Risse in der britischen Regierungskoalition

Dass die Gegenseite uneins ist, müssen wir nutzen!
CWI England&Wales

Als die Regierungskoalition der „Con-Dems“ („to condemn“ = dt.: „verachten“; Ein Wortspiel, mit dem die Haltung gegenüber der konservativ/liberal-demokratischen Regierungskoalition zum Ausdruck gebracht wird; Anm. d. Übers.) ganz frisch im Amt war und Nick Clegg, Vorsitzender der Liberaldemokraten und stellvertretender Premierminister, und David Cameron, der konservative Premier, sich noch gegenseitig in den höchsten Tönen lobten, schien Cameron den nun offen zu Tage getretenen Kriegszustand zwischen den beiden schon zu erahnen. Mittlerweile ist die ganze Koalition davon betroffen.

Die liberal-konservative Koalition ist dazu übergegangen, äußerst undemokratische Vereinbarungen mit einer Laufzeit von fünf Jahren (eine Legislaturperiode) zu treffen, was darauf hinausläuft, dass ein „Nein“ in der zweiten Kammer, dem „House of Commons“, nicht mehr automatisch zu Neuwahlen führt. Zu Neuwahlen kann es dennoch kommen, wenn ein Misstrauensantrag Erfolg hat und keine neue Regierungskonstellation zustande kommt. Alternativ stehen Neuwahlen an, wenn ein Antrag dazu gestellt und dieser mit Zwei-Drittel-Mehrheit des Unterhauses angenommen wird bzw. wenn dies einstimmig und ohne Abstimmung geschieht.

Diese Vereinbarungen wurden eindeutig deswegen getroffen, um die in Misskredit geratene Kürzungs-Koalition trotz einer massenhaft gegen sie gerichteten Opposition fünf Jahre lang aufrechtzuerhalten. Dabei verlangt die besagte Opposition immer stärker nach deren Rücktritt. Aus Sicht der Arbeiterbewegung wäre es allerdings falsch daraus zu schließen, dass diese „verfassungsgemäßen Vorgaben“ die Koalition notwendigerweise bis 2015 zusammenhalten.

Der ranghohe Energieminister und Millionär Chris Huhne, bekannte sich schuldig, die Justiz behindert zu haben und trat als Parlamentsabgeordneter zurück. „Noch nie in der Geschichte der britischen Politik hat ein eher geringfügiges Verkehrsdelikt zu solch spektakulären Konsequenzen geführt.“, so die Darstellung von Peter Oborne in der Tageszeitung „The Telegraph“. Oborne warnte vor den Nachwahlen, „die allem Anschein nach zum schwerwiegendsten und bittersten Ereignis dieses Jahrhunderts werden. Sie kommen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, jetzt, da die Regierungskoalition sich teilweise in Auflösung befindet, und Parteiaktive es kaum abwarten können, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen“.

Angesichts der Risse in der Regierungskoalition und ihres schwachen Allgemeinzustands sollten sich die Gewerkschaftsbewegung und die Bewegungen gegen die Kürzungen einen Ruck geben und eine umfassende Kampagne starten, um die Regierung in die Schranken zu verweisen.

Diese Regierung setzt die brutalsten Austeritäts- und Kürzungsprogramme durch, die es in den letzten 80 Jahren gegeben hat. Es ist aber klar, dass eine Kampagne mit Massenverankerung das verhindern könnte. Es war noch nie so offenkundig, dass ein 24-stündiger Generalstreik der nächste Schritt sein muss. Die Unterschiede, die sich in der Regierung offenbaren, zeigen sich zwar nicht in der Frage der Austerität oder der Kürzungen. Dennoch sind sie Ausdruck der extrem dünnen gesellschaftlichen Basis, auf die sich beide Regierungsparteien noch stützen können. Die „Royal Society for the Protection of Birds“ (dt.: „Königliche Gesellschaft zum Schutze der Vögel“) hat mittlerweile mehr Mitglieder als alle politischen Parteien Großbritanniens zusammen!

Krise des britischen Kapitalismus

Die „Tory“-Partei, die in den 1950er Jahren mit mehr als drei Millionen Mitgliedern ihren Höhepunkt als Partei mit Massenbasis hatte, befindet sich seither im freien Fall. Seit Cameron im Jahr 2005 zum Vorsitzenden der konservativen „Tories“ gewählt wurde, hat sich die Mitgliedschaft der Partei auf 130.000 halbiert. Die „Liberaldemokraten“ haben mindestens 5.000 Mitglieder verloren, seit sie als Juniorpartner Teil der Regierung sind. Ihre Wählerschaft ist merklich kleiner geworden. Im Endeffekt widerspiegeln die sinkenden Mitgliederzahlen der kapitalistischen Parteien die langfristige Krise des britischen Kapitalismus.Diese Parteien agieren im Interesse eines Systems, das – schon vor dem Einsetzen der „großen Rezession“ – gleichbedeutend war mit stagnierenden Löhnen und längeren Arbeitszeiten für die Mehrzahl der Beschäftigten.

In den letzten fünf Jahren hat der britische Kapitalismus für einen durchschnittlichen Lohnverlust von 15 Prozent gesorgt, wobei keine Aussicht auf ein neuerliches gesundes Wachstum besteht. Die kapitalistischen Parteien sind in den Augen der Bevölkerungsmehrheit zurecht Teil der ökonomischen Krise, stehen in Verbindung mit den Kürzungen, mit Filz und Korruption. Der Skandal um die Abgeordnetenbezüge hängt immer noch wie eine Käseglocke über dem britischen Parlament von Westminster. Die momentanen Risse in der Regierungskoalition treten immer offener zutage, weil die verschiedenen Kräfte nur ihre zukünftige Karriere im Blick haben. Die Situation ist dramatischer als das Sprichwort von den Ratten, die das sinkende Schiff verlassen, vermuten lassen würde!

Die Liberaldemokraten gerieten offen in Opposition zu den „Tories“, als sie gegen die Änderung der Wahlbezirke stimmten. Das taten sie, weil – sollten diese tatsächlich neu aufgeteilt werden – bei den nächsten Wahlen die Anzahl der liberalen Abgeordneten stark dezimiert worden wäre.

Das heißt allerdings nicht, dass sie auch dieselbe Entschlossenheit an den Tag legen, wenn es darum geht, weitere Kürzungen zu verhindern, von denen die Ärmsten in der Gesellschaft am schwersten getroffen sein werden. Nun scheint es, dass die Liberaldemokraten – trotz aller Behauptungen, dies eben nicht tun zu wollen – bereit sein werden zu akzeptieren, dass die Koalition neue Kürzungen bei den Sozialleistungen vorschlagen wird – zusätzlich zum Elend, das ohnehin schon beschlossen worden ist.

Es ist ganz klar, dass nur der gegen die Kürzungen gerichtete Widerstand aus der Bevölkerung die Liberaldemokraten zurück auf den Boden der Tatsachen holen kann. Darüber kann ihnen klargemacht werden, dass ihre weiteren Karrierewege nicht in erster Linie von einer Änderung der Wahlbezirke abhängen, sondern davon, ob sie Teil einer Regierung sind, die das Leben von Millionen von Menschen ins Elend stürzt. Und je mehr Kürzungen die Liberaldemokraten zustimmen, desto härter wird sie die Rache der WählerInnen treffen.

Spaltungstendenzen bei den „Tories“

Die „Tory“-Partei ist selbst gezeichnet von offenen Spaltungstendenzen. Cameron hatte gehofft, dass er mit seinem Vorschlag, nach den Wahlen ein Referendum über den Verbleib in der EU durchzuführen, in der Lage sein würde, die „little Englander Tories“ zeitweilig zum Schweigen zu bringen. Die jüngsten Entwicklungen haben allerdings gezeigt, dass die Zugeständnisse, die Cameron ihnen machen musste, dazu geführt haben, dass die reaktionärsten Kräfte innerhalb der „Tory“-Partei nur noch stärker geworden sind. Sie stellen deshalb weiterhin eine Bedrohung für die derzeitige „Tory“-Führung dar und könnten – zu einem gewissen Zeitpunkt – zu Spaltungen der „Tory“-Partei beitragen.

Mit der Entscheidung, der rechtlichen Gleichstellung der Homo-Ehe zuzustimmen, verband Cameron die Hoffnung, er könne die Illusion aufrechterhalten, dass er 2005 der erste war, der verkündete, die „Tories“ seien nicht länger die „hässliche Partei“. Stattdessen hat er wieder einmal dazu beigetragen, die Spaltungslinien in seiner Partei zu vergrößern und damit der Welt offenbart, wie wenig sich die „Tory“-Partei hinsichtlich sozialer Fragestellungen verändert hat.

Wenn der Termin für die Parlamentswahlen festgelegt wird (was durchaus noch in diesem Jahr passieren kann), dann werden viele ArbeiterInnen für die „Labour-Party“ stimmen, weil sie mit einer sozialdemokratischen Regierung die Hoffnung verbinden, es würde schon nicht „so schlimm“ werden wie unter der derzeitigen Administration. Wie dem auch sei: Wenn die Mehrheit der Bevölkerung den kapitalistischen Politikern kein Vertrauen mehr schenkt, dann ist „New Labour“ davon nicht ausgenommen.

Den Umfragen zufolge haben alle drei großen Parteien mit negativen Werten zu kämpfen, was die Vertrauenswürdigkeit angeht. Dabei äußerten 46 Prozent, dass sie dem „Labour“-Vorsitzenden Ed Miliband kein Vertrauen schenken.

Die von „Labour“ vertretene Politik nach dem Motto „Kürzungen, aber nicht so hastig“ führt – wie die niedrige Wahlbeteiligung bei den gerade erst abgehaltenen Nachwahlen gezeigt hat – nicht gerade zu überschwänglicher Zustimmung. Im Vorfeld der Wahlen von 2010 stieg die Mitgliedschaft von „New Labour“ von ihrem absoluten Tiefststand, der bei 150.000 lag, auf gut 190.000 an. Alles in allem sind dies jedoch weiterhin historisch niedrige Werte.

Die „Tories“ unternehmen jeden Versuch uns zu spalten: in ArbeiterInnen und Erwerbslose, jung und alt etc. Der beste Weg aber, um diese in sich gespaltene Regierung in die Schranken zu weisen, besteht darin, dass wir uns zusammentun.

Die Arbeiterbewegung braucht eine neue Massen-Partei, die Widerstand gegen die Kürzungen leistet und ein sozialistisches Programm verfolgt. So eine Partei muss im Interesse der Arbeiterklasse und nicht der Kapitalisten handeln. Die „Trade Unionist and Socialist Coalition“ (TUSC) ist eine wichtige Vorstufe davon. Dave Nellist, Mitglied der „Socialist Party“ und verantwortlicher Vorsitzender der TUSC, war neun Jahre lang Parlamentsabgeordneter und gab den Teil seiner Bezüge ab, der über einem durchschnittlichen Facharbeiterlohn liegt. An diesem Modell sollten sich auch die zukünftigen Abgeordneten orientieren, die aus der Arbeiterbewegung kommen.

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