dies noch nicht NUMSA-Politik war, als es zum Blutbad von Marikana kam. Das wird die NUMSA auf Konfrontationskurs mit dem rechten Flügel des COSATU bringen, der weiterhin zum ANC steht, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Auseinanderbrechen des COSATU führen. Bei der Entscheidung, den Beitrag für die COSATU in Höhe von monatlich 800.000 südafrikanischen Rand (~ 56.000 Euro) so lang nicht zu überweisen, bis die Forderung nach einem Sonder-Gewerkschaftstag des Dachverbandes erfüllt ist, handelt es sich um einen weiteren kühnen Schritt.

Mit vom NUMSA-Sondergewerkschaftstag beschlossenen Plänen über rollierende Aktionen, die Massencharakter haben und zu denen es Anfang 2014 kommen soll, und ferner der Ausweitung der Solidaritätsarbeit auch auf die Bergleute (die im neuen Jahr sehr wahrscheinlich neue Kämpfe für höhere Löhne und gegen Kürzungen anstrengen werden) erklärt die NUMSA, dass sie in der bevorstehenden Phase im Zentrum der Kämpfe der ArbeiterInnen stehen wird. Auf der geplanten Konferenz für Sozialismus wird diese Debatte fortgesetzt werden, die auf dem Sondergewerkschaftstag nun begonnen wurde. Es geht um den Aufbau einer politischen Alternative für die Arbeiterklasse. Die NUMSA hat ihre ersten Schritte in der sich neu gestaltenden politischen Landschaft unternommen, zu deren Entstehung sie neben der WASP und den Bergleuten beigetragen hat. Damit wurde die historische Aufgabe übernommen, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse wiederherzustellen. Die WASP zollt der NUMSA-Führung und den NUMSA-Delegierten ihren Respekt für ihre Entscheidung.

Die WASP wird weiteres Material und Analysen liefern, die genauer ins Detail gehen. Wir werden uns noch eingehender mit den Aufgaben befassen, die sich der Arbeiterklasse angesichts der Entscheidung des außerordentlichen Gewerkschaftstags der NUMSA ergeben.

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