Rote Seitenblicke: Königliche Ablenkungen

Fabian Lehr

Es war komisch und empörend zugleich: Im 21. Jahrhundert berichten die großen TV-Kanäle Europas stundenlang live von der prunkvollen Krönung des neuen spanischen Königs, ohne zu kritisieren, dass in dieser albernen Kostümzeremonie Millionen Euro vernichtet werden. Nichts darüber, dass gleichzeitig Millionen SpanierInnen dank des sozialen Kahlschlags ihrer Regierung in bitterem Elend leben. Stattdessen: Begeisterung über Luxuskleider und Schmuck, die Mitglieder des Königshauses zur Schau stellen. Warum begeistern sich Bürgertum und bürgerliche Medien für so überholte Einrichtungen wie Monarchie und Adel, die seit Langem keine politische oder wirtschaftliche Funktion mehr erfüllen? Zum einen sind KönigInnen ein nützliches Maskottchen für bürgerliche Staaten, die scheinbar als neutrale Vermittler über den Klassen stehen und unparteiisch für Gerechtigkeit sorgen. Nur dass sie in Wirklichkeit immer die Ordnung der Reichen und Mächtigen stützen. Zum anderen: Die bürgerliche Klasse wird fürchten, dass auch ihre eigene Macht und ihre eigenen Privilegien unter Beschuss geraten könnten, wenn die Menschen erst einmal beginnen, am Beispiel des Adels darüber nachzudenken, welchen Sinn eine Klasse hat, die von der Arbeit anderer lebt. Wird begonnen, kritisch über die Funktion einer Klasse nachzudenken, werden sie in ihrer Kritik nicht dort stehenbleiben. Also sollen die Leute über das glitzernde Prinzessinnenmärchen auf dem Bildschirm lieber ihre eigene Not vergessen, als lästige Fragen zu stellen.

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